Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Название Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden
Автор произведения Max R. Liebhart
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960180685



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eher klein, trotzdem waren die Probleme ihrer Erbauer oft groß: Die Steinbögen brauchten Halt, die Boote ungehindert Durchfahrt, die Fußgänger bequemen Anstieg. Der Ausgleich war nicht einfach, und so ist auch keine Brücke wie die andere, nicht einmal die am selben Kanal.“ (Huse) Mit Ausnahme des Ponte tre archi über den Canale di Cannaregio haben alle dieselbe Grundform, die den jeweiligen Anforderungen angepasst wurde: Ein gemauerter Bogen überspannt den Wasserlauf, meist als Segmentbogen, selten in Form eines Halbkreises. Darüber liegt eine trapezförmige Rampenführung mit zweimaliger Knickung des Geländers. Interessant ist, dass es sich hier offensichtlich um eine Urform der Brücke schlechthin handelt, da man ihr nicht nur in Venedig, sondern häufig auch auf dem Balkan, jedoch auch bis hin nach China begegnet. Die Anmut von Venedigs Brücken ist oft besungen worden, so auch von Eckart Peterich:

      Venedigs hundert Brücken sind wie Brauen

      in deren Bögen grüne Blicke glänzen

      mit jenem feuchten Schauen,

      das bis zum Herzensgrund, bis zu den Grenzen

      der Seele dringt: süß wie in Liebeslenzen

      der Blick der Frauen.

      Campi: Die Plätze, insbesondere die größeren, sind bis heute Zentren des öffentlichen Lebens der Stadt und der Kommunikation zwischen den Menschen. In Venedig war man besonders stolz auf die vielen campi und auf die Tatsache, dass man sich den Luxus leisten konnte, so viel Grund und Boden für sie zur Verfügung zu haben (was in Städten des italienischen Festlandes aus Verteidigungsgründen nicht der Fall war). So schrieb Franceso Sansovino Ende des 16. Jahrhunderts: „Und wenn man die Summe der unbebauten Flächen der Stadt zusammenrechnete, entstünde ein riesiger Platz, auf dem man eine weitere große Stadt errichten könnte“. Der Grundriss der campi ist häufig L-förmig und es gibt in der Regel einen direkten oder zumindest nahen Zugang zum System der Kanäle. Meistens findet man hier Kirchen mit den ihnen zugeordneten scuole, außerdem säumen palazzi die campi. Deren landseitige Portale waren eigentlich nur die Nebeneingänge, während die Haupteingänge am jeweiligen rio lagen. Die Lücken zwischen den Kirchen und Prachtbauten füllen die Wohnhäuser für die Bevölkerung. „Ursprünglich waren die Plätze Venedigs lehmige, sandige Areale, festgetreten oder von Regen und Fluten schlammig, campi, Felder eben. Im 13. Jahrhundert begannen die Venezianer, ihre Plätze zu pflastern, allen voran die Piazza San Marco, doch nicht mit den grauen, würdigen, etwas abweisenden Steinplatten mit ihrem strengen Marmormuster, die wir kennen – diese wurden im 18. Jahrhundert verlegt –, sondern im Fischgratmuster aus roten Ziegeln. Auf dem Campo Madonna dell’Orto sowie auf dem einige Schritte weiter östlich gelegenen Campo dell’Abbazia findet man diese mittelalterliche Atmosphäre auch heute noch“ (J. Rüber). Eine Sonderform der campi stellen die corti, die öffentlich zugänglichen Höfe dar. Beispiele aus der frühen Zeit der Stadtentwicklung sind in der Gegend des Rialto zu finden, so z. B. die Corti del Milion, Amadei oder Morosini. „Die baulichen Komplexe, die sie ursprünglich bedienten, waren vermutlich relativ autarke Gebilde, entstanden in einer Zeit, in der es in der Realität, und vielleicht sogar in der Vorstellung, einen gemeinsamen Stadtraum als Zusammenhang noch gar nicht gegeben hat.“ (Huse).

      Brunnen: Wichtigster Teil der Ausstattung der campi sind die für Venedig typischen Brunnenköpfe, „vere da pozzo“ oder kurz „pozzi“ genannt. „Venezia è in acqua ma non ha acqua – Venedig steht im Wasser, aber hat keines“, heißt es bei Marin Sanudo Anfang des 16. Jahrhunderts, der mit diesen Worten die Bedeutung des Süßwassers für die Stadt beschreibt. Bei den Anlagen handelt es sich nicht um Brunnen im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr um Zisternen, in denen das Regenwasser aufgefangen wurde. Für sie wurden quadratische Gruben mit einer Seitenlänge von etwa 13 m und einer Tiefe von 4–5 m ausgehoben. Ihre Wände wurden mit feuchter Tonerde ausgekleidet und auf diese Weise gegen das salzhaltige Grundwasser abgedichtet. In der Mitte der Grube wurde ein Rohr gesetzt und der Raum zwischen diesem und den Wänden der Grube mit Sand aufgefüllt. Der Sand diente als Filter für das eingeleitete Wasser, das sich am Boden der Zisterne ansammelte und mittels secchi (Kupfer­eimer) aus dem Rohr geschöpft werden konnte. Um das Ausheben der Gruben zu erleichtern, wurde auf mehreren campi deren Niveau angehoben, was dazu noch den Vorteil brachte, dass sich dadurch ein Schutz vor Verschmutzung durch Hochwasser ergab. Seit 1334 mussten die Besitzer von Gebäuden, die an einem campo lagen, das Regenwasser von den Dächern in die Zisterne leiten. Was oberhalb des Pflasters an Arbeiten anfiel, ging zu Lasten der Privatpersonen, die Erdarbeiten wurden von der Allgemeinheit bezahlt. Die Oberfläche der campi musste natürlich peinlich sauber gehalten werden, um eine Verunreinigung der Brunnen zu verhindern. Seit 1503 durften Schweine nicht mehr in der Nähe der Brunnen gehalten werden, und die Verkäufer von Geflügel, Fisch, Gemüse usw. mussten feste Bänke benützen und ihren Verkaufsstand sorgfältig sauber halten. Als die Bevölkerungszahl wuchs, reichte das Regenwasser nicht mehr aus und es musste Süßwasser von den Flussmündungen mit eigenen Schiffen in die Stadt gebracht werden. Dort wurde es, zumeist von Frauen, den bigolanti, eimerweise verkauft. Diese Frauen trugen jeweils zwei Eimer, die an einem Stock, dem bigolo hingen, den sie sich quer über die Schultern legten. – Die Brunnenköpfe sind überwiegend in Form eines Kapitells gestaltet. 1858 gab es 6.782 davon, heute sollen es noch 3.000 bis 4.000 sein. Heute dienen die Brunnen nur mehr als Zierde und sind fast alle zugeschüttet bzw. verschlossen. Venedig wird seit vielen Jahren über eine Fernleitung aus den Alpen mit Trinkwasser versorgt.

      Bautechnik

      Zahlreiche Untersuchungen beschäftigen sich mit diesem komplexen, umfangreichen Thema, aber letztendliche Klarheiten bestehen noch immer nicht. Eine grundlegende Äußerung von Zorzi sei hier zitiert:

      „Zwischen dem Venedig von heute und dem der Vorgeschichte gibt es eine eindeutig feststellbare Gemeinsamkeit, nämlich die bis in unsere Tage hinein in der kleinen Welt der venezianischen Lagunen benutzte Technik bei der Landgewinnung und beim Hausbau. Sie ist im wesentlichen die gleiche wie die, die von den Pfahlbauern eintausenddreihundert oder eintausendfünfhundert Jahre vor Christus bei der Trockenlegung der Seen und Sümpfe des Trentino, des Veronese und im Gebiet um den Gardasee angewandt wurde. Das Pfahlwerk, das die Basilika von San Marco trägt, die Millionen von Pfählen, die für den Bau der Rialtobrücke oder der Kirche Santa Maria della Salute in den Schlamm gerammt wurden, stammen geradewegs von den Pfahlbauten des Ledrosees oder von Fiavè ab, die tausend Jahre älter sind. Die Strohdächer jener traditionellen Bauten der Poebene mit ihrer typischen Form und den vier Abdachungen, die örtlich „casoni“ genannt werden, leiten sich wahrscheinlich von der Kultur her, die nach ihrem Zentrum ‚Este‘ benannt wurde und um 1000 vor Christus entstand. Dieselbe Struktur weisen die stolzen venezianischen Paläste auf, die alle mit ihren pyramidenförmigen Dächern mit den vier Abdachungen den primitiven paläovenetischen Hütten ähneln.“

      Dem ist kaum etwas Neues hinzuzufügen, man kann das allenfalls ergänzen. Das Bauen auf den Laguneninseln brachte eine Reihe von Anforderungen an bestimmte Techniken und architektonische Grundprinzipien mit sich. So war es zum einen erforderlich, das Gewicht des jeweiligen Gebäudes so gering als möglich zu halten, weswegen bevorzugt Ziegel in Verbindung mit Holz verwendet wurden. Es gibt auch die Theorie, dass man die Fassaden der Paläste mit Loggien und Maßwerk geöffnet hat, um Gewicht zu sparen. Zum anderen war es notwendig, dem Bauwerk eine möglichst große Flexibilität zu geben, weshalb man einen weichen Kalkmörtel verwendete. Schließlich war darauf zu achten, das Gewicht des Gebäudes so gleichmäßig wie möglich zu verteilen, um so einem punktuellen Absinken des Baugrundes vorzubeugen. „Das erreichte man mit den breiten, dichtverlegten Fußbodenbalken, die typisch für den venezianischen Palast sind. Diese Balken ruhten auf hölzernen Trägern, die in die Wände eingezogen waren, so dass das Gewicht sich gleichmäßig über die ganze Länge der Wand verteilte.“ (Goy) Die konsequente Beachtung dieser grundlegenden Prinzipien für das Bauen in der Lagune war erfolgreich, was sich aus der Tatsache ablesen lässt, dass man zwar an vielen Bauten der Stadt Risse in den Wänden sieht, dass jedoch nur wenige einsturzgefährdet sind. Auch Erdbeben, von denen es im Laufe der Jahrhunderte mehrere, zum Teil auch recht schwere gab, richteten keinen wesentlichen Schaden an, so auch nicht das Beben des Jahres 1968, das im Friaul so verheerende Zerstörungen verursachte.

      Das erste Problem, dem sich der Bauherr gegenübersah, der auf den Inseln des Rivus Alto ein Haus errichten wollte, bestand darin, dass er zunächst