Название | Charlys Sommer |
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Автор произведения | Anett Theisen |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960148241 |
***
Charly hielt gerade lange genug, dass er Napoleon aus dem Bus lassen konnte. Er sah ihr kopfschüttelnd nach, wie sie mit einem Kavaliersstart die Dorfstraße hinauffuhr und um die nächste Kurve verschwand.
‚Ich fasse es nicht’, dachte er. ‚Die Jungs träumen seit Jahren davon, dass ein Motorrad fahrendes Mädel daherkommt und direkt vom Bike mit ihnen in die Kiste steigt. Genau so lange erzähle ich ihnen, dass es so was nur in Pornos gibt. Männerphantasien eben.’
‚Wem passiert’s?’
‚Mir.’
‚Schade eigentlich, dass sie nie erfahren, dass es so was doch gibt.’
Er brachte Napoleon bei seinem Vater unter, vergewisserte sich, dass es dem alten Herrn an nichts fehlte und saß kurz darauf wieder im Sattel seiner BMW, diesmal auf dem Weg zur Arbeit. Er war bei weitem kein Langschläfer wie Gereon, aber so früh war er selten unterwegs. Er genoss die frühsommerliche Stimmung, die Kühle der Luft und die wärmenden Strahlen der Sonne. Pfeifend stellte er das Motorrad auf dem Firmenparkplatz ab und steuerte beschwingt sein Büro an. Noch ehe er es erreicht hatte, brachen die ersten Hiobsbotschaften über ihn herein. Aber heute konnte ihn nichts erschüttern.
Jede Stunde – Karat
Charly parkte den Bus am Sägewerk. Alles war noch still. Sie öffnete die Schiebetür, kramte ein kleines Fläschchen aus dem Handschuhfach, hockte sich in die Türöffnung und lackierte sich die Fußnägel. Dies erledigt, lehnte sie sich an die Rückbank, streckte die Füße nach draußen und genoss die Morgensonne.
Selten hatte sie sich so wohl gefühlt wie jetzt. Ihre Gedanken glitten zurück zur Nacht. ‚So habe ich Sex noch nie erlebt’, dachte sie. ‚Nicht, dass ich viel Erfahrung hätte, aber sonst war es … Sex. Diesmal … eher, was ich mir unter ‚Liebe machen’ vorstellen würde.’ Ein Schauer überlief sie und sie überließ sich der Erinnerung an Christians Hände und seine Stimme, bis sie Schritte hörte.
Der Chef des Sägewerkes kam auf sie zugestapft und begrüßte sie in seiner gewohnt poltrigen Art. „Na, Charly, bist wohl aus dem Bett gefallen?“
„Ich war gar nicht erst drin“, antwortete sie verschmitzt und er zog die Augenbrauen hoch. Sie hielt ihm einen Zettel unter die Nase. „Könnt ihr mir das morgen Nachmittag liefern?“
„Für dich immer“, sagte er und steckte den Zettel ein, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. „Um zwei?“ Er hielt ihr seine schwielige Pranke entgegen.
„Perfekt!“ Charly schlug ein.
***
Als Nächstes fuhr Charly zum Baumarkt, dann heim. Sie ließ die Einkäufe im Bus und bepackte die Monster. Schwang sich auf die kleine Schwarze und fuhr zu ihrem Chef. Die zwei zusätzlichen Urlaubstage waren kein Problem; sie hatte sowieso noch viel zu viel Urlaub übrig. Zu ihrem weiteren Ansinnen sagte ihr Chef zunächst nichts, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, betrachtete sie und überlegte. Charly wartete. Jede verstreichende Minute machte sie zusehends nervöser. Normalerweise war Alois nicht so zurückhaltend und überlegt.
„Nein“, beschied er und ihr Herz sank. „Innerhalb des nächsten Jahres, sagst du?“
Sie nickte. „Wahrscheinlich.“
„Dann mache ich dir einen anderen Vorschlag: Wir ändern jetzt gar nichts, du sagst mit mindestens vier Wochen Vorlauf Bescheid, wir rechnen zunächst alle dann noch übrigen Urlaubstage und Überstunden an und zahlen die restliche Zeit dein übliches Gehalt fort. Anschließend besprechen wir deine Gehaltserhöhung, die längst überfällig ist.“
Charly fehlten die Worte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie kam mit ihrem Geld gut aus. Zusätzliche Wünsche finanzierte sie aus ihren Winterprojekten oder den Gelegenheitsaufgaben für ihre Eltern, die trotz ordnungsgemäßer Anmeldung als Nebenjobs für ein solides Polster gesorgt hatten. Deshalb hatte es sie auch nie gestört, dass sie kaum mehr verdiente als im letzten Lehrjahr. Es war perfekt, und es war ein mehr als großzügiges Angebot. Sie bedankte sich ausführlich und wollte sich verabschieden, als ihr Chef sie noch einmal zurückrief.
„Charly, eine Sache noch.“
„Ja?“, fragte sie, die Hand schon auf der Klinke.
„Hast du schon darüber nachgedacht, wie deine berufliche Laufbahn weitergehen soll?“
Charly ließ die Klinke los und ging zu ihrem Stuhl zurück. „Noch nicht viel, nein. Ich wollte nach dem Meister erst eine Weile arbeiten und hier und da mal Urlaub machen. Das Leben genießen halt. – Weshalb fragen Sie?“
„Nun“, begann ihr Chef bedächtig. „Ich war damals nicht sicher, ob der Beruf für dich das Richtige ist. Als junge Frau auf dem Bau. Aber deine Entschlossenheit hat mich beeindruckt, und von deiner Zielstrebigkeit und Arbeitsweise können sich die jungen Kerls alle was abschauen. So gesehen bist du mein bester ‚Mann’.“
Charly setzte sich wieder. ‚Das höre ich gern’, dachte sie. ‚Wo ist das Aber?’
„Aber du möchtest sicher irgendwann eine Familie haben. Nicht mehr den ganzen Tag bei welchem Wetter auch immer auf fremden Dächern herumhampeln wollen.“ Er formulierte seine Gedanken ungewohnt vorsichtig. „Gibt es etwas, das dich interessiert im Sinne einer Weiterbildung?“
Charly überlegte. ‚Manövriere ich mich ins Abseits, wenn ich jetzt etwas Bestimmtes bekenne, oder will er mir neue Perspektiven eröffnen?’ Sie beschloss, es auf unbeschwerte Art anzugehen. „Also, für die Familie fehlt noch eine klitzekleine Voraussetzung, das dürfte nicht ganz so schnell gehen.“
Er lachte dröhnend.
„Was die beruflichen Perspektiven angeht: Restauration interessiert mich und Bauzeichnerei auch. Wenn es etwas artfremder sein darf, auch Kartographie.“ Sie sah ihn abwartend an. Auf seinem Schreibtisch welkte ein Strauß Sommerblumen vor sich hin, sie fegte mit der Hand die herabgefallenen Blütenblätter auf und ließ sie in den Papierkorb fallen.
„Wie sieht es mit Buchhaltung aus?“
Sie zog eine Schnute. „Das kann ich, in Grundzügen. Aber es wäre eher ein Notnagel.“
Er lachte wieder.
Charly verlor langsam die Geduld. „Alois, worauf wollen Sie hinaus?“
„In absehbarer Zeit brauche ich einen Nachfolger“, antwortete er schlicht.
Charly schluckte.
„Du hast das Zeug dazu. Ich kann dich nach und nach einarbeiten und würde dir auch nach meinem Rückzug aus dem Geschäft als Berater zur Verfügung stehen. Du musst dich nicht jetzt entscheiden, es hat noch Zeit.“
„Ich werde darüber nachdenken.“
Er nickte und sie schüttelten sich die Hände.
Als sie sein Büro verließ, hörte sie das Klappen einer Autotür, erhaschte durch das Flurfenster einen Blick auf den Hof und sah Gereon auf die Tür zusteuern. Rasch huschte sie in ihr persönliches Umkleidekämmerchen und ließ die Tür nur angelehnt. Sie hielt den Atem an und hörte Gereon das Haus betreten. Er klopfte einmal kurz am Büro und trat ein, schloss jedoch nicht die Tür hinter sich. Langsam atmete sie aus und wartete ungeduldig. Ihren Händen entströmte der unverwechselbar modrige Geruch abgeblühter Blumen, aber sie wagte nicht, die Hände zu waschen, um sich nicht zu verraten. Es dauerte zum Glück nicht lange, bis beide Männer den Gang betraten und zur Haustür gingen.
„Wem gehört die schwarze Suzuki?“, hörte sie Gereon fragen.
„Einer Mitarbeiterin.“
„Wo kann ich sie finden?“
„Keine Ahnung. Sie hat Urlaub, stellt aber gelegentlich ihr Fahrzeug hier ab, wenn sie etwas erledigen will. Also müssen Sie entweder warten, bis sie zurückkommt …“
‚Bloß