Das skurrile Leben der Myriam Sanders. Melanie Müller

Читать онлайн.
Название Das skurrile Leben der Myriam Sanders
Автор произведения Melanie Müller
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783863321871



Скачать книгу

Schrift darauf ist mit Blattgold geprägt. Heaven & Hell Mixer in The Pearl. Bist du ein Engel oder ein Dämon? Rausfinden. Einladung gewährt Inhaber + 1 Gasteintritt.

      «Dies ist für heute Abend!», bemerkt sie und liest das Datum und die Uhrzeit, die unten abgedruckt sind. Noemi nickt. «Dies ist meine vorerst einzige Chance, damit du agieren kannst. Und ich kann lange genug von zu Hause wegbleiben, um diese Vereinbarung mit dir zu treffen. Ich werde mir noch Dessous kaufen, damit es realistisch ist, dass ich so lange weg bin, ich will keinen Zweifel an meiner Aufrichtigkeit lassen. Ich entschuldige mich, wenn das auch sehr kurzfristig ist, Myriam.»

      Sie schiebt die Einladung zurück in den Umschlag und steckt sie in Myriams Jacke.

      «In Anbetracht der Kürze der Zeit, verzichte ich auf eine Anzahlung. Es reicht, wenn du mir 500 Euro heute Nachmittag auf mein PayPal-Konto überträgst. Hier ist meine e-Mail-Adresse.»

      «Okay, das mache ich, kannst dich drauf verlassen.»

      «Und wenn ich erfolgreich meinen Job erledigt habe, bekomme ich noch einmal 500 Euro. Ist das in Ordnung für dich?»

      «Ja, alles gut. Abgemacht. Die Anzahlung heute Nachmittag und den Rest nach erfolgreichem Abschluss.»

      «Ich habe zwar ein Date mit Netflix und einer Flasche Scotch, aber ich nehme an, das kann warten.» Myriam öffnet die Wagentür für sie.

      «Und du wirst einen Gast mitbringen? Für den Anschein. Nicht viele tauchen alleine auf.»

      «Ah, verdammt. Ich dachte, du wärst mein Date.»

      «Sorry! Wenn du den Schlüssel hast, Myriam, bin ich ganz bei dir, wenn es dir gefällt.»

      Noemi gibt ihr einen warmen Kuss auf die Lippen, bevor sie in ihren eleganten Mercedes steigt.

      «Bis heute Abend!», gurrt sie. Myriam sieht zu, wie ihre Heckleuchten um die Ecke verschwinden. Sie ist eine Frau, die das Leben bereichern und in Unordnung bringen kann.

      Aber, hey, no risk, no fun? Ich bin mir nicht ganz sicher, was für einen Job ich für diese Nacht unterschrieben habe? Bin ich Verhandler? Den Schlüssel stehlen? Ich denke, ich werde einfach das tun, was ich immer tue. Spiel es nach Gespür. Vodoo, das ist doch alles Quatsch. Das Rätsel werde ich lösen. Bring einen Gast mit, hat sie gesagt. Wen könnte ich anrufen, um mich zu eskortieren? Eine hochkarätige Angelegenheit wie diese? Ich würde wie ein schmerzender Daumen herausragen, wenn es nicht die passende Begleitung wäre. Ich würde ein elegantes Mädchen an meinem Arm brauchen, um hineinzupassen. Aber wer? Und was ist das Pearl? So viel ich weiß, handelt es sich um einen angesagten Club in bester Charlottenburger Lage gegenüber dem Theater des Westens, zieht die Stars und Sternchen wie Justin Bieber, Sängerin Rita Ora, Mike Tyson, Fußballspieler und deutsche Schauspieler wie z.B. Nora Tschirner, ein Club mit edlem Ambiente an. Außerdem bucht der Club regelmäßig exklusive Live Acts wie FUTURE, Travis Scott oder Größen aus der deutschen Musikszene. Für Partyspaß sorgt dabei ein zehn Meter hoher Wasserfall im Lounge-Bereich, eine kraftvolle Soundanlage, der LED Dancefloor.

      Eine regelmäßige Veranstaltung im Partykalender des Clubs ist die After-Work-Party, die hier in Kooperation mit dem Radiosender 104.6 RTL veranstaltet wird. Immer donnerstags gibt es beim Ku‘damm neben den besten Hits zum Tanzen beim After Work auch eine Kleinigkeit zu Essen wie Pizza oder Fingerfood, das im Eintritt inbegriffen ist.

      Und da gehe ich heute Abend mit einer Begleitung hin. Thema: Himmel und Hölle. Ist wohl eine Sonderveranstaltung. Mal sehen, was mein Kleiderschrank dazu sagt. Das Finanzielle ist gesichert.

      Myriam geht zurück in ihr Büro. Annie lehnt am Schreibtisch. Sie umarmt den Ordner, den sie aus der Kanzlei des Anwalts mitgebracht hat. Sie sieht Myriam mit ihren großen blauen Augen an. Sie schüttelt den Kopf, um eine glänzende, braune Haarsträhne aus ihrem Gesicht zu entfernen.

      Myriam lächelt. «Was macht deine Beziehung?»

      Annie schüttelt den Kopf und sieht zu Boden.

      «Du bist nicht mehr bei dem Kerl? Wie heißt er?»

      «Todd? Nein. Er hat sich als echter Idiot erwiesen», erwidert Annie. «Außerdem haben wir nie richtig zusammen gepasst, weißt du – da wo es zählt.»

      «Hast du heute Abend irgendwelche Pläne?»

      «Ich? Nein», antwortet sie.

      «Willst du mit mir zu einer Party gehen?» Annie sieht verblüfft aus.

      «Oh, danke, aber ich stehe nicht auf Mädchen.» Myriam ist nicht überrascht, denn das wusste sie.

      «Nein, es ist nichts dergleichen. Arbeitssache. Ein bisschen Geselligkeit, vielleicht einige Informationen mit geringem Einfluss.»

      «Klingt irgendwie lustig. Sicher!»

      «Großartig. Dies ist eine schicke Angelegenheit, wenn du ein Kleid hast, das für den Rahmen angemessen ist?»

      Ihr Gesicht leuchtet auf.

      «Ich habe ein Kleid von meinem Abschlussball! Es ist so ein wunderschönes Teil, ich wollte es immer wieder tragen.»

      Myriam lächelt. «Dann ist es ein Date. Ich hole dich um einundzwanzig Uhr ab.»

      Zurück in ihrer Wohnung nimmt Myriam ein Bad mit Duftschaum und entspannt sich. Wohlig räkelt sie sich im warmen Wasser, legt noch eine Maske auf und wartet, bis sich das Gesicht zusammenzieht, als sie trocknet, um dann alles wieder abzuspülen. Dann noch Haare waschen und Maske abziehen. Beim Anziehen lässt sie sich viel Zeit. Sie wählt ein Cocktailkleid, das seit der letzten Party am anderen Ende des Schranks hängt. Ein schwarzer Hauch von Nichts. Der Saum bedeckt kaum ihren runden Po. Da der Rock die Grenze zwischen Himmel und Hölle selbst überspannt, nimmt sie an, dass er für eine Heaven & Hell-Party ausreichen würde. Aber zuerst legt sie sich eine schwarze Spitzenkorsage an und einen schwarzen Spitzentanga. Schwarze Nylons vervollständigen das Bild. Myriam betrachtet sich in einem Ganzkörperspiegel und ist mit ihrem Anblick zufrieden.

      Das dunkelblonde Haar steckt sie in eine Hochsteckfrisur als Hommage an ihre Klientin, Frau Noemi Moretti, und verschönert sich mit rauchigem Lidschatten und ein bisschen Rouge, um ihre Wangen zu betonen. Ihre kürzeste schwarze Lederjacke passt perfekt zu dem Kleid, und sie trägt knallrote High Heels dazu.

      So ausgestattet, gibt sie ein gutes Bild ab. Sie nimmt ihr femininstes Taschentuch, steckt es zu dem kleinen Revolver in ihre schwarze Abendtasche und tritt in die Nacht hinaus.

      Myriam hält vor Annies Haus. Eine Wohnung, in der sie noch bei ihren Eltern wohnt. Ein Anruf und vier Minuten später bewegt sie sich vorsichtig mit Stöckelschuhen die Vordertreppe hinunter, die dem kleinen Mädchen eine gewisse Größe verleihen. Ihr Kleid ist überraschend elegant. Das Mädchen sieht aus wie eine Debütantin, als sie so auf Myriam zutippelt. Sie klettert auf den Vordersitz und sieht sie mit ihren großen, blauen Augen an, die mit den dunklen Akzenten ihres Make-Ups leuchten.

      Zwischen den Sommersprossen auf ihren Wangen funkelt Glitzer. Sie lächelt und fragt: «Sieht das gut aus?»

      «Ja, du siehst toll aus! Wir fahren zum Club The Pearl, der zurzeit äußerst angesagt ist.» Während sie fahren, flucht Myriam innerlich.

      Wie sexy meine Assistentin aussieht! Der Geruch ihres Parfums und meine überaktive Libido.

      Jedes Mal, wenn Myriam einen Gang wechselt, reiben sich die nackten Beine aneinander, was sie nur noch mehr erregt. Annie weiß es nicht, aber in diesem Moment ist sie wie ein T-Bone-Steak, das über einem Löwenkäfig baumelt. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis das Fegefeuer in Sicht kommt. Ein gehobener Club gegenüber dem Theater des Westens. Zwei Scheinwerfer laufen mit ihren brennenden Strahlen über den Himmel. Einer hellrot und der andere bläulich weiß. Himmel und Hölle streiten sich um das Fegefeuer. Nette Geste. Annies Augen schauen aus dem Beifahrerseitenfenster. Ein bisschen schicker als sie es erwartet hat.

      «Wow», sagt sie. «Ich weiß nicht, ob ich hier reinpasse.»

      Myriam spottet. «Oh, ich denke, du wirst gut passen.»

      Myriam