Название | Die große Illusion |
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Автор произведения | Hans von Trotha |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783949203022 |
Hätte es nicht werden können, was das Centre Pompidou für Paris wurde (das zunächst auch äußerst umstritten war)? Warum ist die deutsche Antwort auf die Herausforderung einer Großkulturbaustelle ein »zum Humboldt Forum wiederaufgebautes Schloss« – zu dieser diplomatisch eleganten, wenn auch rhetorisch ins Leere laufenden Formulierung hat sich die entsprechende Wikipedia-Seite durchgerungen. Es tut ein bisschen weh, wenn man nachliest, wie Horst Bredekamp, einer der Gründungs-Intendanten des Humboldt Forums, rekapituliert, dass auf der Suche nach einer Nutzung für dieses riesige Gebäude hinter der historisierenden Fassade nach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Humboldt Universität als dritter Akteur Berlin hinzukam, »das mit seiner Stadtbibliothek ebenfalls Einzug in das Schloss halten sollte, um ein lebendiges Klima zu erzeugen, für welches das Pariser Centre Pompidou eine Art Vorbild war«.
Nun ist dem Gebäude in einem unauflösbaren Paradox die Aufgabe zugeteilt, den Wunsch, moderne Agora, Treffpunkt für alle, zukunftsweisende Stadtmitte zu sein, im Inneren zu erfüllen, während die das Haus nach außen repräsentierende Fassade einen ganz anderen Geist atmet und sich als Wiedergängerin einer autoritär-repressiven Staatsarchitektur (miss)verstehen lässt. Denn so sieht sie nun mal aus. Und die Erbauer sind ja gerade besonders stolz auf die detailgenaue Rekonstruktion. Das ist handwerklich fraglos eine große Leistung, bringt mit Blick auf die ausgesandten Botschaften der Fassade aber ebenso fraglos Probleme mit sich.
Die Fassadenrekonstruktion bedeutet zuallererst einen Blick zurück, und zwar relativ weit zurück, nämlich hinter beziehungsweise (historisch gesehen) vor all das, was nach 1871 hier und im Land passiert ist. Diese Fassade ist Ausdruck des Wunschs nach einem architektonischen, bei der Dimension des Gebäudes auch städtebaulichen reset, nach einer Wiederherstellung. Oder, wie es Wolfgang Thierse, ehemals Präsident des Deutschen Bundestages, Mitglied der Jury des architektonischen Wettbewerbs zum Berliner Schloss und glühender Befürworter der Fassadenrekonstruktion, im Jahr 2020 ausdrückte:
»Deswegen ärgere ich mich, dass Berlin nicht erlaubt sein soll, was in vielen deutschen Städten erlaubt gewesen ist, zu deren Glück. Wie sähen Münster, Hildesheim, München und viele andere Städte aus ohne Wiederaufbau oder Nachbau historischer Gebäude und Straßenverläufe und stadtbildprägende Ensembles! Deswegen ärgert mich der Denkmalpflege-Dogmatismus: Was einmal verfallen, zerstört, verschwunden ist, aus welchen Gründen auch immer, das dürfe nicht wiederkehren. Das wäre dann Fake, wäre Disney-Land. (…) Deswegen ärgere ich mich über den mangelnden Sinn für Geschichte, für geschichtsgeprägte Lebens- und Stadträume bei nicht wenigen Architekten. Als sei Zeitgenossenschaft von Architektur nur gegen oder ohne Geschichte zu haben. Und deswegen ärgere ich mich über die ideologische Befrachtung des Berliner Schlosses zum Symbol schlechthin des preußisch-deutschen Militarismus und Imperialismus, zum Symbol eines vergangenen und hoffentlich endgültig Überwundenen. Dessen teilweiser Wiederaufbau etwas durch und durch Reaktionäres sei, Ausdruck einer falschen, gefährlichen Sehnsucht nach dem Gestern.«
Aber genau diese Botschaft sendet der Bau eben doch aus, insbesondere dann, wenn Menschen sich ihm nähern, die eine andere Einstellung zu bestimmten Ereignissen der deutschen Vergangenheit und eine andere Vorstellung von Stadtplanung im Geist einer demokratischen Gegenwart und einer dynamischen Zukunft haben. Mit seiner Geschichte muss man eine solche Rekonstruktion nicht erst ideologisch befrachten, sie befrachtet sich selbst damit, indem sie sie repräsentiert. Ist es nicht eher so, dass gerade die Kritikerinnen und Kritiker einer solchen Rekonstruktion historisch denken, weil sie akzeptieren, dass die Geschichte an dem Ort, um den es geht, Spuren hinterlassen hat, und außerdem davor warnen, dass eine historische Fassade jene Signale aussendet, die historische Architektur nun einmal aussendet, und nicht unbedingt diejenigen, die man womöglich auf sie projizieren mag? Und die Signale eines massiven kuppelüberwölbten Kaiserschlosses sind (im Gegensatz etwa zu Bürgerhäusern in Münster, Hildesheim oder München), daran lässt sich nicht viel ändern, die Signale eines massiven kuppelüberwölbten Kaiserschlosses. Und die Signale dieses Schlosses an diesem Ort sind die Signale dieses Schlosses an diesem Ort, der eben auch für vieles steht, für das es in einer demokratischen Republik des 21. Jahrhunderts eigentlich besser keinen Ort geben sollte.
Die Diskussion ist oft geführt worden, und sie wird immer weiter geführt werden. Und das ist gut so. Es geht bei diesen Fragen nicht um Ideologie oder Prinzipien, sondern immer wieder um konkrete, wenn man so will: individuelle Bauprojekte, ihre Geschichte, ihre Verortung, ihr Potenzial an Botschaften und Projektionen. Till Briegleb schrieb im Februar 2021 in der Süddeutschen Zeitung: »In Deutschland wird es nur schwer akzeptiert, dass der originalgetreue Aufbau verlorener Symbolbauten eine Lösung unter anderen sein kann.« (Süddeutsche Zeitung, 24.2.2021) Anlass für diesen Seufzer war die Diskussion um den Wiederaufbau der 1939 zerstörten Hamburger Bornplatzsynagoge im alten Stil. Und Briegleb hat recht: Natürlich muss der Wiederaufbau eine Option sein, gerade bei »Symbolbauten«. Das häufig angeführte Beispiel des Warschauer Schlosses als zentralem Symbol einer mehrfach ausgelöschten Nation ist eines der eindringlichsten für die Bedeutung einer solchen Entscheidung. Auch der Entschluss zum detailgetreuen Wiederaufbau der Nationalbibliothek von Sarajevo, die im Sommer 1992 von den serbischen Belagerern in Brand geschossen wurde, ein Angriff auf die muslimische und auf die kroatische Kultur der Stadt, ist einleuchtend. Anders liegt es aber womöglich im Fall der ehemaligen zentralen Residenz des umstrittenen Herrscherhauses eines untergegangenen, in seinem Erbe durchwachsenen Reichs. Nur ganz am Rande sei hier erwähnt, dass die deutsche Debatte um den Wiederaufbau der Hohenzollern-Residenz just in dem Moment Fahrt aufnahm, in dem ganz Europa zusah, wie drei Flugstunden von Berlin entfernt ebenjene Bibliothek in Sarajevo eingeäschert wurde.
Es gibt gute Gründe für Wiederaufbauten, auch für detailgetreue. Es gibt aber auch gute Gründe dagegen. Der Vorwurf »eines mangelnden Sinns für Geschichte« ist gerade den Gegnern gegenüber allerdings am wenigsten angebracht. Wenn überhaupt, erscheint es, umgekehrt, ahistorisch, ja geschichtsvergessen, zu argumentieren, dass ein Gebäude in dieser Kubatur mit dieser Fassade, die im Zusammenspiel einerseits schön und ein Zitat der lichten Architektur Italiens, andererseits aber eben auch massiv, einschüchternd und autoritär wirken sollte und nun auch wieder genau so wirkt, an diesen Ort gehört. Ergebnis der Geschichte ist ja gerade, dass es nicht mehr da ist. Vielleicht liegt hier der Denkfehler derer, die mit so viel Energie und schließlich mit Erfolg für diese Rekonstruktion gekämpft und geworben haben, keineswegs nur mit sachlichen, historischen und städtebaulichen Argumenten, sondern – genau wie die Gegenseite – immer auch von Emotionen getrieben, und sei es, wie Wolfgang Thierse freimütig bekennt, von Ärger über diejenigen, die denen, die auf diese Fassade ihre Begeisterung projizieren, nicht folgen können oder wollen. Vielleicht gehört etwas, was einmal an einen Ort gehört hat, aber lange Zeit fort war, aus welchen Gründen auch immer, dann schlicht nicht mehr dorthin. Vielleicht ist es dann sogar fehl am Platz, weil die Welt, die unmittelbare Umgebung ebenso wie die Zeitläufte, eben das, was wir Geschichte nennen, sich weitergedreht hat. Diese Erfahrung, dass die Welt sich weitergedreht hat – und weiter dreht –, will diese Architektur aufhalten, wenigstens für den Moment. Es gibt Fälle – wie das Warschauer Schloss, die Bibliothek von Sarajevo oder die Hamburger Synagoge – in der dieses geschichtsirritierende Moment sinnvoll, genau richtig, hilfreich sein mag. Aber es gibt auch Baustellen mit einem Projektionspotenzial, bei dem das nicht so unmittelbar einleuchtet. Es geht immer um die Frage, wofür ein »Symbolbau« Symbol ist.
Adrian von Buttlar bemerkt im Dezember 2020 in der Zeitschrift Arch+: »Weder die Glorie Preußens noch die Monarchie, das Kaiserreich