Название | Die große Illusion |
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Автор произведения | Hans von Trotha |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783949203022 |
»Ceci n’est pas un château.« (Schriftzug in goldenen Lettern über dem Haupteingang des Potsdamer Landtags, dessen Fassade die Barockfassade des zu DDR-Zeiten abgetragenen Potsdamer Stadtschlosses imitiert)
»Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.«
(Schriftzug in goldenen Lettern über dem Haupteingang zum Humboldt Forum, dessen Fassade die Barockfassade des zu DDR-Zeiten gesprengten Berliner Schlosses imitiert)
Bauten und Botschaften
Es ist die größte Projektionsfläche Berlins. Und sie hängt nicht vor der Stirnwand eines Kinos, sondern mitten in der Stadt vor einem monumentalen Neubau. Dessen erster, in den Augen seiner Initiatoren wichtigster, für viele letzten Endes einziger Zweck war es ursprünglich, eine ganz bestimmte Fassade zu tragen – die nämlich, die er heute trägt. Was sich hinter dieser Fassade abspielt, also in dem Gebäude, das entsteht, wenn eine Fassade errichtet wird, war zunächst weder klar noch schien es wirklich wichtig. Hauptsache, das Gebäude würde stehen und aufgrund seiner Kubatur und seiner Fassade die Illusion erzeugen, es stünde dort nicht wieder, sondern noch.
Denjenigen, die diese Fassade unbedingt wiedererstehen lassen wollten, schließlich auch dem Deutschen Bundestag, der dies im Sommer 2002 mit großer Mehrheit beschloss und beauftragte, war das Projekt so wichtig, dass bei der Realisierung weder Kosten noch Aufwand gescheut werden sollten – dabei gab es immer noch keine Nutzung für das Gebäude. Hauptsache, die Fassade, diese Fassade würde entstehen. Warum? Welche Botschaft geht von dieser Fassade aus, dass sie für eine einflussreiche Lobby eine derartige Bedeutung bekommen konnte? Und – ist der Plan derer, die dieses Projekt propagierten, die diese Fassade unbedingt haben wollten, aufgegangen? Welche Botschaft sendet die Fassade jetzt, da sie realisiert ist? Oder – umgekehrt – was lässt sich auf sie projizieren?
Eine Fassade, schon gar die Fassade eines besonders großen Gebäudes und erst recht die Fassade eines besonders großen, vom Staat für die Mitte seiner Hauptstadt in Auftrag gegebenen Gebäudes ist immer ein Statement, ein Zeichen, eine Botschaft. Ganz gleich, wie ein Bau definiert wird, was er sein will oder sein soll, was man gern hätte, dass er wäre – er spricht zu uns. Und das tut er in der Form, in der er da ist, unmittelbar. Er beeindruckt uns, leitet unsere Gedanken, regt unsere Phantasie an. Vielleicht manipuliert er auch unsere Gefühle. Immer löst er Assoziationen aus. Die Geschichte hinter der Fassade, die im Vorfeld womöglich geführten Diskussionen, Alternativen, geschlossenen Kompromisse, Hoffnungen, Erwartungen, Befürchtungen, die vor der Realisierung damit verbunden gewesen sein mögen, vermittelt eine Fassade nicht, sobald sie einmal realisiert ist.
In der Zeitschrift Arch+ schrieb der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar im Dezember 2020 angesichts des fertiggestellten Humboldt Forums, ihn überkomme ein »kafkaeskes Unwohlsein« darüber, »dass der von Anbeginn höchst umstrittene Gegenbau zur einstigen politischen Hoheitsmitte der DDR letztlich wie ein UFO in unserer zunehmend verunsicherten Gegenwart gelandet ist: Nach wie vor steht die alte rhetorische Frage im Raum: Was ist das eigentlich? Wer spricht hier mit wem auf welche Weise und über was?«
Auf den folgenden Seiten geht es um Botschaften: um Botschaften, denen wir ausgesetzt sind; um Botschaften, die ausgesandt werden wollen, und solche, die ausgesandt werden sollen; aber auch um Botschaften, die ausgesandt werden, obwohl das womöglich niemand beabsichtigt hat; um Botschaften, die sich hinter dem, was Menschen tun, bisweilen verbergen; auch um Botschaften, die Menschen hinter dem, was sie sehen, vermuten. Dieser Essay ist ein Versuch über eine Fassade. Es ist nicht die Analyse eines Architekturkritikers, auch nicht das Ergebnis von Forschungen eines Historikers, es sind eher die Gedanken eines Flaneurs, der sich einem Neubau in der Mitte der deutschen Hauptstadt annähert, der durch seine Erscheinung behauptet, etwas anderes zu sein als das, was er ist. Denn das ist die erste Botschaft, die dieser Bau aussendet, wenn man ihm unvoreingenommen begegnet. Und das bleibt irritierend.
Wirklich Neues ist von einer solchen Annäherung nicht zu erwarten. Wohl über keine Baustelle in Deutschland ist in den vergangenen drei Jahrzehnten so viel gestritten, berichtet, gesprochen und geschrieben worden wie über die, an deren Ende die Enthüllung der zur Debatte stehenden Fassade stand. Aber gerade weil sich dieser Vorgang über einen so langen Zeitraum erstreckt hat, wobei manches vielleicht in Vergessenheit geraten ist, manches womöglich auch in Vergessenheit geraten sollte, lohnt es sich, den Blick noch einmal auf einige der neuralgischen Momente der Debatten, auf ihre Geschichte, ihre Dynamik und ihre Ergebnisse zu lenken. Sind sie einmal vollendet, wird die Geschichte hinter den Gebäuden ja meistens schnell vergessen zugunsten der Botschaften, die sie dann in die Stadt und in die Welt senden. In diesem Fall sind die Diskussion um die Fassade und die Geschichte ihrer Entstehung aber ein wichtiger Bestandteil des realisierten Ergebnisses. Sie gehören zur Botschaft der Fassade und damit des Gebäudes, das diese Fassade abschließt. Vielleicht sind diese Diskussion und diese Geschichte, genau besehen, die eigentliche Botschaft – zumal die Botschaft, die diese Fassade ursprünglich aussenden sollte, als sie das erste Mal errichtet wurde, wohl niemand ernsthaft wiederholt sehen will. Oder etwa doch?
Es soll im Folgenden ausschließlich die Fassade befragt werden, nicht die Institution, die sich hinter ihr formiert, das sogenannte Humboldt Forum, das ein Konzept exekutiert, das nach anhaltenden Diskussionen für diesen monumentalen Kulturort beschlossen wurde, ein modernes Museum für die außereuropäischen Kulturen. Die Geschichte des Berliner Schlosses, das an der entsprechenden Stelle einmal stand, sowie der Institution Humboldt Forum, die an die Stelle dieses Schlosses gesetzt wurde, hat der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, einer der Gründungsintendanten eben jenes Humboldt Forums, im Jahr 2019 in einem bilanzierenden Vortrag vor dem Posener kunsthistorischen Institut nachgezeichnet (pressto.amu.edu.pl). Die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss publiziert zudem auf ihrer Website vielerlei Texte rund um das Gebäude und die Institution. Unabhängig von diesen Darstellungen und den vielfältigen Debatten, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen also nicht die Institution, die hier im Werden begriffen ist, sondern lediglich die Fassade, hinter der sich zu verbergen schon ihr Schicksal war, bevor die Idee eines Humboldt Forums überhaupt formuliert wurde.
Von Anfang an war in der Diskussion um die Fassade der ehemaligen Hohenzollern-Residenz bemängelt worden, dass deren Realisierung vollkommen unabhängig von der Nutzung eines hinter ihr entstehenden Gebäudes gefordert, forciert, schließlich erstritten wurde. Für die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes, Herrschaftsresidenz der Dynastie der Hohenzollern erst als kurfürstliches, dann als königliches, schließlich als Kaiserschloss, bestand ja offenbar kein Bedarf. Zur Eröffnung des Humboldt Forums im Dezember 2020 erinnerte der Tagesspiegel an das Befremden zweier mächtiger Berliner