Seewölfe - Piraten der Weltmeere 610. Burt Frederick

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Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 610
Автор произведения Burt Frederick
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966880244



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vergangenen Tage hatten die Kerle nicht zum Aufgeben zwingen können. Sie waren mindestens so hartnäckig wie Bluthunde. Die Erfahrungen aus den Atlantiküberquerungen zurückliegender Monate und Jahre gaben ihrer Gier Nahrung.

      So ein Konvoi von mehreren Auswandererschiffen geriet durch die Naturgewalten meist in größte Schwierigkeiten. Oft wurden Verbände im Sturm auseinandergetrieben. Dann brauchte man sich nur auf ein einzelnes, möglichst noch manövrierfähig treibendes Schiff zu stürzen.

      Es entsprach der Niedertracht dieser Kerle, daß sie imstande waren, Menschen auszurauben, die alle Brücken hinter sich abgebrochen hatten und auf ein neues Leben in einer ungewissen Umgebung hofften.

      Hasard hatte sie kurz nach dem Ankeraufgehen zur Rede gestellt. Aber sie hatten ihm hohnlachend erklärt, daß sie hinsegeln könnten, wo sie wollten. Sie seien ihm keine Rechenschaft schuldig, und ebensowenig habe er das Recht, ihnen einen bestimmten Kurs vorzuschreiben. Wenn ihr Kurs auch der seine sei, so handele es sich dabei eben um einen reinen Zufall.

      Dieser „reine Zufall“ würde noch eine Menge Verdruß bereiten, da gab es keinen Zweifel.

      „Sie verstehen ihr Handwerk“, sagte Dan O’Flynn, der neben den Seewolf getreten war. „Daß sie uns im Sturm nicht aus den Augen verloren haben, ist schon eine Leistung.“

      Hasard nickte und ließ das Spektiv sinken. „Behalten wir sie also mindestens genausogut im Auge wie sie uns.“ Er schob das Spektiv zusammen. „Was hältst du vom Wetter?“

      Dan bewegte unsicher den Kopf von einer Seite zur anderen. „Eigentlich müßtest du meinen Old Man fragen, ob sich in seinem Holzbein was rührt.“

      „Und wenn ich dich frage?“ entgegnete der Seewolf und grinste. „In deiner Funktion als Navigator und Wetterfrosch?“

      Dan setzte eine gewichtige Miene auf. „In Ordnung. Also, ich halte es für trügerisch. Es ist viel zu schön, um wahr zu sein.“

      „Wir haben Juni, Dan.“

      „Richtig. Aber das will überhaupt nichts heißen. Hatten wir nicht einen Mai, der nur ein besserer April war?“

      „Was läßt sich deiner Meinung nach daraus folgern?“

      „Nach dem Sturm werden wir das genaue Gegenteil kriegen.“

      „Flaute?“

      „Ich bin sicher.“

      „Mir scheint, du hast dich von Bens Betrachtungsweise anstecken lassen.“ Hasard spielte auf Ben Brightons Neigung an, einer Sache erst einmal mit viel Skepsis und Mißtrauen zu begegnen.

      Dan schüttelte energisch den Kopf. „Sieh es dir an.“ Er deutete auf die prallstehenden Segel. „Dieser Nordost ist ein falscher Hund. Ich spür’s in allen Knochen. Er beschert uns eine Sonnenglut, daß man denken könnte, wir segeln im Hochsommer auf dem Mittelmeer. Das ist nicht normal. Ich sehe unsere Segel schon als schlaffe Lappen.“

      „Und du kannst von uns allen am besten sehen“, sagte Hasard augenzwinkernd. „Daran gibt’s leider nichts zu deuteln.“

      Dan mußte lachen. Es stimmte, er hatte die schärfsten Augen von allen Arwenacks. Das zweite Gesicht, wie es sein Vater gelegentlich für sich in Anspruch nahm, hatte er deswegen aber noch lange nicht.

      Er wollte es Hasard auseinandersetzen, wurde aber daran gehindert, da Ben Brighton ihn und den Seewolf mit einem Zischlaut auf das Geschehen an Deck hinwies.

      Hasard und Dan wandten sich nach vorn.

      Die drei Passagiere lustwandelten.

       2.

      Sir William Godfrey, Frank Davenport und Alec Morris ignorierten die Blicke der Männer, nachdem sie ihre Unterdeckskammern verlassen hatten und sich mit offenen Brokatjacken schlendernd in Richtung Vorschiff bewegten.

      „Ein herrlicher Tag“, sagte Sir William schwärmerisch. „Und diese rauhe Atlantikluft, verbunden mit den wundervoll wärmenden Sonnenstrahlen! Einfach himmlisch!“ Er verdrehte verzückt die Augen. „Laßt es uns genießen, Freunde. Nach den furchtbaren Strapazen der letzten Tage haben wir es weiß Gott verdient.“

      Davenport und Morris musterten ihn argwöhnisch von der Seite.

      „Alter Schluckspecht“, sagte Morris respektlos. „Mit was hast du schon wieder gegurgelt, als wir nicht dabei waren?“

      „Paß bloß auf“, fügte Davenport feixend hinzu. „Die Sonne läßt dir glatt den Absinth unter der Schädeldecke kochen.“

      Sir William schüttelte sich in gutgespieltem Ekel. „Absinth! Ich hoffe, den Tag nicht erleben zu müssen, an dem ich mich herablassen müßte, so ein Zeug zu trinken. Im übrigen, Gentlemen, halte ich Ihre Anspielung für unverfroren. Ich bin völlig nüchtern und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.“

      Davenport und Morris wechselten einen Blick. Der gute Sir William hatte diesen bewußten Tag fast täglich erlebt – in London. Allerdings war er dann stets nicht mehr im Vollbesitz der erwähnten Kräfte gewesen, so daß er den mangels Geld georderten Fusel schlicht vergessen hatte.

      Sie erreichten das Vorschiff und waren allein. Die Mannschaft des Seewolfs ging ihnen sowieso meist aus dem Weg. Für die Gentlemen war das noch lange kein Grund, darüber nachzudenken, ob ihr Verhalten möglicherweise die Ursache dafür sein könne, daß die Männer an Bord den Kontakt mit ihnen mieden, solange es nur irgendwie ging.

      Sie fühlten sich nach wie vor als die wichtigsten Personen auf der Schebecke, wurden ihrer Meinung nach aber nicht so respektvoll behandelt, wie es ihrem gesellschaftlichen Status entsprochen hätte. Alles, was sie versucht hatten, um sich Killigrew gegenüber durchzusetzen, war zwecklos gewesen.

      Er verließ sich einfach darauf, daß er bei der Königin einen Stein im Brett hatte. Leider konnte er sich tatsächlich darauf verlassen. Obwohl sie, die hochwohlgeborenen Gentlemen, ebenfalls im Auftrag der Königin reisten, schien Killigrews Wort schwerer zu wiegen. Sie hatten es nicht geschafft, sich gegen ihn durchzusetzen. Und das, obwohl sie alle nur erdenklichen Register gezogen hatten.

      Sie hatten sich mit dem beklagenswerten Schicksal abgefunden, für die Dauer der Reise nach Virginia als normale Menschen behandelt zu werden. Dabei hatte die Königin sie beauftragt, den weiteren Aufbau der jungen Kolonie zu leiten. Eine bedeutende Aufgabe, durchaus ihrem Rang und ihren Fähigkeiten entsprechend.

      Natürlich war es ihre höchstpersönliche eigene Sache, wenn sie beabsichtigten, sich in der Neuen Welt ein wenig nach Gold umzusehen. Und wenn aus dem „ein wenig“ die Hauptsache wurde, ging das letztlich auch niemanden etwas an.

      Eine Weile blickten sie schweigend auf die schäumende Bugsee hinunter. Die Brise, die über sie hinwegstrich, war lau und wie ein wohltuendes Streicheln. Die Sonnenstrahlen hatten eine beinahe sengende Kraft. Nach dem vorangegangenen Wüten der Naturgewalten war es gleichbedeutend mit einer unendlichen Entspannung.

      „Du bist also stocknüchtern“, stellte Frank Davenport mit einem Seitenblick auf Sir William fest. „Um so mehr wundert es mich dann, daß du auf einmal gegen alle Regeln der Vernunft verstoßen willst.“

      Alec Morris wußte augenblicklich, von was Davenport sprach. „Ich finde, wir sollten uns wenigstens auf die andere Seite begeben, wo wir den Schatten des Segels für uns haben – wenn wir uns schon im Freien aufhalten müssen.“

      Sir William Godfrey blickte seine adligen Gefährten mit überlegener Miene an.

      „Gentlemen“, sagte er tadelnd, „wie mir scheint, habt ihr euch in London vor allem dem Saufen, dem Fressen und der Hurerei gewidmet. An die Mehrung eures Wissens habt ihr offenbar nicht im mindesten gedacht.“

      Davenport und Morris starrten ihn an.

      „Und du willst uns erzählen, du hättest heute morgen nicht mit Absinth gegurgelt?“ prustete Morris los. „Los, hauch mich mal an!“

      Sir