Charlys Sommer. Anett Theisen

Читать онлайн.
Название Charlys Sommer
Автор произведения Anett Theisen
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783960148241



Скачать книгу

fehlt noch was’, dachte sie. Erwartungsvoll schwieg sie ins Telefon.

      „Die Zehen tingeln“, gab er nach.

      „Ist das gut oder schlecht?“

      „Das wird mir am Montag hoffentlich der Doc sagen können.“

      ‚Er lacht wieder, gut. Vielleicht sollte ich trotzdem bei Steven nachhören’, überlegte sie und überhörte beinahe seine Frage nach Neuigkeiten. „Langsam gebe ich dir recht, das Kennzeichen der Monster zu ändern. Vorhin hat sich ein Porsche hinter mir verbremst und ich befürchtete schon, Notruf und Ersthilfe leisten zu müssen, aber er hat sich gefangen. Auffällige Farbe“, bemerkte sie noch. Natürlich gab er sich damit nicht zufrieden und sie diskutierten über das wahrscheinliche Modell. „Ich rufe dich an, wenn ich den T1 angeschaut habe“, sagte sie schließlich.

      „Geht klar, Engel. Und ras‘ nicht!“

      „Ich rase nie. Ich fahre zügig und bremse nur bei dringendem Bedarf“, schloss sie sehr würdevoll und legte schmunzelnd auf. Es war ihr Spruch, seit sie mit acht das erste Mal auf ein motorisiertes Zweirad gestiegen war.

      Gerade wollte sie das Handy in die Tasche stecken, da fiel ihr Blick aufs Display. ‚Fünf Anrufe?’ Sie klickte auf die Rufliste. ‚Gitta, wer sonst?’ Sie winkte dem Kellner, bestellte einen doppelten Espresso, und erst, als der vor ihr stand, atmete sie tief durch und drückte den Rückruf.

      „Schätzchen! Endlich meldest du dich, ich versuche schon den ganzen Vormittag, dich zu erreichen!“, tönte eine aufgeregte Stimme an ihr Ohr, kaum, dass es ein Mal geläutet hatte.

      „Hi Mam, dir auch einen guten Morgen.“ Sie verkniff sich den Hinweis, dass der Vormittag erst halb vorüber war. Nicht gleich einen Streit vom Zaun brechen. Charly mochte ihre Mutter, aber sie hielt es nur dosiert mit ihr aus. Niedrig dosiert. „Was gibt‘s?“, fragte sie.

      „Sag nicht nein. Du musst für eine Präsentation einspringen.“

      „Schon gut, Mam, mach kein Drama draus. Wann und wo?“

      „In zwei Wochen. Im Kaufhaus Görlitz. Ist von dir aus ja nicht allzu weit.“ Die Stimme ihrer Mutter klang schuldbewusst.

      „Immerhin vier Stunden Fahrt!“, schnaubte Charly. „Ich mach‘s. Abgesehen davon, dass ich nicht nein sagen darf, mir gefallen Kaufhaus und Stadt. Aber nicht für lau. Du übernimmst die Kosten für zwei Nächte im Hotel meiner Wahl. Ohne Murren!“

      „In Ordnung.“ Begeisterung hörte sich anders an, aber ihre Mutter wusste, wann sie am kürzeren Hebel saß. „Wann kommst du zur Anprobe? Es sind einige Kleider anzupassen.“

      „Kommenden Donnerstag, nicht vor sechs.“

      „Gut.“ Ihre Mutter zögerte kurz. „Schläfst du dann hier?“

      „Es wird eine kurze Nacht. Halb fünf muss ich los.“

      „Das schaffen wir.“

      Sie hörte das Amüsement in der Stimme ihrer Mutter und schnaubte wieder, widerwillig ebenfalls amüsiert. „Das hoffe ich doch. Bis dann.“ Sie legte auf. Dann stürzte sie den inzwischen nur noch lauwarmen Espresso hinunter, zahlte und ging zu ihrem Motorrad. Sie suchte die Route nach Quedlinburg heraus und saß kurz darauf im Sattel. Vergnügt pfeifend schwang sie sich durch die Kurven des Thüringer Waldes, den Refrain sang sie laut: „Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling ...“ Zumal es derzeit absolut keinen Grund dafür gab.

      Rusty Cage – Johnny Cash

      Es war wirklich ein winziger Ort. Die einzige Straße bestand aus unregelmäßigen Feldsteinen, auf denen sich die Monster ihrem Namen gemäß benahm. Charly presste die Knie gegen den Tank und hob den Hintern vom Sattel, wie sie es bei Napoleon tat, wenn sie den Waldweg hoch galoppierten. Die Adresse war leicht zu finden und der große, ungepflasterte Hof allemal besser als die Straße, auch wenn die Gebäude arg heruntergekommen waren.

      Erleichtert kurvte sie durchs Tor und stellte die Monster neben das silberne Mercedes-Coupé, das in der schäbigen Umgebung deplatziert wirkte. Eine unwirkliche Stille legte sich über den Hof. Sie nahm den Helm ab und steuerte das Wohnhaus an. Ehe sie es erreichte, kam ihr ein junger Mann entgegen. ‚Etwa mein Alter’, schätzte sie. Trotz des seriösen Anzugs und der gewandten Begrüßung fand sie ihn unsympathisch. „Ich will mir den T1 anschauen. Mein Vater hat mich sicher angekündigt“, erklärte sie steif.

      „Natürlich. Hier entlang.“ Er ging voraus in die große, reparaturbedürftige Wellblechhalle. Die war vollgeramscht mit Fahrzeugen aller Art, hauptsächlich sehr alte, verrostete und verdreckte Karossen. Staubteilchen flimmerten in den Sonnenstrahlen, die durch das undichte Dach hereinfielen und das Innere streifig erhellten.

      „Das steht alles zum Verkauf?“, fragte sie erstaunt.

      Er nickte und schob eilig eine Erklärung nach: „Mein Urgroßvater hat sie zusammengesammelt. Er meinte, sie wären viel wert.“

      „Da hat er nicht ganz unrecht“, antwortete sie. „Nur nicht in diesem Zustand.“

      Der Anzugtyp zuckte mit den Schultern. „Das Gerümpel muss raus, so schnell es geht. Das Land ist mehr wert als die Schrotthaufen. Hier ist er“, erklärte er und blieb stehen.

      Sie trat an den Wagen heran und spähte durch die verstaubte, halb blinde Heckscheibe. „Das ist kein T1, allerhöchstens eine Hülle. Da drin fehlt alles. Außen übrigens auch so einiges“, fügte sie hinzu, als sie an der Fahrerseite entlang sah.

      „Aber es ist ein Samba“, konterte er stolz.

      Sie erwiderte nichts, hockte sich neben die Karosse und spähte da­runter. Die Bodenplatte war quasi nicht mehr vorhanden. „Was hatten Sie sich denn vorgestellt. Preislich.“

      „Zwanzigtausend“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.

      „Vergessen Sie‘s.“

      Er blinzelte irritiert.

      „Maximal die Hälfte, und nur wenn Sie einen Freak erwischen“, erklärte sie, klopfte sich pulverigen Dreck von den Händen und stand auf. „Darf ich mich noch ein wenig umschauen?“

      „Ja, sicher“, stotterte er, sichtlich aus dem Konzept gebracht.

      Sie nickte und schlenderte andächtig durch die Halle. Hier stand ein Vermögen, für den, der es instandzusetzen wusste. ‚Ich muss Dad nahelegen, selber herzufahren’, dachte sie. ‚Das darf er sich nicht entgehen lassen!’

      Neben dem hinteren Tor fand sie einen Unimog. Sie ging zur Fahrerseite. Zwischen Kabine und Aufsatz stand eine Klappe offen und ein zerfetzter, ehemals wohl gepolsterter Hebel stand waagerecht heraus. Im Schacht dahinter schimmerte matt ein Hydraulikrohr. Versuchsweise zog sie an der Fahrertür, die sich knarrend öffnete. Verwirrt starrte sie ins Führerhaus. ‚Keine Pedale?’ Neben dem Lenkrad befanden sich mehrere Hebel, die sie an den Pick-up ihres Vaters erinnerten. ‚Behindertengerecht!’ Sie unterdrückte einen Jubelschrei. Stattdessen entsperrte sie die Verriegelung und hob die Motorhaube an. Darin schienen ganze Mardergenerationen gehaust zu haben. Sonst sah es verhältnismäßig gut aus. ‚Bei Unimogs ist meist das Getriebe kaputt’, rekapitulierte sie. ‚Aber das kriegt Dad locker hin.’ Sie ließ den Deckel herunterklappen und lugte auch hier unters Fahrzeug. Zum Schluss kletterte sie in den Aufbau. Zwei Schlafplätze, Kochnische, Sitzecke, sogar eine Durchstiegsluke zum Führerhaus. Einige Details, die sich auf langen Reisen als annehmlich erweisen könnten, fielen ihr ins Auge. ‚Da hat jemand gut mitgedacht oder war bereits beim Ausbau des Fahrzeugs expeditionserfahren. Vermutlich findet sich davon noch mehr.’ Ihre Aufregung stieg, was sich durch fallende Handtemperatur bemerkbar machte. Gewohnheitsmäßig rieb sie die Handflächen an den Oberschenkeln und traf auf kühles Glattleder. Angewidert verzog sie den Mund und schob die Hände in die Achselhöhlen. ‚Ich muss ihn haben, am besten für kleines Geld!’

      Sie fand den Verkäufer vor der Halle. Rauchend. Bevor er ihr eine Zigarette anbieten konnte, schüttelte sie ablehnend den Kopf.