Papakind. Isolde Kakoschky

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Название Papakind
Автор произведения Isolde Kakoschky
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967525496



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altem Familienrezept wurde jedes Jahr Johannisbeerlikör selbst angesetzt und zu besonderen Ereignissen hervor geholt. Das heute war auf jeden Fall ein ganz besonderes Ereignis! Die Gläser wurden gefüllt.

      »Und wir?«, wollte Alex vom Vater wissen.

      »Na ja, Franzi kann einen ganz Kleinen zum Anstoßen bekommen, ausnahmsweise. Du kriegst Saft.«

      Alex murrte ein bisschen, aber dann lachte er schon wieder, als sich alle im französischen »Prost« versuchten.

      »Au votre santé!« Pierre erhob sein Glas. » Avodsantee!« stimmte die ganze Familie ein.

      So saßen sie den ganzen Abend und redeten über alte Zeiten und Franzi staunte, wie gut Pierre noch deutsch sprechen konnte, wo doch der Krieg schon so lange vorbei war.

      »Und morgen wir machen eine Ausflug in die Harz«, verkündete Pierre zum Abschied. »Ich doch ein Tourist, muss machen eine Tour!«

      Am nächsten Morgen konnten Franzi und Alex gar nicht schnell genug in die Sachen kommen. Pierre und Charlotte hatten in einem Hotel in der Stadt Quartier genommen. Pierre hatte es als das Unverfänglichste angesehen, einfach als Tourist hier einzureisen und sich die kleine Stadt am Rande des Harz als Ausgangspunkt zu wählen.

      Es wurde eine schöne Fahrt durch den Wald und über die Berge, sie besuchten Schlösser und Burgen, besichtigten Museen und bestiegen einen Aussichtsturm. Der Vater hatte am Abend noch mit einem Kollegen telefoniert und ihn gebeten, ihn zu vertreten. Bei der Mutter war das nicht mehr möglich gewesen. Sie würde erst am nächsten Tag dabei sein können, dann wollten sie eine Tropfsteinhöhle und den Stausee anschauen. Franzi staunte immer wieder über die Größe des Autos, für das 6 Insassen noch kein Problem zu sein schienen.

      »Monsieur Brunot«, sprach Franzi Pierre an. Sie hatte extra vorher die französische Aussprache geübt. »Sie sind doch fast so was wie mein Onkel, kann ich Onkel Pierre sagen?«

      Pierre übersetzte seiner Frau Franzis Bitte. Charlotte nickte: »Oui! C´est tres bien!« Pierre und Charlotte umarmten die Kinder. Es war so egal, ob man wirklich verwandt war oder nicht, das Gefühl füreinander zählte. Hier schloss sich der Kreis einer tiefen Freundschaft.

      So tränenreich wie die Begrüßung gewesen war, so wurde auch der Abschied. Nach einer gemeinsam verbrachten Woche aßen sie am letzten Abend gemeinsam im örtlichen Ratskeller. Ursprünglich sollten Franziska und Alexander gar nicht mit dabei sein. Es war inzwischen später Abend geworden, keine Zeit für Kinder, noch in eine Gaststätte zu gehen.

      Doch Franziska hatte gebettelt. »Bitte Vati, nehmt uns mit, wir sind auch ganz lieb und fallen gar nicht auf. Nicht wahr, Alex?« Alexander bestätigte das im Brustton der Überzeugung.

      »Lass mitkommen die Kinder, Franz«, mischte sich nun Pierre ein, so dass der Vater gar nicht anders konnte als ja zu sagen.

      »Merci, merci!« Franzi wollte gar nicht aufhören, sich zu bedanken.

      Doch nach dem Essen hieß es endgültig, Abschied zu nehmen.

      »Ich Tourist, muss noch besuchen Berlin eine Tag!« Pierre brachte mit seiner heiteren Art selbst unter Tränen alle zum Lachen.

      »Mein kleiner Pierre!« Die Oma umarmte ihn zum Abschied, was die Worte angesichts seiner Größe eher drollig wirken ließ.

      »Wann sehen wir uns wieder?« Diese Frage stand unausgesprochen im Raum. Die politischen Verhältnisse waren nicht dazu angetan, auf einen Gegenbesuch zu hoffen.

      »Nicht weinen, wir uns schreiben jetzt ganz oft!« Pierre drückte Franzi an sich.

      Und Franzi versprach: »Onkel Pierre, ich lerne die französische Sprache und dann schreibe ich dir auch ganz oft!«

      Nach diesen Tagen gab es nichts, was in den letzten Ferientagen noch hätte aufregend sein können. Franziska wollte unbedingt noch einmal die Großeltern in Halle besuchen und durfte allein mit dem Bus fahren. Es kostete sie eine große Überwindung, dort allein einzusteigen. Und auch wenn sie sich längst in Halle gut auskannte, war es für sie eine Herausforderung, allein mit der Straßenbahn zu fahren. Dafür spürte sie ihre Ängste noch viel zu deutlich. Aber sollte sie sich ewig als Kind behandeln lassen? Sie wollte es sich und den anderen zeigen, dass sie erwachsen war.

      Als sie bei den Großeltern ankam, traf sie die Oma allein an und berichtete erst einmal lang und breit von den Ereignissen der letzten Tage. Bis ihr etwas auffiel.

      »Wo ist Opa Paul?«, wollte sie wissen.

      Oma Hilde blickte traurig. »Der sagt mir schon lange nicht mehr, wohin er geht.«

      Franzi fragte nicht weiter, sie wollte nicht, dass sich die Oma noch mehr ärgerte.

      »Guck mal, ich habe dir was mitgebracht!«, holte sie ein sorgfältig gerolltes Blatt Papier heraus. »Das habe ich gemalt!«

      »Oh Franzi, das ist aber schön!« Die Oma betrachtete das Bild, welches ein tanzendes Paar in Volkstracht zeigte. Franzi hatte es im Zeichenkurs mit bunter Kreide gemalt.

      »Weißt du was, das lasse ich einrahmen und hänge es in der Stube auf! Gleich nachher fahren wir in die Stadt zum Glaser. Und bei der Gelegenheit können wir noch ein Eis essen. Da machen wir zwei Hübschen uns mal einen schönen Tag.«

      Franzi freute sich. Sonst war es immer eher der Opa gewesen, der mit ihr was unternahm. Heute zog sie mit der Oma los.

      Die Straßenbahn brachte die beiden ins Stadtzentrum, wo sich in der Fußgängerzone die Glaserei befand. Das Schaufenster war übervoll mit diversen Kunstdrucken dekoriert.

      »Wir möchten dieses Bild rahmen lassen«, sprach die Oma ihren Wunsch aus.

      »Oh, ein schönes Bild!« Die Dame fuhr sacht mit dem Finger drüber. »Ein Original«, stellte sie mit Kennermine fest.

      »Ja, von meiner Enkeltochter!« Die Oma legte den Arm um Franzis Schultern.

      »Du bist ja eine richtige kleine Künstlerin!« Das Lob ließ Franzi strahlen.

      Am Abend war der Opa immer noch nicht wieder da.

      »Ärgere dich nicht, Kind«, tröstete die Oma ihre Enkeltochter. »Er ist eben so. Er meint es nicht böse, aber er kann nicht aus seiner Haut. Weil wir dann oft gestritten haben, haben wir jetzt vereinbart, dass er zwei Tage in der Woche sozusagen von mir frei hat.« Und mit leichtem Sarkasmus in der Stimme fügte sie hinzu: »Er nimmt sie immer im Zusammenhang.«

      Franzi schluckte. Und dann dachte sie an das Wort, was Gabi letztes Jahr gebraucht hatte: Schwerenöter! Hatte der Opa doch noch eine Freundin, obwohl er mit Oma verheiratet war?

      Als am nächsten Abend der Opa endlich kam, konnte Franziska ihm nicht so unvoreingenommen entgegen laufen, wie sonst. Während sie ihn umarmte, glaubte sie ein fremdes Parfum an ihm zu riechen. Doch da die Oma in keiner Weise darauf reagierte, musste sie sich wohl geirrt haben.

      Und als sie am nächsten Tag wieder zurück fuhr, waren diese Fragen schon ganz weit weg und viel wichtigere Dinge drängten sich in ihre Gedanken.

      

       6

      

      »Na endlich!« Franziska war viel zu früh an ihrem ersten Schultag vor der Oberschule angekommen und hatte dann ungeduldig auf Heiner gewartet. Eigentlich hatte sie ja nach über zwei Jahren wieder gemeinsam mit Alex zur Schule laufen wollen. Die beiden Schulen grenzten schließlich direkt aneinander. Doch der Bruder hatte keine Lust gehabt, eine halbe Stunde vorher sinnlos rum zu stehen und so war Franzi alleine los gegangen und hatte am Schultor auf den Freund gewartet.

      »Du kannst es wohl nicht erwarten?«, wollte Heiner wissen. Leichter Spott schwang in seiner Stimme mit. Der hatte gut Lachen, dachte Franzi, der war ja nicht neu heute hier!

      Gemeinsam betraten sie das Schulgebäude. Heiner sah Franzi an. »Wer ist denn dein Klassenlehrer?«

      »Ach,