Название | Emanuel Schaffer |
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Автор произведения | Lorenz Peiffer |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783730705698 |
Moses Schaffer erkannte sehr schnell, dass es für seine Familie in dem neuen nationalsozialistischen Deutschland keine Zukunft mehr gab. Am 4. April 1933 flüchtete er mit seiner Familie aus Recklinghausen17 nach Metz, wo sie drei Tage später ankamen und zunächst in der Rue Pasteur 20 wohnten. In den nächsten Monaten wechselten sie zweimal ihre Unterkunft, blieben aber in der Rue Pasteur.18 Vater Moses Schaffer war bereits wenige Tage vor der nationalsozialistischen Machtübernahme nach Metz gereist und dort ab dem 25. Januar 1933 offiziell gemeldet, um sich nach einer entsprechenden Arbeit und vor allem nach einer Wohnung für seine Familie umzusehen.19 In Recklinghausen hatte sich schon länger abgezeichnet, dass er sein Abzahlungsgeschäft nicht erfolgreich würde weiterführen können, da er „von Schuldnern bedroht wurde – und oftmals von denen, welchen er gerade großzügig Kredit eingeräumt hatte“.20 Wie die Familie in Metz ihren Lebensunterhalt sichern konnte, ist nicht bekannt. Moses Schaffer hatte wohl versucht, auch in Metz ein Abzahlungsgeschäft aufzubauen – aber ohne großen Erfolg. Für die vier Kinder war die Flucht in das französische Metz ein tiefer Einschnitt in ihrem noch so jungen Leben. Herausgerissen aus ihrer gewohnten Umgebung und aus ihrem vertrauten Freundeskreis, mussten sie jetzt in einem Land leben, dessen Sprache sie nicht verstanden. Seitdem Elsass-Lothringen 1918 wieder zu Frankreich gehörte, war dort die deutsche Sprache im Erziehungssystem tabu. Aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse gingen Emanuel Schaffer und seine zwei älteren Schwestern in Metz nicht in die Schule.
In dieser Situation entschied sich die Familie, ins deutschsprachige Saarbrücken weiterzuziehen. Das Saarland war gemäß dem Versailler Vertrag seit 1919 deutsches Gebiet unter Verwaltung des Völkerbundes als Treuhänder. Am 3. August 1934 kam Familie Schaffer in Saar brücken an und wohnte zunächst in der Bahnhofstraße 19. Die Bahnhofstraße war die größte Einkaufsstraße der Stadt mit einem hohen Anteil jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte. Ohne die zahlreichen Geschäfte jüdischer Eigentümer wäre die „Entwicklung der Bahnhofstraße zu einer mondänen Einkaufsstraße […] kaum vorstellbar“ gewesen. Vielleicht war der Geschäftsmann Moses Schaffer aufgrund des „regen jüdischen Lebens“21 in der Saarmetropole zu der Überzeugung gelangt, dass hier ein sicherer Aufenthaltsort für sich und seine Familie sein konnte, wo er für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen konnte und seine Kinder wieder die deutschsprachige jüdische Religionsschule der Gemeinde besuchen konnten. Aber auch im Saarland war die nationalsozialistische Machtübernahme im deutschen Reich nicht ohne Folgen geblieben.
Wenngleich das Saarland und damit auch Saarbrücken zu der Zeit noch immer Mandatsgebiet des Völkerbundes waren und praktisch unter französischer Verwaltung standen, war die Stimmung „schon stark nationalistisch aufgeheizt mit Sympathie und vorauseilendem Gehorsam gegenüber NS-Deutschland“22. Am 28. August zog die Familie in den Saarbrücker Stadtteil Malstatt und dort in die Wilhelm-Meyer-Straße 1. Bereits wenige Monate, nachdem sie in Saarbrücken angekommen war, meldete sie sich am 26. November wieder ab. „In der Kartei ist Polen als neuer Ort angegeben“.23 Wenige Wochen später, am 13. Januar 1935, votierten 90,5 Prozent der saarländischen Bevölkerung im vom Versailler Vertrag bestimmten Volksentscheid über die Zukunft des Gebiets für den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland. Die „Heimkehr der Saar“ erfolgte am 1. März 1935. Unmittelbar danach setzten in dem neu geschaffenen Gau Saarland unter dem Gauleiter Josef Bürckel die nationalsozialistischen Gleichschaltungs- und rassistischen Verfolgungsmaßnahmen ein. Wie zwei Jahre zuvor hatte Moses Schaffer rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und floh erneut mit seiner Familie vor dem nationalsozialistischen Terror. Wäre die Familie im Saarland geblieben, wäre sie bereits im Oktober 1940 auf Befehl des Gauleiters mit den saarländischen und pfälzischen Juden in das südfranzösische Lager Gurs deportiert worden und später nach Auschwitz.
Emanuel Schaffer war zu diesem Zeitpunkt gerade elf Jahre alt. In Saarbrücken hatten er und seine Schwestern in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts die jüdische Schule besuchen können. Sie konnten sich wieder in einer Sprache verständigen, die sie beherrschten. Aber auch das war nur ein kurzes Intermezzo.
Ob die Familie Schaffer nach dem 26. November 1934 direkt nach Polen gereist ist, muss offenbleiben. Die nächsten Jahre liegen komplett im Dunkeln. In den verschiedenen kurzen biografischen Beiträgen über Emanuel Schaffer werden unterschiedliche Jahreszahlen genannt, wann die Familie in ihre alte polnische Heimat zurückgekehrt ist: In einem Interview mit dem „Virtuellen Schtetl“ sagte Emanuel Schaffer, dass der Vater Moses Schaffer nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1936 in das entmilitarisierte Rheinland entschieden habe, nach Porohy/Polen zurückzukehren.24 Auch Piorr datiert die Rückkehr „ins ostpolnische Galizien“ auf das Jahr 1936.25 Borggraefe26 und Lämmer sprechen von einer Ausweisung „als polnische Staatsbürger in ihr Hei-matland“ 193727 und auch Schleicher datiert die Rückkehr „nach Drohobycz“ auf das Jahr 1937.28 Vorsichtiger in der Datierung ist Schröder, die die Rückkehr der Familie nach Polen auf „1936 oder 1937“ legt.29 Lediglich in einem Schreiben des Regierungspräsidenten Münster vom 8. April 1960 zu dem Antrag von Emanuel Schaffer auf Gewährung von Entschädigung wird festgehalten: „[…] bis sie am 26.11.1934 nach Stanisławów/Polen, wo die Erblasser im Jahre 1919 die Ehe geschlossen hatten, zurückgekehrt sind“.30 In seiner eidesstattlichen Erklärung vom 28. Februar 1965 bestätigt Marian Nadel, ein ehemaliger Nachbar aus Drohobycz, dass die Familie Schaffer bereits „im Jahre 1934 oder 1935“ nach Polen zurückgekommen sei.31 Da das einzige vorliegende amtliche Dokument aus Saarbrücken die Abreise aus der Stadt für den 26. November 1934 ausweist, ist davon auszugehen, dass die Familie Schaffer spätestens zu Beginn des Jahres 1935 wieder in Polen wohnte.
Für Emanuel Schaffer und seine Schwestern bedeutete die Flucht nach Galizien keineswegs die Rückkehr in ihre alte Heimat. Ihre Heimat war Recklinghausen, wo sie neun Jahre ihrer Kindheit und Jugendzeit verbracht hatten. Sie waren mit der deutschen Sprache aufgewachsen, die polnische Sprache und auch das Leben in einem Shtetl waren ihnen fremd. Eine Fortsetzung ihrer schulischen Laufbahn war unter diesen Umständen zunächst ausgeschlossen. „Ich brauchte eineinhalb Jahre, meine Schwestern sogar noch etwas länger, bis wir so gut polnisch konnten, daß uns die Schule aufnahm“.32 Vermutlich kam eine jüdische Schule, wo auf Jiddisch gelehrt wurde, für die Schaffers nicht infrage. Emanuel besuchte vom Ende des Jahres 1936 bis August 1938 die Volksschule in Stanisławów und im Anschluss von 1938 bis 1941 die technische Mittelschule in Drohobycz.
Nachdem die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 Polen überfallen hatte, lebten die Schaffers in der von der Roten Armee besetzten Region in relativer Sicherheit. Am 23. August 1939 hatten die Sowjetunion und Nazi-Deutschland einen Nichtangriffspakt geschlossen (Hitler-Stalin-Pakt), der einerseits dem Deutschen Reich die Neutralität der Sowjetunion bei einem Krieg Deutschlands mit Polen und den Westmächten zusicherte und andererseits u. a. Ostpolen zum sowjetischen Interessengebiet erklärte. Am 17. September 1939 begann die sowjetische Armee mit der Besetzung Ostpolens. Die Schaffers lebten damit zwar unter sowjetischer Besatzung, waren aber noch geschützt vor der antisemitischen Verfolgung durch die Deutschen. Aber auch unter der sowjetischen Besatzung war das jüdische Alltagsleben in Galizien geprägt von politischen Restriktionen. Prominente Juden der Stadt wurden als Kapitalisten verhaftet und in die Sowjetunion deportiert.33
In Drohobycz konnte Emanuel Schaffer endlich wieder seiner Leidenschaft Fußball nachgehen. Er wurde Mitglied der Fußballmannschaft des jüdischen Klubs Betar Drohobycz, einem Klub der revisionistischzionistischen Jugendbewegung, der sich 1910 gegründet hatte.34 Ein Bild aus dem Jahr 1939 zeigt ihn im Kreis seiner Mannschaft (obere Reihe, Dritter von links). 25 Jahre später teilte er einer israelischen Zeitung mit, dass er als 16-Jähriger eigentlich nicht spielberechtigt gewesen sei und deswegen für ihn ein fingierter Spielerausweis unter einem falschen Namen ausgestellt wurde.35