Название | Fantasy |
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Автор произведения | Martin Hein |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | Musiker-Biografie |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783708105260 |
Kapitel 7:
Für Martin ist es so weit – Deutschland, ich komme!
Wie reagiert man, wenn man nach über fünf Jahren des Wartens und des Vermissens tatsächlich den Ausreisebescheid in Händen hält?
Es fällt mir schwer, meine Gefühle von damals in Worte zu fassen. Da war eine Rieseneuphorie. Einerseits die Freude darüber, das Land mit diesem kommunistischen System zu verlassen. Aber vor allem der Gedanke und die Erwartung, dass ich endlich meinen Vater wiedersehen würde. Dazu jede Menge Matchbox-Autos, die man in Deutschland einfach so in jedem Geschäft kaufen konnte. Das schrieb mein Vater jedenfalls gern in seinen Briefen. Matchbox-Autos! Ich war süchtig nach Matchbox-Autos und hütete meine kleine, bunte Sammlung wie meinen wertvollsten Schatz.
Oder Bananen. Wir wussten, wenn wir in Deutschland sind, bräuchten wir nur in einen Laden zu gehen, Geld auf die Theke zu legen, und dann könnten wir uns so viele Bananen oder Orangen kaufen, wie wir wollten. Einfach so. Das waren wir ja gar nicht gewohnt.
Das war also eine große Freude, aber auch gleichzeitig total traurig. Ich wünschte mir jahrelang einen Hund. Meine Mutter war irgendwann so genervt von meinem Gequengel gewesen, dass sie meinen Onkel Franz anrief und ihn bat, er solle uns einen Welpen vorbeibringen, wenn seine Schäferhündin Edith den nächsten Wurf habe. Zwei Wochen, bevor wir erfuhren, dass wir ausreisen dürfen, bekam ich also meinen eigenen, super süßen kleinen Schäferhund Egon. Er war extrem drollig und hatte verhältnismäßig große dunkle Ohren. Daran kann ich mich noch bestens erinnern. Er durfte bei mir im Bett schlafen und wich mir eigentlich nur dann von der Seite, wenn ich in der Schule war. Ich war damals gerade zwölf Jahre alt geworden und besuchte die fünfte Klasse. Es gab nur eine Schule, dorthin ging man von der ersten bis zur achten Klasse.
Doch kaum hatte ich endlich meinen Wunsch-Hund, musste ich ihn auch schon wieder hergeben. Sie können sich vorstellen, wie ich geweint und getobt habe. Ich war unendlich traurig, und nicht einmal meine geliebte Oma schaffte es, mich zu beruhigen. Aber was sollte ich machen? Es war uns nun mal nicht erlaubt, ein Tier mit nach Deutschland zu nehmen. Also musste ich schweren Herzens Abschied von meinem kleinen Liebling nehmen.
Auch meine Oma hat stark darunter gelitten, dass sie uns nun verlieren sollte. Für meine Mutter, meinen Bruder und mich war der Abschied ebenfalls nicht leicht. Ich kannte jeden einzelnen Bewohner unseres Dorfes. Meine ganzen Freunde, unsere Verwandten lebten dort. Damals war es ja nicht wie heute, dass man sich verabschiedet und in eine andere Stadt oder ein anderes Land umzieht und dann, so oft es geht, miteinander telefonieren oder skypen kann. Geschweige denn, sich besuchen. Damals sagte man tschüss zu seinen Liebsten und hatte nicht die geringste Ahnung, wann man sich wiedersehen würde. In zwei, fünf oder erst in zehn Jahren.
Meine Mutter, Damian und ich mussten mit unserem bisherigen Leben abschließen und uns auf ein ungewisses Leben in einem uns absolut fremden Land einlassen. Wir freuten uns zwar auf Vater, aber wir wussten nicht, ob er sich auch auf uns freute und wie er uns empfangen würde. Damals gab es ja keine Möglichkeit, per Computer miteinander zu telefonieren und sich dabei auf dem Bildschirm zu sehen. Es gab auch keine Handys, und nur die wenigsten Menschen besaßen ein eigenes Telefon. Telefonieren war nur alle paar Monate möglich, Briefe dauerten Wochen. Wir wussten nicht mal genau, wie Vater zwischenzeitlich aussah. Auch den Klang seiner Stimme hatten wir nicht mehr im Ohr. Dafür kreiste in unseren Herzen und Gedanken alles um die eine Frage: Was würde aus uns werden?
Wir verließen unsere Heimat im Februar 1983. Einen Monat nach meinem Geburtstag. Wenn man ausreiste, durfte man beim Schreiner große Holzkisten bestellen, die man mit Kleidung, Geschirr, Töpfen, Besteck, Bettwäsche usw. vollpackte. Meine Mutter hat alles hineingestopft, was irgendwie möglich war. Wir hatten zwei Kisten, die schon vor uns auf die große Reise mit dem Zug nach Deutschland geschickt wurden. Jeder von uns durfte einen Koffer mitnehmen. Wir sind dann mit dem Bus von unserem Dorf zum Bahnhof nach Gleiwitz gefahren. Dort stiegen wir in den Zug. Das war für uns Kinder wahnsinnig aufregend. Damals gab es ja noch die bewachten Grenzen. Nachts wurden wir von Zollbeamten mit scharfen Hunden ausgefragt, unsere Pässe wurden kontrolliert. Die haben mit dem Spiegel und Taschenlampen unser komplettes Abteil durchsucht. Das war ganz großes Kino!
Nach zwölf Stunden kamen wir völlig gerädert im Grenzdurchgangslager in der niedersächsischen Gemeinde Friedland im Landkreis Göttingen an. Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen hatte es nach dem Zweiten Weltkrieg für vertriebene Deutsche aus den ehemals deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland genutzt. Das Lager war von der britischen Besatzungsmacht auf dem Gelände der nach Friedland ausgelagerten landwirtschaftlichen Versuchsanstalt der Universität Göttingen errichtet und am 20. September 1945 in Betrieb genommen worden. Es trug den Beinamen „Tor zur Freiheit“. Das gefiel mir.
Das Lager wurde als Übergangseinrichtung für Aussiedler aus Polen und der DDR genutzt, heute dient es vor allem als Aufnahmelager für Spätaussiedler.
In Friedland waren wir drei Tage, dann ging es für uns weiter in das Aufnahmelage nach Unna-Massen, wo man zwei Monate bleiben musste. Dort wurde für die Einwanderer alles Behördliche geregelt, vom Übersetzen der Geburtsurkunde angefangen, außerdem entschied man, in welchem Bundesland man sich niederlassen wollte. Meine Mutter hatte die ganze Zeit mit den Ämtern zu tun, und mein Bruder und ich sind in der Zwischenzeit schon in die deutsche Schule gegangen.
Das Leben in einem solchen Lager ist recht spartanisch. Wir hatten zu dritt ein Zimmer mit zwei Doppelstockbetten, Bad und Toilette waren auf dem Flur. Auf unserer Etage wohnten vier verschiedene Familien, wir teilten uns eine Küche mit zwei Herdplatten und einem Kühlschrank. Im Keller gab es eine Waschküche mit zwei Gemeinschaftswaschmaschinen. Wir hätten theoretisch ja direkt zu meinem Vater ziehen können, der in Burscheid wohnte. Aber es war Pflicht für Neuankömmlinge, diese Prozedur zu durchlaufen.
Das Spannendste an diesem neuen Leben war für mich natürlich: Ich durfte endlich meinen Papa wiedersehen! Ich war neugierig. Als ich ihn dann am Bahnsteig sah, war er mir fremd. Ich hatte ihn nach fünf Jahren ganz anders in Erinnerung. Aber schön war dieser Moment trotzdem. Unvergesslich.
Meine Eltern hielten Händchen, und wir beschlossen, erst einmal essen zu gehen. Wir sind dann an einem kleinen Tante-Emma-Laden vorbeigekommen, den wir Kinder unbedingt von innen sehen wollten. Er war das erste Geschäft, das ich in Deutschland betreten habe. Ich stand in dem Laden und wusste nicht, wie mir geschah. Sie müssen sich vorstellen, wie man sich wohl fühlt, wenn man sein ganzes Leben in einer Schwarz-weiß-Kulisse gelebt hat, und plötzlich öffnet man die Augen, und um einen herum leuchtet die ganze Welt in den schillerndsten Farben. Wie eine Million Regenbogen!
Die Fülle an Lebensmitteln in dem winzigen Laden hat mich erschlagen. Ich sah das viele unterschiedliche Obst und konnte meinen Augen nicht trauen. Ich habe jedes einzelne Stück angefasst, um mich zu vergewissern, ob es auch echt war. Wie in Trance lief ich durch das Geschäft. An der einen Wand hingen Matchbox-Autos, daneben ganz viel anderes Spielzeug.
Auf den Straßen das Gleiche: viele schicke Autos. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt ja nur Trabant und Wartburg. Plötzlich mit Mercedes, Opel und BMW konfrontiert zu sein, hat mich fasziniert.
Das Ergebnis dieser ersten Erlebnisse war: Ich habe vier Tage lang mit 40 Grad Fieber im Bett gelegen. Mein Kopf konnte das, was er da gesehen hat, nicht verarbeiten.
Dann mussten wir, wie gesagt, in das zweite Lager nach Unna-Massen, eine Stadt im östlichen Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen. Meine Mutter konnte unsere Personalausweise beantragen, mein Bruder und ich sind zur Schule gegangen. Unsere erste deutsche Schule. Wir haben zwar auch in Polen teilweise deutsch gesprochen, weil meine Großeltern ja Sudetendeutsche waren. Aber hier in Unna fiel es uns schwer, mit der Sprache klarzukommen. Ich habe damals nur Bruchstücke verstanden.
Rückblickend würde ich sagen, dass die Ehe meiner Eltern schon damals in Unna gescheitert war. Mein Vater wohnte in Burscheid und pendelte