Charlys Sommer. Anett Theisen

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Название Charlys Sommer
Автор произведения Anett Theisen
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783960148241



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Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte. „Soll ich Sie noch zu ihrem Zimmer begleiten?“, fragte er und sie warf lachend den Kopf in den Nacken.

      „So hat es auch noch niemand formuliert.“

      „Nun, bei jeder anderen Formulierung hätten Sie mir Hintergedanken unterstellt.“ Ernst sah er sie an, nur ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen.

      „Haben Sie welche? Hintergedanken, meine ich?“, fragte sie. Ihr dämmerte, dass es vielleicht die falsche Frage war. Zu spät.

      Sein Schmunzeln wurde breiter. „Darf ich?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern griff ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel, kaum dass seine Lippen ihre Haut berührten.

      „Gute Nacht.“ Eilig entzog sie ihm die Hand und unter seinem Blick stieg sie die letzte Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Erst als sie auf den Flur einbog, hörte sie seinen Gute-Nacht-Gruß. Aber sie war sich sicher, dass er dort wartete, bis ihre Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war.

      ***

      Sie hatte bestens geschlafen und auf den Sonnenaufgang auf dem Burgberg verzichtet. Stattdessen war sie, in alle Kissen und Decken des geräumigen Doppelbettes gekuschelt, erst lange nach Sonnenaufgang erwacht und hatte noch eine gute Stunde mit ihrem Handy in ihrem gemütlichen Nest verbracht.

      Dann hatte sie die Wasserkosten des Hotels kräftig in die Höhe getrieben und die Flasche guten Rotweins, die sie für den vorhergehenden Abend gekauft hatte, sicher im Tankrucksack verstaut, damit sie nach dem Frühstück sofort starten konnte. So faul begann sie selten den Tag und angesichts des strahlenden Sonnenscheins packte sie die Unruhe. Bestes Motorradwetter und sie vertrödelte die Zeit!

      Sie verließ ihr Zimmer und flitzte die Treppen hinab. Das Geländer fiel ihr einladend ins Auge, aber darauf hinabzurutschen wagte sie nicht.

      Er hatte auf sie gewartet. Das Telefon am Ohr und mit angespanntem Gesichtsausdruck schien er in eine Argumentation vertieft, doch er unterbrach das Gespräch und sprang auf, kaum, dass er ihrer ansichtig wurde. Der Frühstücksraum war ungefährliches Terrain, die Bezahlfrage stellte sich nicht und sie würde in spätestens einer guten Stunde unterwegs sein. Leichten Gemütes nahm sie seine Bitte, ihm beim Frühstück Gesellschaft zu leisten, an. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nach einem schnellen Kaffee und einem Brötchen auf die Hand, dehnte sie ihr Frühstück zu einer mehr als ausgiebigen Plünderung des Büffets aus.

      „Woher wussten Sie, dass Sie nicht umsonst warten?“, fragte sie schließlich.

      „Sie würden wohl kaum ohne Ihr Motorrad abreisen. Das stand unverändert an seinem Platz. Ich habe nachgesehen.“ Er wirkte verlegen und sie begann zu schmunzeln, versteckte es aber gleich hinter ihrer Serviette. Ihrem Einwand kam er zuvor.

      „Ihre Anwesenheit war das Risiko, umsonst zu warten, allemal wert, genauso wie die Geduld.“

      Jetzt wich sie doch seinem Blick aus und faltete übertrieben sorgfältig ihre Serviette zusammen. „Danke“, fiel ihr verspätet ein.

      „Ich danke Ihnen“, betonte er eindringlich und verwirrt sah sie auf.

      „Wofür?“

      „Ich bin beruflich sehr oft auf Reisen. Glauben Sie mir, ein Abend in solch angenehmer Gesellschaft wie der Ihren ist eine Sternstunde und eine Fortsetzung am Frühstückstisch fast zu schön, um wahr zu sein.“

      Sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen, aber sie hielt am Tisch aus, gesenkten Blickes. Erst, als sie sich sicher war, nicht doch dem übermächtigen Wunsch nach Flucht nachzugeben, sah sie ihn an. Mit liebevollem und nahezu väterlichem Lächeln beobachtete er ihren Kampf um Fassung. ‚Väterlich?’ Mit sichtlichem Ruck und aufsteigender Irritation warf sie ihre Serviette auf den Teller und erhob sich nun doch. „Was das anbetrifft, ich muss los.“ Sie haschte nach ihrem Zimmerschlüssel, der auf dem Tisch lag.

      „Nach …“, er zögerte, „… Hause?“ Ohne Hast erhob er sich ebenfalls und zeigte allenfalls mildes Interesse.

      Ihr Magen schickte ein warnendes Tingeln durch ihren Körper und sie nickte nur. „Und Sie?“

      „Berlin und anschließend Hamburg. Die andere Richtung.“ Sein Tonfall war leicht und irgendwie beruhigend und sie lachte.

      „Oh, ich fahre nicht direkt, es gibt hier einige nette Treffs, die einen Stopp wert sind.“ Und ungefährlich, weil dort genügend Menschen sein würden.

      Ihm voraus ging sie in die Lobby und zögerte am Fuß der Treppe. Sie wollte nicht unhöflich sein und ohne Abschied gehen, aber sie wusste auch nicht recht, was er als Abschied erwartete. Reichte ein unverbindlicher Gruß? Sie sah zurück, aber er bedeutete ihr, dass er auf sie warten würde. Kurz darauf stand sie neben ihm, komplett in Kombi, Tankrucksack und Helm in der Linken, ihre Kreditkarte in der Rechten, am Tresen des Empfangs.

      Die Rezeptionistin schüttelte den Kopf. „Ist bereits erledigt.“

      Verärgert schob Charly die Karte in die Tasche und angelte stattdessen einen zerknautschten grünen Schein hervor, den sie ihm unmissverständlich auffordernd entgegenhielt.

      „Denken Sie beim Tanken an mich“, lächelte er und hob eine elegante Laptoptasche vom Boden auf. Mit einem freundlichen Gruß zu der Frau hinterm Tresen, die mit sichtlichem Unbehagen die Situation beobachtete, drehte er auf dem Absatz um und verhinderte so, dass Charly ihm effektvoll das Geld vor die Füße werfen konnte. Mit wenigen schnellen Schritten holte sie ihn ein und wollte ihm gerade den Schein recht unzeremoniell in die Hand drücken, als äußerst unpassend sein Handy klingelte.

      Sie verpasste ihm einen Seitenblick der Kategorie ‚den Trick kenne ich’ und ging weiter zu ihrem Motorrad. Er war stehen geblieben und sie konnte ihn nicht mehr sehen, aber undeutlich hören. Sie spitzte die Ohren. Worte konnte sie keine unterscheiden, aber seine Stimme wechselte zwischen langmütiger Geduld und kompromissloser Argumentation. Sie war bereit, sich in den Sattel der Monster zu schwingen, als ihr die Gelegenheit bewusst wurde. Vorsichtig den Schein, den sie ärgerlich achtlos in den Tankrucksack gestopft hatte, glättend, ging sie zu seinem Wagen. Den Scheibenwischer bereits gelüpft, zögerte sie. Dienstreisen seien einsam, hatte er gesagt. Langsam ging sie zurück zu ihrem Motorrad. Sie suchte und fand einen Zettel und einen Stift, und im Portemonnaie noch einen Fünfziger.

      Nach drei Zeilen wickelte sie Papier und Geld zusammen und platzierte beides gut sichtbar. Mit einem Blick aufs Kennzeichen des Wagens tippte sie die Kombination in ihr Handy und schickte die Nachricht an ihren Vater. ‚Bin gespannt, ob er was herausbekommt’, schmunzelte sie.

      Der Fremde telefonierte noch immer. Eilig nun zog sie den Helm über die Ohren, saß auf und startete die Maschine. Im Losfahren sah sie, wie er mit enttäuschtem Gesichtsausdruck neben dem Geländer auftauchte und hob kurz grüßend die Linke vom Lenker.

      Wenige Straßenzüge später war alles vergessen. Vor ihr lagen kleine, kurvige Landstraßen bei bestem Motorradwetter.

      ***

      Der Umweg nach Stiege und anschließend sogar noch rauf nach Torfhaus war ein Muss, das sich gelohnt hatte. Selten war ihr so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Sie nahm die Linke vom Lenker, grüßte einen entgegenkommenden Motorradfahrer und klopfte seitlich an den Tank der Monster. ‚Den Großteil verdanke ich dir’, dachte sie liebevoll an ihr Motorrad gerichtet. ‚Erstaunlich, wie schnell man in Kategorien verschwindet. Letztes Jahr war es die Anfänger-Kategorie. Nichts war ich weniger als das. Aber kaum einer hat es bemerkt, weil sie mich übersehen haben. Bis sie das Nachsehen hatten, im wahrsten Sinne des Wortes.’ Sie lachte unwillkürlich. ‚Jetzt bin ich aufgestiegen und werde gesehen. Prompt hagelt es Respekt, Zweifel, Neid und Missgunst. Immerhin alles selbst verdient. Finanziell und fahrtechnisch.’

      Stolz durchrieselte sie.

      ‚Das ‚Spiel’ hat mit der Kleinen immer Spaß gemacht, aber mit dir ist es unvergleichlich. Auch da merke ich die Unterschiede. Sie wurde nie ernst genommen, heute haben mir mehr Opfer Paroli geboten als sonst. Oder es zumindest versucht. Das Wasser reichen konnte mir keiner.’