Charlys Sommer. Anett Theisen

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Название Charlys Sommer
Автор произведения Anett Theisen
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783960148241



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sich mit dem linken Fuß von der Mauer weg und ließ los. Landete knappe drei Meter weiter unten im Gras auf den Füßen, rollte rückwärts über die Schulter ab und stand wieder, als Sepp kreidebleich neben ihr auftauchte. So sah er auch, dass sie das Gesicht verzog, als sie die Arme bewegte.

      „Ab zum Arzt! Keine Widerrede.“ Er schob sie zum Transporter.

      ***

      „Charly, welch seltener Anblick“, wurde sie vom Arzt begrüßt.

      „Arbeitsunfall“, knurrte sie unwillig und er lachte.

      „Sonst wärst du wohl kaum hier. Schnellenbach kommt mir ja immer zuvor.“

      Sie seufzte. Die Blaue-Augen-Story war also schon bis hierher gedrungen. Zudem war es nicht das erste Mal, dass sie sich mit der Einschätzung des Tierarztes begnügt hatte.

      „Wo zwackt’s?“

      „Flügellahm“, antwortete sie wortkarg.

      Mit der Diagnose ‚leichte Schulterprellung’ und dem Arm zur Schonung in einer Schlinge stand sie eine halbe Stunde später wieder auf der Straße. Krank geschrieben für nur eine Woche, weil sie dem Doc versprochen hatte, die zweite Woche Urlaub zu nehmen. Allerdings mit Kletterverbot. Reiten und Motorradfahren hatte er ausdrücklich auf „zuverlässige Untersätze“ beschränkt und ihr auf die Schulter geklopft.

      Auf die unversehrte wohlgemerkt.

      Sepp hatte ihren Bus am Ortsrand geparkt, sie konnte ihn von hier aus sehen. Sie rief ihn an, dann ihren Chef, dann Melli. Mit dem Handy am Ohr wanderte sie langsam Richtung Bus, als es neben ihr heftig rumpelte. Im nächsten Augenblick bellte sie ein riesiger Schäferhund von oben herab an.

      „Meine Güte, hast du mich erschreckt!“ Sie nahm das Handy vom Ohr und wandte sich dem Hund, der mit zuckender Nase schnupperte, zu.

      Aus dem Garten erklang ein scharfer Befehl, es polterte wieder und der Hund verschwand, dafür schaute ein Mann über die Mauer, die hier das Grundstück begrenzte.

      „Entschuldigen Sie… oh, hallo!“

      Braune Augen blickten sie erstaunt an. ‚Der hilfsbereite Motorradfahrer‘, erkannte sie. Sein Blick erfasste sie – und natürlich die bandagierte Schulter.

      „Schon wieder vom Pferd?“, fragte er argwöhnisch und durchaus ironisch.

      „Hi.“ Sie fuhr sich verlegen durch die Haare. ‚Was wird der von mir denken?’

      „Äh, nein. Bin vom Dach gefallen“, antwortete sie.

      „Und was bitte machst du auf dem Dach?“

      Sie lachte. „Meine Brötchen verdienen. Ich bin Zimmermeisterin.“ Sie deutete auf ihre Kluft. „Ich heiße Charly“, setzte sie hinzu. „Sorry für den Anraunzer letzte Woche. Ich hasse es, wenn mir das Motorrad umkippt.“

      „Christian.“ Er zuckte die Schultern. „Schon okay.“

      Sie zögerte. Mittlerweile spürte sie die Nachwirkungen ihres Sturzes und grub in der Hosentasche nach dem Autoschlüssel. „Ich muss nach Hause.“

      Er musterte sie eingehend. Was er sah, schien ihn zu beunruhigen. „Wo ist denn ‚zu Hause’? Ich fahre dich besser“, bot er an.

      Gerührt über seine Fürsorglichkeit schüttelte sie dennoch ablehnend den Kopf. „Im nächsten Dorf. Passt schon, die paar Meter schaffe ich. Mein Auto steht da vorn.“ Sie lächelte ihn an und hoffte, dass sie kompetent genug aussah.

      „Wie du willst.“

      She Works Hard for the Money – Donna Summer

      Charly zerrte den Sitzsack auf die Terrasse und fläzte sich hinein.

      Nach wenigen Minuten stand sie auf, ging ins Haus und kam kurz darauf mit Stift, Papier und einem Kaffee wieder heraus.

      Rutschte hin und her, um die bequemste Position zu finden.

      Stand auf und fügte ihrer Sammlung eine Flasche Wasser, Sonnenbrille und Sonnencreme sowie eine Tafel Schokolade hinzu, überlegte kurz und verschwand noch einmal im Haus.

      Mit einem zusammengelegten Sonnensegel kehrte sie zurück, hängte es in die Haken am Haus ein und spannte es zum Apfelbaum.

      Räumte die Terrasse um und ließ sich endlich im Schatten wieder in den Sitzsack fallen. Genoss ihren Kaffee und den Blick über Garten und Koppeln und widmete sich dann ihrer To-Do-Liste. Binnen kurzem notierte sie die Punkte:

       • Namen aussuchen

       • Hengst waschen / Helfer?

       • Frühjahrsputz Haus

       • Werkstatt aufräumen

       • Spielkamerad für Fohlen / Reitverein?

       • Unterstand bauen

       • Caddy verkaufen

       • Gespräch Chef

       • neues Winterprojekt organisieren

      Bei diesem Punkt verweilte sie.

      ‚Ob ich noch einmal nach Quedlinburg fahren soll? Mit dem Bus und Hänger? Dort standen ein paar interessante Fahrzeuge. Zwar deutlich älter als das, was ich sonst in den Fingern habe, aber warum nicht? Dad oder Steven helfen mir, wenn ich nicht klarkomme.’

      ‚Aber eigentlich wollte ich was Modernes, Schnelles. An so was kommt auch Dad nicht ohne weiteres ran, und wenn, dann ist meist nicht mehr viel zu retten.’

      ‚Oder wieder eine Auftragsarbeit wie den Umbau des Expeditionsjeeps damals, war auch cool. Am besten, ich spreche mit Dad, der kann mir vielleicht was vermitteln. Es hat ja noch Zeit.’

      ‚Zuerst gibt es naheliegendere Dinge zu organisieren.’ Charly seufzte, überlegte und nahm einen neuen Zettel, den sie mit „Unterstand“ überschrieb:

       • mit Peter klären

       • Bauvoranfrage/Baugenehmigung?

       • mobil / zerlegbar / Teile für mich händelbar

       • Verankerung?

       • Dichtigkeit Dach?

       • Verbindungen stabil, rostfrei, „eselsicher“

      Darunter fügte sie eine Skizze hinzu, die den Unterstand in der Seitenansicht zeigte. Dann ließ sie Zettel und Stift sinken und lehnte sich zurück. Wie gerufen tauchte Amadeus auf und machte es sich schnurrend auf ihrem Bauch bequem.

      ***

      Eine knappe Stunde später erwachte Charly. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal derart königlich Mittagsschlaf gehalten hatte, wenn auch sehr verspäteten Mittagsschlaf. Sie streckte sich, was Amadeus ungehalten quittierte, indem er seine Krallen in ihren Bauch schlug.

      „Autsch!“, protestierte sie, aber er sah sie nur aus unergründlich grünen Augen an.

      Ergeben nahm sie ihre Schlafhaltung wieder ein und begann, den Kater zu kraulen. Ihre Gedanken wanderten.

      „Was machst du denn für Sachen?!“

      Charly zuckte zusammen, Amadeus schoss erschreckt von ihrem Bauch herunter, nicht ohne sie wiederum seine Krallen spüren zu lassen, und stolzierte mit ärgerlich wippender Schwanzspitze zum Apfelbaum.

      „Hi Peter.“ Sie rieb sich die malträtierte Mitte. „Halb so wild. Hat Sepp es dir erzählt? Ich dachte, deine Skatrunde ist donnerstags?“

      „Ist sie auch. Ich habe Sepp beim Einkaufen getroffen“, nickte Peter.

      „Gut, dass du da bist.“ Sie reichte ihm das Blatt mit der Skizze. „Die drei in deinem Garten brauchen einen Unterstand.“

      Peter