Название | Große Errungenschaften der Antike |
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Автор произведения | Holger Sonnabend |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843806527 |
»Der Satz« – des Thales oder des Pythagoras?
Was ist aber nun mit Thales als Mathematiker? Hier gibt es Anlass zur Sorge. Schon in der Antike bestanden ernste Zweifel an den Urheberrechten des Thales für den »Satz des Thales«. Der »Satz des Thales«, so heißt es, sei in Wirklichkeit ein »Satz des Pythagoras«. Das kann etwas verwirren, weil, wie man ebenfalls aus dem Mathematik-Unterricht weiß, Pythagoras doch schon seinen »Satz« hat, nämlich die folgende grundlegende Erkenntnis der Geometrie: In einem rechtwinkligen Dreieck ist der Flächeninhalt des Quadrates über der Hypotenuse c (also die Langseite des Dreiecks) gleich der Summe der Flächeninhalte der Quadrate über den Katheten (den Kurzseiten des Dreiecks) a und b – besser bekannt unter der Formel a2 + b2 = c2. Nun war Pythagoras, ein jüngerer Kollege des Thales, der im unteritalischen Kroton eine Gruppe von lernwilligen Schülern um sich geschart hatte, sicher noch mehr an Mathematik interessiert als der Gelehrte aus Milet. Mit seinem Namen sind unter anderem verbunden die Theorie der Proportionen und die Lehre von den geraden und den ungeraden Zahlen. Und so würde zu ihm durchaus auch die Entdeckung jenes nach Thales benannten Lehrsatzes passen, der sich ja ebenfalls mit den geometrischen Eigenschaften des Dreiecks beschäftigt: Wenn in einem Dreieck die Ecke gegenüber der Hypotenuse auf einem Halbkreis über dieser Seite liegt, dann bildet diese Ecke einen rechten Winkel, oder, anders formuliert: Die Scheitelpunkte aller rechtwinkligen Dreiecke liegen über dem auf der Hypotenuse errichteten Kreis.
Definitiv kann die Streitfrage nach dem Copyright auf den »Satz des Thales« nicht entschieden werden. Als Argument pro Thales wird kaum gelten, dass Pythagoras seinen »Satz« sicher hat und man deshalb auch Thales großzügig einen »Satz« überlassen sollte. Nicht zu unterschätzen ist die angesprochene Tendenz der antiken Schriftsteller, Thales mit allen möglichen – und auch mit ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden – Lorbeeren zu versehen. Vielleicht kann man sich salomonisch auf den Kompromiss einigen, dass Thales auf jeden Fall das intellektuelle Rüstzeug gehabt hat, um einen solchen »Satz« aufzustellen. Sein treuester antiker Anhänger, der im 3. Jahrhundert n. Chr. schreibende Philosophie-Historiker Diogenes Laertios, der unerschütterlich an Thales als Erfinder des Thales-Satzes festhielt, wusste sogar noch von weiteren mathematischen Aktivitäten zu berichten. Während eines Aufenthaltes in Ägypten soll er die Höhe der Pyramiden aufgrund der Länge ihrer Schatten bestimmt haben, »indem er den Zeitpunkt benutzte, zu dem unser Schatten ebenso groß ist wie wir selbst.« Andere Quellen erzählen, Thales habe sich auch um die Seefahrt Verdienste erworben, als er ein Verfahren entwickelte, das es ermöglichte, die Entfernung zwischen Schiffen auf dem Meer zu errechnen. Gelungen sei ihm dies durch die konsequente Anwendung des sogenannten Zweiten Kongruenzsatzes, wonach Dreiecke dann kongruent sind, wenn eine Seite und die beiden angrenzenden Winkel gleich sind.
Platons Zorn auf die Mathematiker
Auf die weitere Geschichte der Mathematik in der Antike hat aber zweifellos Pythagoras den größeren Einfluss ausgeübt. Dafür steht vor allem der Name des Eudoxos aus dem kleinasiatischen Knidos, der im 4. Jahrhundert v. Chr. die Lehre von den Proportionen weiterentwickelte. Eudoxos ist allerdings auch ein Beispiel dafür, dass es in der Antike mitunter nicht ungefährlich war, Mathematiker zu sein. Wie der Schriftsteller Plutarch berichtet, nahm Eudoxos das an sich verdienstvolle Unternehmen in Angriff, die »Mathematik interessant zu machen«, indem er »Probleme, die durch theoretische und zeichnerische Beweisführung nicht zu lösen waren, durch ins Auge fallende mechanische Apparate unterbaute«. So führte er nach Plutarch das grundlegende Problem des Auffindens der zwei mittleren Proportionalen durch mechanische Instrumente zur Lösung, wobei er »ausgehend von krummen Linien und Schnitten nach deren Muster bestimmte Mittelwertzeichner konstruierte«. Dieser Versuch der Veranschaulichung mathematischer Probleme ließ den berühmten Philosophen Platon vor Zorn erbeben. Eudoxos und seine Anhänger, so wetterte er, zerstören den Adel und die Reinheit der Mathematik, »wenn sie aus der unkörperlichen Sphäre des reinen Denkens ins Sinnliche herabgleitet und sich körperlicher Dinge bediene, die vieler niedrigen, handwerklichen Tätigkeiten bedürfe«. Nach Plutarch war dieses harsche Verdikt die Geburtsstunde der Trennung von antiker Mathematik und antiker Mechanik. Gleichwohl gab es auch weiterhin Forscher wie Archimedes, für den mathematische Reinheit und praktische Anwendung in der Mechanik kein Widerspruch waren.
Der Tod der Mathematikerin Hypatia
Den Fortschritten in der Mathematik konnten solche akademischen Diskussionen nichts anhaben. Um 300 v. Chr. wirkte in der Wissenschaftsmetropole Alexandria Euklid, der wohl berühmteste Mathematiker der Antike, der auch die neuzeitliche Mathematik entscheidend beeinflusst hat. Die Planimetrie (die Lehre von der ebenen Geometrie), die Arithmetik und die Stereometrie zählten zu seinen bevorzugten Arbeitsgebieten. Einen Kommentar zu Euklid verfasste im 4. Jahrhundert n. Chr. der ebenfalls in Alexandria forschende Theon, der im Übrigen der Vater jener Hypatia gewesen ist, mit deren Name ein ziemlich düsteres Kapitel antiker Wissenschaft verbunden ist. Vom Vater erbte Hypatia das Interesse an der Mathematik und an der Philosophie, und in einer nach den damaligen Verhältnissen für Frauen singulären Weise engagierte sie sich öffentlich in der Forschung und in der Lehre. Bald geriet sie in Konflikt mit den führenden christlichen Kreisen in Alexandria – nicht so sehr, weil diesen eine solch exponierte Rolle einer Frau ein Dorn im Auge war, sondern eher, weil sie mit ihren philosophischen Überzeugungen den Interessen der Kirche in die Quere kam. Auf Anstiftung des Bischofs Kyrillos wurde Hypatia, der historische Prototyp aller Mathematikerinnen, im Jahre 415 n. Chr. von einer aufgebrachten Menge gelyncht.
Thales im Dienste des Kroisos
Thales von Milet war 1000 Jahre zuvor von solchen Anfeindungen verschont geblieben. Dazu bestand auch keinerlei Anlass, denn er hat sich, will man den Quellen einigermaßen Glauben schenken, den Herrschenden und den Mächtigen mehrfach als dienstbar erwiesen. Zu seinen speziellen Freunden zählte der Lyderkönig Kroisos, der in seiner latinisierten Namensform Krösus zum sprichwörtlichen Sinnbild für Reichtum wurde (den Kroisos im Übrigen durch die Ausbeutung der lydischen Bodenschätze und eine recht rigide Steuerpolitik erworben hatte). Im Jahre 547 v. Chr. unternahm Kroisos einen Feldzug gegen den Erzfeind, das östlich benachbarte Perserreich. Dabei ergab sich das Problem, wie das Heer über den Halys, den Grenzfluss zwischen Lydien und Persien, kommen solle. Die Lösung fand Thales, der sich in der Begleitung des Kroisos befand. Er legte einen Kanal an, in den er den Halys umleitete, und so konnte die lydische Armee bequem durch das nun trockengelegte alte Flussbett marschieren. Der Historiker Herodot, der offenbar nicht zur Fraktion der Thales-Freunde gehörte, wollte diese Leistung allerdings aus der Liste der Meriten des Wissenschaftlers aus Milet streichen. Seiner Meinung nach habe Kroisos mit seiner Armee den Halys ganz unspektakulär auf Brücken überquert. »Bei den Griechen aber«, so der missgünstige Geschichtsschreiber, »erzählt man sich überall, Thales aus Milet habe das Heer hinübergeschafft.«
Ein kapitales Missverständnis
Der Feldzug endete für Kroisos allerdings mit einer Katastrophe, sein Heer wurde vollständig aufgerieben, die Perser zerstörten seine Residenzstadt Sardes. Dabei war der Freund des Thales sehr optimistisch in den Krieg gezogen, hatte ihm doch das Orakel von Delphi, das er vor entscheidenden Aktionen regelmäßig zu konsultieren pflegte, prognostiziert, er würde, wenn er den Halys überschreitet, ein großes Reich zerstören. Zu spät erkannte der König, dass das Orakel immer zweideutige Antworten gab, was die Trefferquote der Auskünfte deutlich erhöhte. Als lydische Gesandte nach der Niederlage gegen die Perser mit einer Protest-Botschaft in Delphi erschienen, teilte ihnen das Orakel mit, Kroisos habe nicht richtig zugehört – das Reich, das er zerstören werde, sei nicht das der Perser, sondern sein eigenes gewesen.