Seewölfe - Piraten der Weltmeere 240. John Roscoe Craig

Читать онлайн.
Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 240
Автор произведения John Roscoe Craig
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954395767



Скачать книгу

wäre, hätten die beiden Männer nicht geistesgegenwärtig zugepackt.

      Er spuckte Wasser und keuchte, und sein erster Blick galt dem Vormast. Noch wurde er von den Wanten und Stagen gehalten, aber Hasard meinte, ihn heftiger schwanken zu sehen als sonst. Offensichtlich hatten sich die Wanten unter der Kraft des Sturmes wieder gedehnt, obwohl der Seewolf sie hatte durchsetzen lassen.

      Seine Augen weiteten sich, als er etwa drei Faden über den Decksplanken des Vorschiffes eine Bruchstelle im Vormast entdeckte. Ein handbreiter Riß zog sich über eine Elle quer durch den Mast. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Wanten brechen und der Mast ohne Halt aufs Deck der „Isabella“ krachen würde.

      Auch Matt und Blacky hatten den Riß im Vormast entdeckt. Blacky schrie etwas zum Vorschiff hinauf, und Gary Andrews beugte sich über die Saling. Er schien zu wissen, was sich unter ihm abspielte, denn der Seewolf sah, wie er sich loszurrte und einen günstigen Moment abwartete, in dem er sich über die Saling schwingen und über die Webleinen der Backbordwanten hinunter an Deck hangeln konnte.

      Dan O’Flynn war noch schneller als er, obwohl er erst nach Gary aus dem Mars geklettert war. Sie konnten sich gerade noch an der Nagelbank vor dem Mast festklammern, als der Bug der „Isabella“ sich senkte, tief in ein Wellental tauchte und von einer schweren See überrollt wurde, ehe er sich wieder aufrichten konnte.

      Die Sekunden danach, als das Wasser gurgelnd wieder ablief, nutzten der Seewolf, Matt Davies und Blakky, um auf das Vorschiff zu gelangen. An Steuerbord tauchten plötzlich Batuti und Smoky auf, nutzten ebenfalls die Pause, die der Orkan ihnen vergönnte, und hasteten auf die Nagelbank vor dem Mast zu, an den sich schon Gary Andrews und Dan O’Flynn klammerten.

      Hasard und Matt Davies starrten sich an.

      „Wir müssen eine Spiere nehmen, sonst verlieren wir den Mast!“ brüllte der Seewolf.

      Matt nickte. Er hatte verstanden, wartete den nächsten Brecher ab, und als der Seewolf sich kurz darauf zu ihm umwandte, war Matt verschwunden. Ein Schreck durchzuckte Hasard. Er dachte schon, Matt wäre über Bord geschwemmt worden, doch er atmete auf, als er ihn Sekunden später auf der Kuhl sah.

      Ferris Tucker war plötzlich neben Matt. Andere Schatten bewegten sich neben ihnen. Der Seewolf sah, daß Stenmark und Bob Grey nicht mehr an der Lenzpumpe arbeiteten. Wahrscheinlich hatte Tucker sie dort weggeholt, weil es sinnlos war, die Pumpe bei den immer wieder über Deck gehenden Wassermassen zu betätigen.

      Die Männer auf dem Vorschiff hatten Mühe, den peitschenden Schlägen der losgerissenen Halsen und Schoten auszuweichen. Ferris Tukker stand wie aus dem Deck gewachsen plötzlich neben dem Seewolf.

      „Wir müssen die Fockrah nehmen!“ brüllte er. „Wir können die Luken nicht öffnen, wenn wir nicht absaufen wollen!“

      Seine letzten Worte gingen im Heulen des Orkans unter, aber Hasard hatte verstanden. Er war sich bewußt, was das bedeutete. Die Männer mußten die Wanten hinauf zum Mars, um die Rah zu lösen, und wenn sie es im falschen Moment taten, würde ihnen die Spiere um die Ohren fliegen und die gesamte Takelage der „Isabella“ in ihre Einzelteile zerlegen. Dazu war es ein Kampf gegen die Zeit. Mehr als eine halbe Stunde gab Hasard dem Mast nicht mehr. Der Riß hatte inzwischen die Länge eines Armes.

      Für Hasard gab es nichts zu überlegen. Er konnte den Männern befehlen, in die Wanten zu klettern und die Rah am festen Rack zu lösen, aber er wußte nicht, wen er der tödlichen Gefahr aussetzen sollte.

      Ferris Tucker brüllte etwas, das im Heulen und Tosen des Windes nicht zu verstehen war, aber da hangelte sich der Seewolf bereits in den Wanten hoch. Er mußte eine überrollende Woge abwarten, dann kletterte er weiter und erreichte die Unterseite der Saling.

      Das Kreischen des Holzes an der Rißstelle bereitete ihm fast körperliche Schmerzen. Er arbeitete schnell und geschickt. Mit einem kurzen Blick hinunter auf Deck sah er, daß Ferris Tucker die Männer eingeteilt hatte und darauf vorbereitet war, die Fockrah in der Senkrechten abzufieren.

      Der Schiffszimmermann selbst hatte seine Axt gepackt und begann, auf die Decksplanken dicht hinter dem Fockmast einzuhacken. Holzsplitter flogen. Stenmark und Batuti hielten das Tau, das Ferris Tucker sich um die Taille geschlungen hatte. Wieder zerrte ein Brecher an ihnen, aber sie hielten den Wassermassen stand.

      Dann war es soweit. Der Seewolf stand bereits wieder an Deck und faßte mit an. Die Backbordnock der Fockrah senkte sich. Schwielige Männerhände packten zu und hielten die Spiere in der Senkrechten. Auf einen Befehl von Ferris Tucker ließen die Männer los.

      Alle hielten den Atem an. Sie hörten das Krachen, mit dem die Spiere das Deck durchbohrte, und auf einmal stand die Fockrah fest wie ein Mast vor dem schwankenden Fockmast, der den nächsten schweren Brecher nicht überstehen würde.

      Blitzschnell waren die Männer dabei, die Spiere fest am Mast beizulaschen. Ferris Tucker schrie immer wieder Befehle, die sofort ausgeführt wurden. Einen Moment war noch das Knirschen des Mastes zu hören, dann brach wieder eine schwere See über sie herein.

      Jeder von ihnen wußte, daß dies die Bewährungsprobe für den angeschlagenen Mast war, und als das Wasser ablief, wußte der Seewolf, daß sie gesiegt hatten. Der Mast mit der angelaschten Spiere stand wie eine Eins.

      Er sah die vor Nässe glänzenden Gesichter seiner Männer, in denen der Triumph zu lesen war, daß sie einmal mehr den Gewalten der See getrotzt hatten, und Hasard spürte, daß dies einer der Augenblicke war, in denen er das Leben am meisten liebte.

      Sie hatten einen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten, und sie hatten ihn nur gewinnen können, weil einer für den anderen stand.

      „Er hält!“ brüllte Ferris Tucker gegen das Heulen des Windes. „Jetzt kann der Orkan noch tagelang blasen!“

      Lieber nicht, dachte Hasard, der sich hinunter auf die Kuhl gleiten ließ. Er sah, wie Dan O’Flynn zurück in den Fockmars kletterte und Geitau und Liek der Fock an der Steuerbordnock der Fockrah kappte.

      Er wollte zurück aufs Achterdeck, als er Fetzen von Dan O’Flynns Stimme hörte. Er krallte sich mit beiden Händen am Brooktau einer der Culverinen fest und starrte zum Fockmars hinauf.

      „Was ist los?“ brüllte er durch den Wind.

      „… Boot – Steuerbord voraus …“

      Hasard ahnte mehr, was Dan rief, als daß er es verstand. Ein Boot bei dieser schweren See? Er watete durch ablaufendes Wasser durch die Kuhl und duckte sich neben den Stufen, die hinauf zum Achterdeck führten, als eine Welle gegen das Schanzkleid donnerte und Gischt ihm in die Augen trieb. Gleich darauf hatte er die Stufen erklommen und stemmte sich gegen den Sturm an der Galerie entlang nach Steuerbord.

      Da! Jetzt hatte er es für einen kurzen Moment gesehen. Es war tatsächlich ein Boot. Eine Nußschale, nur wenig größer als das Boot, das sie auf der Kuhl mit sich führten. Es hatte einen Mast, an dem sogar noch ein kleines Segel flatterte, aber in den unberechenbaren Winden des Orkans war es nutzlos. Er sah, wie sich das Boot auf dem Kamm eines Wellenberges einmal um sich selbst drehte, dann war es wieder hinter Bergen von kochendem Wasser verschwunden.

      Carberry tauchte neben Hasard auf. Auch er hatte das Boot gesehen. Hasard machte ihm Zeichen mit der rechten Hand, und Carberry verschwand zum Ruderhaus hinüber. Es würde nicht einfach sein, der „Isabella“ ohne Segel einen anderen Kurs zu geben, aber versuchen mußten sie es.

      Es war ein Wunder, daß das Boot noch schwamm. Es sah aus, als würde es immer wieder von dem gepeitschten Wasser ausgespuckt. Einmal sah Hasard drei Schatten in dem kleinen Boot. Einer der Insassen trug ein weißes Hemd, das durch die Dunkelheit leuchtete.

      Sie näherten sich tatsächlich einander. Auch die drei Menschen in dem kleinen Boot hatten ihre Chance erkannt. Der Mann mit dem weißen Hemd tat das einzig Vernünftige, was ihm in dieser Situation übrigblieb: Er kappte die Schot des kleinen Luggersegels, das sofort vom Orkan erfaßt wurde und mitsamt der Spiere davonflog. Es war, als hätte einer der Titanen tief Luft geholt und alles in sich eingesogen.

      Der Seewolf preßte die Lippen aufeinander.