Название | Frankreich - eine Länderkunde |
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Автор произведения | Henrik Uterwedde |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847411642 |
[19]b) Souveränität
Die Souveränität ist unteilbar. Im Zeitalter des Absolutismus war damit die Legitimierung der absoluten Macht des Königs über sein Herrschaftsgebiet gemeint. Mit der Revolution von 1789 ist die Souveränität vom absoluten Herrscher auf das Volk übergegangen, das – über seine gewählten Vertreter, das Parlament – den allgemeinen Volkswillen und die Nation repräsentiert. Die Nation wird damit zum Subjekt eines einheitlichen Willens. Die Souveränität muss nach außen verteidigt werden – als nationale Souveränität gegenüber Versuchen, den Nationalstaat zu überwinden, etwa durch einen europäischen Föderalismus. Deshalb waren Ideen eines europäischen Bundesstaates, der die Nationalstaaten überwinden sollte, in Frankreich nie populär und wurden oft bekämpft. De Gaulle verfocht in den 1960er Jahren das Konzept eines „Europa der Vaterländer“, das auf den Staaten aufbaut und deren Souveränität achtet (→Kap. 10). Die Souveränität gilt aber auch nach innen. So legt Artikel 1 der Verfassung fest: „Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik“. Unteilbar heißt, dass der Wille des Volkes, der sich in den Gesetzen der Republik niederschlägt, im gesamten Territorium in gleicher Weise angewandt wird. Deshalb hat es traditionell ein großes Misstrauen gegenüber regionalistischen Bewegungen gegeben, denen unterstellt wird, die Einheit der Nation zu unterhöhlen. Noch im Jahr 2000 scheiterte die damalige sozialistische Regierung mit dem Versuch, der Inselregion Korsika aufgrund ihrer besonderen regionalen Verhältnisse einige beschränkte (und kontrollierte) gesetzgeberische Befugnisse einzuräumen, am parteiübergreifenden Widerstand im Namen der Einheit der Nation.
c) Die Republik
Das moderne, demokratische politische Modell Frankreichs hat sich nach der Französischen Revolution im 19. Jahrhundert herausgebildet. Ihr Kern besteht in der Idee der Republik und dem republikanischen Pakt zwischen dem Volk – dem Souverän – und den von ihm gewählten Vertretern (Parlament und Regierung). Dieser Pakt besteht darin, dass das Volk in der Wahl seinen politischen Willen zum Ausdruck bringt (der allgemeine Volkswillen: volonté générale); die von ihm gewählten Repräsentanten verpflichten sich, im Sinne dieses Volkswillens zu regieren. Nichts soll in dieser Lesart den republikanischen Pakt verfälschen, indem sie sich zwischen Bürger und Regierung schieben: weder Interessengruppen oder Verbände, die egoistische Einzelinteressen vertreten und damit das Allgemeinwohl gefährden, noch Regionen (oder, wie im deutschen Föderalismus, Bundesländer), deren regionaler Egoismus die Einheit der Nation gefährden könnte. Diesen sogenannten Zwischengewalten wurde in der französischen Politik immer mit großem Misstrauen begegnet. Verbände sind schwächer organisiert und spielen eine geringere Rolle in der politischen Willensbildung[20] als in Deutschland, und trotz der Dezentralisierung seit 1981 hat man parteiübergreifend stets darauf geachtet, dass sich die Regionen nicht zu Gegenspielern des Zentralstaates entwickeln. Man spricht deshalb auch von einer Schwäche der Zivilgesellschaft, d.h. der zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen und Verbände, die im öffentlichen Leben anderer Länder eine wichtige Rolle spielen und staatliche Regelungen oft ergänzen oder ersetzen können (→Kap. 4.2).
» Zitat: Das allgemeine Interesse als abstrakter Begriff
Seit zwei Jahrhunderten haben die Franzosen nicht aufgehört, eine besonders zwiespältige Beziehung zur Idee des allgemeinen Interesses zu pflegen. Der Hass auf den Korporatismus und das Anprangern der Partikularinteressen – beide repräsentierten 1789 das Ancien Régime – haben in unserem Land ein abstraktes Konzept des allgemeinen Interesses hervorgebracht. Daher rührt das französische Unvermögen, dieses als Kompromiss zwischen den Einzelinteressen zu denken, wie in England oder Deutschland. Das erklärt auch weitgehend, warum die französische Gesellschaft weder mit der Sozialdemokratie noch mit dem pluralistischen Liberalismus etwas anfangen konnte.
(Pierre Rosanvallon: Fondements et problèmes de l’„illibéralisme“ francais, in: Thierry de Montbrial (Hrsg.): La France du nouveau siècle, Paris: PUF 2002, S. 91)
Oberste Norm der Republik ist das Gesetz, das, vom Gesetzgeber im Namen des Volkswillens verabschiedet, über allem steht. „Es gibt in Frankreich keine Autorität, die über dem Gesetz steht“ – so heißt es in der Verfassung von 1791. Der Hinweis auf ein Gesetz gilt als Beweis und als nachdrückliche Autorität, das zu befolgen ist. Anekdotisch steht dafür die Aufschrift „Défense d’afficher – loi du 29 juillet 1881“, die man in Frankreich auf zahlreichen Mauern immer noch vorfindet und mit der angezeigt wird, dass das Plakatieren verboten ist. Der exakte Verweis auf das entsprechende Gesetz – man beachte das Datum! – soll offenbar dem Verbot seine ganze Legitimität verleihen. In dieser Sichtweise darf nichts und niemand das Gesetz infrage stellen. Bis 1958 existierte auch keine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen durch ein unabhängiges Gericht (→Kap. 2.3). Inzwischen hat sich die absolute Vorherrschaft des Gesetzes der Republik stark relativiert: Der 1958 eingerichtete Verfassungsrat kann inzwischen – allerdings erst seit kurzer Zeit – auch bestehende Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen; die Regierung hat eine Fülle von Möglichkeiten, um mit Verordnungen zu regieren; schließlich hat auch die[21] europäische Integration und die europäische Rechtsetzung eine normative Kraft, die nationale Gesetze relativiert.
d) Zentralismus
Der Zentralismus ist mithin ebenfalls eines der Kernelemente der französischen Demokratie. Der Prozess der nationalen Einheit Frankreichs vollzog sich im wesentlichen dadurch, dass die Monarchie den territorialen Feudalgewalten die Autorität der zentralen königlichen Verwaltung gegenüberstellte und damit ihren Führungsanspruch schrittweise untermauerte und durchsetzte. Die Zentralisierung durch die königliche Verwaltung im Ancien Régime wurde durch die Französische Revolution von 1789 weiterentwickelt, systematisiert und gleichzeitig auf eine demokratische Grundlage gestellt. In der Folge entstand eine für die damalige Zeit hochmoderne, rationalisierte, in ihren Grundzügen bis in die heutige Zeit gültige Verwaltungsstruktur, die erst mit den Dezentralisierungsgesetzen von 1982 nachhaltige Veränderungen erfahren sollte: Der Zentralstaat als alleiniger Inhaber der politischen Entscheidungsgewalt schuf sich eine pyramidale Verwaltungsstruktur mit den Departements als Hauptelement. Die Pariser Zentralgewalt war durch ein engmaschiges Netz nachgeordneter Behörden im gesamten Territorium präsent. Dabei kam dem – von der Pariser Regierung eingesetzten – Präfekten als Vertreter der Staatsgewalt im Departement mit ausgedehnten Handlungs- und Kontrollbefugnissen gegenüber den Gebietskörperschaften (Departements, Kommunen) eine Schlüsselrolle zu.
Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die zentralistische Verwaltungsstruktur sich nicht nur als Herrschafts-, sondern auch als Modernisierungsinstrument verstand, das im übrigen Europa seinerzeit als vorbildlich angesehen wurde. Dazu kommt, dass die mit der französischen Revolution entstandenen, bis heute gültigen Grundwerte des Republikanismus unter anderem die „eine und unteilbare Republik“, d. h. die Unteilbarkeit der staatlichen Volkssouveränität beinhalten. Der Zentralismus war ferner Instrument zur Durchsetzung der demokratischen Republik gegen ihre im 19. Jahrhundert noch zahlreichen Gegner und insofern eng mit der Idee des politischen, aber auch ökonomischen und sozialen Fortschritts verbunden, während regionalistische, partikularistische Kräfte bis ins 20. Jahrhundert überwiegend zu Recht als rückwärtsgewandt eingestuft werden konnten.
Insofern ist der Begriff des Zentralismus grundsätzlich eher positiv besetzt. Ungeachtet der seit 1982 fortschreitenden Dezentralisierung (→Kap. 4.3) gilt bis heute, dass der Zentralstaat als Garant der staatlichen Einheit und des Zusammenhalts der Nation gesehen und insofern positiv bewertet wird.
[22]e) Laizität
Der schon erwähnte Artikel 1 der Verfassung spricht auch von einer „laizistischen Republik“. Die strikte Trennung von Staat und Religion wurde nach erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzungen mit dem Gesetz von 1905 festgeschrieben. Hintergrund waren anhaltende Spannungen zwischen den Kräften der demokratischen Republik (der seit 1870 existierenden Dritten Republik) und antirepublikanischen, antidemokratischen bzw. monarchistischen Kräften, zu denen auch