Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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wurde, gewissermaßen darauf schwamm. Mit dieser Art der Technik ließ sich jedoch nicht die Schicht des caranto erreichen, die aus relativ festem Ton besteht und eine Dicke von drei bis fünf Metern hat. Es ist klar, dass die Technik des zattaron nicht geeignet ist, ein Fundament für größere Gebäude oder für solche aus Stein zu bilden. Deshalb entwickelte man – spätestens im 14. Jahrhundert, vermutlich aber schon früher – die Fundamentierung mittels Baumstämmen, die in die Tonschicht getrieben wurden. Dazu verwendeten jeweils zwei Männer den sogenannten mazzuolo, ein Gewicht mit zwei Henkeln, das über die Stämme gestülpt und dann rhythmisch auf das Holz geschlagen wurde – eine mühselige Tätigkeit. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Venedig praktisch auf einem riesigen Wald solcher Pfähle, den tolpi, errichtet ist. Diese Baumstämme (häufig Eiche oder Lärche) sind, wenn sie nicht mit Luft in Berührung kommen, also unter Wasser bleiben, praktisch unbegrenzt haltbar. 1874 hat man die Fundamente des Dogenpalastes untersucht und dabei festgestellt, dass die Pfähle auch noch nach fünfhundertdreißig Jahren völlig intakt waren. Der „einfache“ venezianische Palast wurde nicht auf einem kompakten Fundament dicht an dicht in den Boden gerammter Stämme erbaut, sondern es wurden nur die tragenden Mauern unterfangen. Diese Technik war ziemlich teuer, doch konnten die Fundamente bei späteren baulichen Veränderungen des Hochbaues bzw. auch bei völliger Neugestaltung des Palastes erneut benützt werden, was dann zwar ein neues Gesicht des Palastes ergab, nicht dagegen eine neue Struktur. Anders war die Situation bei Bauwerken wie dem Dogenpalast, der auf einem dicht an dicht mit Stämmen besetzten Fundament errichtet wurde. In gleicher Weise ist z. B. auch das Fundament für die Kirche Santa Maria della Salute gelegt worden, wobei hier die unglaubliche Zahl von mehr als einer Million Stämmen genannt wird.

      Wie immer die unterste Schicht des Fundaments beschaffen war, auf sie wurde dann der zattaron verlegt. Das war eine doppelte Schicht von Lärchenbohlen, die mit Backsteinen zementiert wurden. Erst auf diese Schichten, die immer unterhalb des Wasserspiegels blieben und dort gewissermaßen versteinerten, wurde schließlich als Grundmauer das über dem Wasserniveau liegende Mauerwerk verlegt, das aus starken, quadratischen Blöcken aus istrischem Stein gebildet wurde. Mit dieser Schicht sollte verhindert werden, dass Wasser in die darauf errichteten Ziegelmauern drang. Um Gewicht zu sparen, war die Mauerstärke nicht gleichmäßig, sondern nahm nach oben zu ab. Für die Obergeschosse verwendete man Holz, und zwar sowohl für die Zwischendecken als auch für die Dachkonstruktionen.

      Dabei war die Bautechnik bei den Wohnhäusern und Palästen noch relativ unproblematisch. Schwieriger war es, wenn Gewölbe und Kuppeln vorgesehen waren. So ist es ohne weiteres einleuchtend, dass in Venedig keine wirklich großen Kuppeln existieren: San Marco besitzt nur vergleichsweise kleine Kuppeln, und die erste größere wurde von Baldassare Longhena für die Salute-Kirche realisiert, auch diese „nur“ mit einen Durchmesser von etwa achtzehn Metern (Brunelleschis Kuppel des Florentiner Doms hat dagegen eine Spannweite von vierzig Metern). Lange Zeit ist man in der Lagune dem Gewölbebau ausgewichen und hat in den Kirchen offene hölzerne Dachkonstruktionen bevorzugt. Die größten statischen Schwierigkeiten gab es naturgemäß beim Bau der campanili, wo große Gewichte auf kleinen Flächen nicht zu vermeiden waren. Es überrascht nicht, dass viele der Türme im Laufe der Zeit einstürzten und dass einige heute eine beträchtliche Neigung aufweisen.

      Baumaterialien

      Drei Baumaterialien spielen in Venedig eine entscheidende Rolle: Ziegel, Stein und Holz. An der „Baustelle Venedig“ gab es aber keinerlei Baumaterialien und ihr einziger Vorteil war, dass die erforderlichen Baustoffe kostengünstig per Schiff herantransportiert werden konnten. In den ersten Jahrhunderten baute man aus Holz (auch den ersten Dogenpalast), doch für eine Stadt mit wachsender Bevölkerungszahl und immer größerer politischer Bedeutung wurden schließlich dauerhaftere Lösungen erforderlich.

      Es bot sich zunächst die Verwendung von Backstein an. Auf dem oberitalienischen Festland hatte sich schon in römischer Zeit eine blühende Ziegelindustrie entwickelt, die vermutlich auch nach dem Untergang von Westrom ihre Aktivität nie ganz eingestellt hatte. Auch konnte man dieses Material aus römischen Städten wie Aquileia oder Altino beziehen, die nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches entvölkert waren, so dass dortige Gebäude abgerissen und die Steine abtransportiert werden konnten. „Wiederverwendete römische Ziegel sind an ihrer geringen Größe und ihrer flachen, dachziegelartigen Form zu erkennen und noch heute an einer ganzen Reihe von alten Bauwerken in Venedig zu sehen.“ (Goy) Später kamen über Jahrhunderte hinweg die Ziegel aus Fertigungsstätten in die Stadt, die in der Umgebung von Mestre lagen. Wurden besonders hochwertige Ziegel benötigt, so bezog man diese aus der Gegend von Treviso oder Ferrara. Der Ziegel erwies sich wegen seines relativ geringen Gewichtes für das Bauen in der Lagune als besonders geeignet. In Verbindung mit einem weichen Mörtel ließen sich Mauern errichten, die sich den Gegebenheiten in der Lagune, so z. B. dem langsamen und ungleichmäßigen Absinken der Fundamente, vergleichsweise gut anpassen konnten. Zwar dominiert an vielen Stellen das strahlende Weiß der Fassaden von Kirchen und Palästen, doch sind diese Fassaden in der Regel massiven Ziegelmauern nur vorgeblendet. Das warme Rot des Backsteins schlägt auch heute noch den farblichen Grundton in der Stadt an. Allerdings haben Ziegel den Nachteil, gegenüber Witterungseinflüssen empfindlich und vergänglich zu sein, so dass man in der Stadt allenthalben bröckelnde Mauern vorfindet, was freilich auch zum morbiden Reiz beiträgt. Um diesen Nachteil auszugleichen, sind die Hausmauern aus mehreren Schichten erbaut, wodurch es möglich wird, die äußere, den Einflüssen der Witterung am stärksten ausgesetzte Schicht einfach zu ersetzen, ohne dass dadurch die Bausubstanz des Gebäudes angetastet würde. Früher waren die Ziegelmauern in der Regel verputzt und häufig auch bemalt.

      „Als die Stadt dann allmählich an Größe, Reichtum und Bedeutung zunahm, erwies es sich als notwendig, eine Bezugsquelle für Stein ausfindig zu machen, um die wichtigsten Bauwerke auszuschmücken und imposanter zu gestalten.“ (Goy) Auch hier behalf man sich zunächst damit, verlassene römische Städte der terra ferma, des östlichen Oberitaliens, als Steinbrüche zu verwenden. Doch war auf diese Weise der Bedarf an Steinen nicht auf Dauer zu befriedigen. Das zweite wichtige Baumaterial für die Stadt wurde daher die sogenannte pietra d’Istria oder „Istrischer Marmor“, ein Kalkstein, der auf der Halbinsel Istrien, spätestens seit 1085 venezianischer Besitz, gebrochen wurde. Die dortigen Steinbrüche lagen unmittelbar an der Küste, so dass das Material ohne Probleme verschifft werden konnte. Dieser Stein ist ausgesprochen hart und dauerhaft, dabei aber relativ leicht zu bearbeiten, und er hält dem venezianischen Klima als einziges Material stand, weil er kaum zum Verwittern neigt. Die Venezianer waren sich der günstigen Eigenschaften der pietra d’Istria durchaus bewusst, schrieb doch Francesco Sansovino: „Wie schön und bewundernswert ist die Materie dieser lebendigen Steine; sie sind weiß und gleichen dem Marmor, aber dicht und stark, so dass sie auf sehr lange Zeit dem Eis und der Sonne widerstehen.“ Die Republik finanzierte eine eigene Flotte, um dieses Material nach Venedig transportieren zu lassen. Jedes der Schiffe konnte zweihundert Tonnen befördern und musste mindestens fünf Reisen pro Jahr absolvieren. Beide Materialien, Backstein und pietra d’Istria bestimmen das Erscheinungsbild der Stadt entscheidend. Bewirkt der Backstein eine weiche, malerische Note, so wirken die aus Istrischem Marmor geformten Gebäude eher graphisch.

      Das dritte wichtige Baumaterial war Holz, von dem gewaltige Mengen benötigt wurden, nicht nur für die baulichen Maßnahmen selbst, sondern auch für den Schiffbau und natürlich zum Heizen. Um den Bedarf zu decken, holzte man zunächst die Pinienwälder der Küstenregionen ab. Doch erkannte man bald die ökologische Bedeutung dieser Wälder, die die Bodenerosion der Küsten verhinderten, und bezog deshalb das Holz künftig aus Istrien, dem nördlichen Venetien, dem Friaul und den Alpentälern. In der Gegend der Barbaria delle Tole bei der Kirche Zanipolo existierten einmal große Sägewerke, in denen die angeflößten Stämme weiterverarbeitet wurden. Erst Anfang des 16. Jahrhunderts wurden diese Anlagen an die Zattere verlegt. Für Gebäudeteile, die der Witterung ausgesetzt waren, bevorzugte man Holzarten wie Lärche, Fichte, Eiche und Ulme. Die Lärche wurde auch gerne zur Fundamentierung der Gebäude verwendet. Dachstöcke und Fußböden der Paläste waren häufig aus Eiche.

      Daneben gab es noch eine Vielzahl weiterer Baumaterialien. Erwähnt sei insbesondere das Blei, mit dem fast alle offiziellen Gebäude der Stadt, aber auch alle Kuppeln gedeckt sind. Von geringerer Bedeutung ist der Broccatello, der rote