Charlys Sommer. Anett Theisen

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Название Charlys Sommer
Автор произведения Anett Theisen
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783960148241



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sich draußen neben der Halle gemütlich gemacht. Dort stand ein Bauwagen, innen über und über mit vergilbten Fotos und Postkarten übersät, die Arved von seinen Reisen in die ganze Welt mitgebracht hatte. Er war vor dem Unfall, der ihn in den Rollstuhl gezwungen hatte, gern und viel gereist, und hatte sich auch danach nicht davon abhalten lassen. Finanziert hatte er sein Leben mit dem Ankauf und der Aufbereitung aller möglichen Fahrzeuge. Seit Jahren war er in den einschlägigen Kreisen bekannt und verdiente gut.

      Charly beendete ihren Rundgang, holte sich Werkzeug und den Protektor und komplettierte ihr Motorrad wieder. Dann hockte sie sich zu den beiden Männern. „Ich habe mir drei Pferde gekauft“, sagte sie in deren behagliches Schweigen hinein. Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: „Und einen Hund.“

      Ihr Vater und Steven wechselten einen Blick, der ihr nicht entging.

      „Was sagt Amadeus dazu?“, fragte Arved.

      Sie lachte. „Der sitzt fast nur noch im Apfelbaum.“

      „Wie hast du eigentlich den Protektor ramponiert?“, wechselte Steven das Thema.

      „Ach“, sie spürte ihre Wangen heiß werden. „War unkonzentriert, beim Parken“, nuschelte sie und drehte angelegentlich den Korkenzieher in den Korken der Rotweinflasche.

      „Weswegen denn?“, fragte Steven unschuldig, aber zielsicher.

      Arved nahm ihr die Weinflasche aus der Hand, zog den Korken heraus und hielt ihr die Flasche wieder hin. Sie füllte die Gläser und antwortete, den Blick auf den einfließenden Wein gerichtet. „Wegen eines Autos.“

      „Wegen des Autos“, echote Steven „oder des Fahrers?“

      Sie schnappte den Korken vom Tisch und warf ihn in Stevens Richtung. Der versuchte, ihn zu fangen und kippte dabei mit seinem Campingstuhl um.

      „Geschieht dir recht“, grummelte sie.

      Ihr Vater hatte das Schauspiel amüsiert verfolgt.

      „Irre ich mich oder war es ein blauer Porsche?“

      „Es war ein blauer Porsche.“

      Ihr Vater nickte. „Hat er dir das Bike aufgehoben?“

      Sie schnaubte. „Das schaffe ich schon selber. Außerdem könnt ihr euch das Verhör sparen, ich hab den Typen zwar ein paar Mal gesehen, aber immer nur von weitem.“

      Wieder wechselten die Männer einen bedeutungsvollen Blick.

      „Den anderen habe ich sofort vergrault, weil ich ihn angemault habe, als mir die BMW umgefallen ist“, fuhr sie fort und funkelte beide an.

      „Gleich zwei Männer in einer Woche? Hast einen ganz ordentlichen Verschleiß.“ Steven kringelte sich vor Lachen und Charly erwog kurzzeitig, ihm eine Rotweindusche zu verpassen. Sie warf einen Blick aufs Etikett und ließ es bleiben. ‚Zu teuer.’

      „Drei, wenn du den Hengst mitzählst, der mir das blaue Auge verpasst hat … vier, das Fohlen“, antwortete sie betont gleichmütig. „Wie viele Mädels hast du kennengelernt?“, erkundigte sie sich süffisant.

      „Vertragt euch“, mahnte Arved milde. „Habt ihr Pläne fürs Wochenende? Ist schließlich ein langes.“

      Charly stutzte. „Ach ja, Pfingsten. Das hatte ich ganz vergessen. Ich wäre glatt Sonntagabend wieder abgehauen.“ Sie überlegte eine Weile, überschlug die Möglichkeiten, gedankenverloren den Wein im Glas schwenkend. Tief atmete sie seinen samtenen Duft ein. „Ich hatte mich auf Basteln eingestellt. Wie soll denn das Wetter werden?“

      „Durchwachsen. Nicht mehr so warm.“

      „Kletterhalle? Sauna?“

      Arved schmunzelte. „Morgen basteln, abends klettern. Sonntag fahren wir ins Gebirge in die Sauna und Montag ausschlafen und klettern. Alle einverstanden?“

      Steven und sie nickten.

      ***

      Ein klasse Wochenende neigte sich dem Ende zu. Sie liebte es, gemeinsam mit Steven und ihrem Vater an den verschiedenen Fahrzeugen herumzuschrauben, sich Kniffe abzuschauen. Beim Klettern war ihr endlich an einer 8er-Route ein Erfolg gelungen, und sich in der Sauna zu aalen, war einfach nur himmlisch gewesen. Nur jetzt, da sie auf dem Heimweg war, regnete es in Strömen. Eklig nass schmiegten sich die Handschuhe um ihre klammen Finger; da halfen weder die Protektoren noch die Griffheizung besonders viel. Dazu wehte ein böiger Wind und ließ jede Vorbeifahrt an einem größeren Fahrzeug zu einem Balanceakt werden.

      Sie hatte gehofft, über die Autobahn schnell voranzukommen. Doch Stau reihte sich an Stau. Sie mogelte sich durch, mit den Alukoffern nicht die leichteste Übung. Aufatmend bog sie schließlich auf die Landstraße ab. An Kurvenjagd und Fußrastenschleifen war heute nicht zu denken; sie fuhr auf Sicherheit. Nach einer gefühlt endlosen Fahrt schob sie die BMW auf ihren Platz unterm Dach und rief noch von da aus ihren Vater an. Er hörte sich genauso erleichtert an, wie sie es war.

      ***

      Die Pferde standen triefend, die Hinterteile in den Wind gedreht, geduldig im Regen und zuckten kaum mit den Ohren. Das Fohlen hatte den besten Platz abbekommen. Es passte genau unter den Hengst, der dicht neben der Mutterstute stand. Weitgehend trocken zappelte es unter ihm herum und streckte mal die Nase raus in den Regen, nieste, schnappte nach den Schweifhaaren des Hengstes, knabberte an dessen Beinen und war dem langmütigen Gesichtsausdruck des Schimmels nach ein rechter Plagegeist.

      ‚Spielkamerad besorgen und Unterstand bauen’, notierte sie sich mental. Auch wenn letzterer wahrscheinlich genauso ungenutzt bleiben würde wie der bereits bestehende. Wenigstens der Hund lag darin, wie üblich. Nein, nicht ganz, sacht klopfte die Rute auf die Decke, immerhin ein Fortschritt in ihrer Beziehung. Dann legte er mit einem tiefen Seufzer den Kopf wieder zwischen die Pfoten, beobachtete aber jede ihrer Bewegungen argwöhnisch, während sie ins Stallbuch schaute und ihm frisches Futter hinstellte.

      Amadeus fehlte. Kein Wunder bei diesem Wetter. Er hatte sich vermutlich in einer der Scheunen des Dorfes ein gemütliches Plätzchen gesucht und würde nach dem Regen wieder auftauchen, kuschelsüchtig und nach Heu duftend.

      ***

      Am nächsten Morgen war sie sehr früh wach. Der Wind wehte kräftig und warm in ihr Schlafzimmer. Aber was sie geweckt hatte, war Amadeus. Er lag der Länge lang auf ihrem Bauch und tatzte mit den Pfoten gegen ihr Kinn. Sie kuschelte ein paar Minuten mit ihm und sprang aus dem Bett.

      Einige Handgriffe im Haushalt, dann schaute sie nach den Pferden. Der Hengst kam ihr wiehernd bis zum Törchen entgegen. Vom Regen, der stellenweise den Dreck aus seinem Fell gewaschen hatte, sah er ganz streifig aus, wie ein Zebra.

      Sie holte das Putzzeug, trat zu ihm auf die Koppel und begann zuerst vorsichtig, aber bald routinierter, ihn zu putzen. Er ließ es sich gern gefallen. Unterm Bauch war er kitzelig, an den Beinen putzte sie zunächst nur das Gröbste und sehr wachsam. Nur an den Kopf ließ er sie gar nicht heran. Schließlich trat sie zurück und betrachtete ihr Werk. „Na, vorher war’s einheitlicher. Siehst aus wie ein Schwarzkopfschaf. Heute Nachmittag bist du dran, Gesicht, Füße und Haare waschen.“ Er lauschte aufmerksam ihrer Stimme. Sie belohnte ihn mit einigen Leckerchen für seine Geduld, packte das Putzzeug weg und ging selber unter die Dusche. Kurz darauf war sie auf dem Weg zur Arbeit.

      Free Fallin’ – Tom Petty and the Heartbreakers

      Charly stand auf einem niedrigen Seitengebäude des Schlosses und deckte gemeinsam mit Sepp und dem Azubi das Dach ab. Sie war die Leichteste und hatte die zweifelhafte Ehre, auf dem maroden Dachstuhl herumzusteigen.

      Sie waren am Ende des Gebäudes angelangt, die Giebelwand war teilweise weggebrochen, der Dachstuhl mit zwei Stützen abgesichert. Vorsichtig tastend arbeitete sie und horchte auf das Knarren des Balkens unter ihren Füßen. Nur noch wenige Handgriffe, dann war es geschafft. Als sie den letzten Dachziegel vom First angelte, spürte sie, wie die Konstruktion sich zu verschieben begann.

      „Achtung!“