Название | Septemberrennen |
---|---|
Автор произведения | Isolde Kakoschky |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783967525489 |
er nie in den Armen halten konnte. Nur wenige Wochen nach seinem ersten Schrei schloss der kleine Uwe für immer seine Augen. Damals brach auch für ihn eine Welt zusammen. Als hätte er geahnt, dass es keinen weiteren geben würde, trauerte er um den einzigen männlichen Nachkommen. Drei Mädchen vervollkommneten in den nächsten Jahren die Familie. Zwei Jahre nach Uwe wurde Carolas Tochter Uta geboren und wieder zwei Jahre später, nach seiner Hochzeit mit Beate, kam seine Ines zur Welt, fast ein Jahr danach Victoria. Doch die lernte er erst als Elfjährige kennen.
»Woran denkst du?« Monika blinzelte ihn aus halb geschlossenen Augen an.
»Ach nichts. Nur so.« Er wollte jetzt die Stimmung nicht mit traurigen Erinnerungen zerstören.
Monika ließ es dabei bewenden. Ihre Eltern lebten noch, doch als ihre Großmutter starb, war sie auch oft so in den Erinnerungen versunken. Manchmal brauchte man solche besinnlichen Momente.
Als die Sonne hinter dem Wäldchen, das den Weiher vom Fluss trennte, versank, packten sie ihre Sachen wieder ein und trugen die Taschen zurück zum Auto, sichtlich erholt und erfrischt und nach einer geruhsamen Nacht fit für den neuen Arbeitstag.
7. Kapitel
Der kurze Wechsel von der Mittagschicht in die folgende Frühschicht machte Carola seit Langem nichts mehr aus. Wenn sie spät abends heim kam, bereitete sie sich noch einen Happen zum Essen zu und verschwand bald darauf im Bett. Am Morgen erschien sie dann wieder ausgeruht im Supermarkt. Eigentlich mochte sie die Morgenstunden auch viel lieber. Die Kunden waren noch nicht so abgekämpft und genervt, wie später nach der Arbeit, wenn vor allem die Mütter auch noch quengelnde Kinder mit sich schleiften. Dafür nahm sie die nur kurze Nachtruhe gerne in Kauf.
Die strahlende Sonne versprach einen weiteren schönen Tag, der wiederum gar nicht wie der meteorologisch beginnende Herbst daher kam. Schade für die Kinder, dass die Ferien schon vorbei sind, dachte sie angesichts der sich an der Bushaltestelle sammelnden Schüler. Früher hatte das Schuljahr grundsätzlich am September begonnen. Auch da war es manchmal noch so warm gewesen wie heute. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als ihr ein zierliches Mädchen in einem geringelten Sommerkleid mit langen, blonden Haaren fast vor die Beine fiel. »Hoppla!«, half sie der Kleinen auf, die ihr nur einen kurzen Blick zuwarf und sofort weiter rannte. So war ihre Uta in dem Alter auch gewesen, einerseits engelsgleich, andererseits ein wahrer Wildfang. Wenn mitunter ein Bekannter meinte, dass sie ja ein halber Junge wäre, dann hatte Carola oft mit den Tränen kämpfen müssen und gedacht, dass vielleicht in ihr ja ein Stück ihres Bruders lebendig wäre.
Das Mädchen war mit den Erinnerungen ihrer Mutter an Uwe aufgewachsen. Wie ein unsichtbarer Gast hatte der Bruder ihr Leben begleitet. Uta wurde fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Uwe geboren. Im Laufe der Zeit vermischten sich die Erlebnisse der ersten Schwangerschaft mit denen der zweiten, sodass Carola manchmal selbst nicht wusste, welchen ausgefallenen Appetit sie in dem einen oder dem anderen Jahr hatte. Gerne hätte sie noch ein weiteres Kind bekommen, doch es sollte nicht sein. Möglicherweise verhinderte die große Angst in ihr, noch ein Kind so früh hergeben zu müssen, eine weitere Schwangerschaft.
Inzwischen erreichte sie den Personaleingang des Supermarktes. Mit einem imaginären Ruck schüttelte sie die Gedanken ab. Jetzt waren ein klarer Kopf, zupackende Hände und ein freundliches Gesicht gefragt. Als sie sieben Stunden später, mit ein paar Lebensmitteln im Beutel, ihre Arbeitsstelle durch den Kundeneingang verließ, bedauerte Carola, heute Morgen keinen Badeanzug eingepackt zu haben. Nun musste sie noch einmal nach Hause laufen. Die Hitze schrie geradezu nach einem Sprung ins Wasser. Sie verstaute die Einkäufe rasch im Vorratsschrank, schnappte sich die Badesachen und zog wieder los. Da es von ihrer Wohnung aus fußläufig gut zu erreichen war, bevorzugte sie das Freibad der Stadt. Vor zwanzig Jahren war es komplett umgebaut und modernisiert worden, zur großen Freude von Uta. Ihre Tochter war genau solch eine Wasserratte wie sie selbst. Während ihres ganzen Teenageralters hatte sie mit Freunden und Freundinnen den Sommer überwiegend im Bad verbracht. Selbst jetzt, da Uta in Sangerhausen wohnte, kam sie manchmal in die Lutherstadt, um mit ihrer Mutter gemeinsam schwimmen zu gehen.
Doch heute zog Carola allein ihre Bahnen im Becken. Nach und nach füllte sich zwar das Bad, aber sie konnte auch keinen ihrer zahlreichen Bekannten entdecken. Schließlich trank sie am Kiosk noch einen Kaffee und machte sich auf den Heimweg.
Während sie sich in ihrer Küche ein Brötchen mit Wurst belegte, dachte sie noch einmal nach, was nun alles noch vor der Beisetzung zu erledigen war. Einen Erbschein mussten Christian und sie beantragen. Hoffentlich brachte er ein paar Tage Zeit mit. Urlaub musste er ja nicht erst beantragen. Insofern hatte es manchmal schon Vorteile, selbständig zu sein. Über Dinge, wie das Haus, in dem der Vater bis zuletzt gewohnt hatte und in dem seine beiden Kinder aufgewachsen waren, wollte sie jetzt eigentlich noch nicht nachdenken. Doch so ganz ließen sich die Gedanken nicht verdrängen. Wahrscheinlich würden sie es verkaufen. Christian hatte sein Häuschen in Bayern und ihr lag auch wenig daran. Schöne Kindheitserinnerungen hingen dran, das schon. Doch bereits kurz nach ihrer Lehre hatte sie sich abgenabelt. Es tat ihr jetzt nicht weh, sich davon zu trennen. Sobald sie die Sterbeurkunde in der Hand hatte, konnte sie schon ein wenig tätig werden, was das tägliche Leben betraf, wie Versicherungen und die Abos von verschiedenen Zeitschriften kündigen. Herr Ehrlich hatte ihr eine Liste notwendiger Wege mitgegeben, die sie in der nächsten Woche abarbeiten würde.
Noch so in Gedanken versunken, zuckte sie beim Klingelton ihres Handys regelrecht zusammen, registrierte aber sofort erfreut, dass der Anrufer ihr Mann war.
»Oh, Thomas! Schön, dass du anrufst!«
»Hallo Frauchen!«, witzelte er, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Ich wollte nur mal horchen, wie es in der Heimat so läuft.« Thomas wusste schon, dass seine Frau allein klarkam über die Woche, wenn er weg war. Sein regelmäßiger Anruf war eher Routine. Doch im Moment war es etwas anders, denn es gab ja sonst nicht solche einschneidenden Ereignisse wie einen Todesfall.
»Alles gut, mach dir keine Gedanken. Wichtig ist nur, dass du nächsten Freitag bei mir bist, wenn Papa beigesetzt wird.« Noch sah sie das Ganze eher abstrakt. Es gab einiges zu regeln und zu organisieren, doch den Anlass versuchte sie, weitgehend auszublenden. Noch. »Und bei dir? Läuft alles?«
»Geht alles seinen Gang.« Er hätte beinahe gesagt »seinen sozialistischen Gang«, weil ja viele Ossis mit ihm arbeiteten, verkniff es sich aber. Manche Kollegen hatten irgendwann ihre Familie nachgeholt. Doch Carola hatte sofort abgelehnt, als er ihr diesen Vorschlag machte. Sie fühlte sich hier von jeher tief verwurzelt und konnte auch ihren Bruder nicht verstehen. Von ihrem kategorischen »Nein!« ließ sie sich nicht abbringen, und Thomas pendelte weiter.
»Das Wetter ist ja traumhaft, ich nehme an, bei euch auch« lenkte Carola die Konversation ins Seichte. Sie wollte jetzt nicht über Probleme reden.
»Ja, schöner als den ganzen Sommer über«, stimmte ihr Thomas zu. »Ganz so heiß müsste es bei der Arbeit nicht sein, aber besser als Regen.«
»Ich war vorhin im Schwimmbad«, berichtete Carola.
»Ach ja, neuer Monat, neue Schicht«, wurde sich Thomas bewusst.
»Huhu! Sonst wäre ich jetzt noch nicht zuhause und könnte nicht munter mit dir plaudern«, half Carola mit ironischem Tonfall seiner Erinnerung auf die Sprünge.
»Mal sehen, wie es morgen läuft, vielleicht können