sieht eigentlich ganz normal aus. Das silberne Muster auf der schwarzen Uniformjacke wirkt auf den ersten Blick wie die Röntgenaufnahme eines Brustkastens. „Ozzy Osbourne!“, fährt es einem durch den Kopf: die gleichen schwarzen Haarsträhnen, der gleiche leicht gebückte und leicht wacklige Gang. Aber mit ersten Eindrücken ist es so eine Sache. Als man sich die Szene später auf youtube nochmal anschaut, sieht man bloß einen Michael Jackson, der zügig durch die Tür schreitet, den dort auf ihn wartenden Buggy zur Seite winkt und im Korridor verschwindet. Die Fans heulen derweil auf wie ein Jumbo-Jet kurz vor dem Start und blitzen mit Fotoapparaten und Handys Richtung Videowand. Ehe Jackson tatsächlich die Bühne betritt, kredenzt die Videowand eine Sequenz von Video-Highlights aus seiner ganzen Karriere. Das Fangeschrei wird noch ein paar Dezibel lauter. Und dann steht er endlich da, dieser Michael Jackson. Flüstert O’Leary etwas ins Ohr und wird von diesem hinter das Mikrofon mit dem roten Schild gewiesen: „King of Pop – Michael Jackson“. Man fürchtet ob des resultierenden Kreischens um die Glasfront der schönen Nobelhalle, wo selbst die Hamburger in Ciabatta serviert werden. Michael macht mit seiner Rechten das Victory-Zeichen und sagt: „I love you so much. I love you so much.“ Die versammelte Fangemeinde, zu der Teenager ebenso gehören wie deren Eltern und womöglich Großeltern, dankt es mit einem kurzen Aufschrei und versinkt in inniger, respektvoller Stille. Jackson guckt kurz auf seine Schuhe, zupft am Ärmel, lehnt sich vor: „Thank you all.“ Guckt in die Runde. Räuspert sich. Rückt das Mikrofon zurecht. Sticht mit dem Zeigefinger in die Luft und sagt: „This – is – it!“ Wendet sich vom Mikrofon ab, geht leicht in die Knie und zappelt mit den Armen wie Rafael Nadal nach dem siegreichen Ass. „Ich will nur sagen“, sagt er dann und bittet mittels hochgehaltener Hand um neuerliche Ruhe, „dieses werden meine letzten Show-Performances sein – in London. Das wird es sein. This is it. Wenn ich sage: This is it, dann heißt das nun wirklich: This is it. Denn …“ – ein Zwischenruf aus dem Publikum entlockt Jackson ein Schmunzeln und einen kleinen Lacher. Er wendet sich ab. Blickt grinsend zu O’Leary hinüber. Blickt ins Publikum. Dieses skandiert mittlerweile aus voller Brust „We want Michael“, obwohl es ihn nun ja eigentlich hat. Jackson drückt sich die rechte Hand flach auf die Brust, dann die Linke flach auf die Rechte. Dann spricht er weiter: „Ich werde die Songs aufführen, die meine Fans hören wollen.“ Pause. Kreischen. „This is it. Ich meine: This is really it. Das ist der endgültige Schlusspunkt. Okay? Ich werde euch also im Juli sehen. Und …“ Pause. Kreischen. Zurufe. Jackson grinst. Hebt die Hand zum Gruß. „I love you. I really do. Das müsst ihr wissen. I love you so much. Really. From the bottom of my heart.“ Diesmal die Linke flach auf die Brust. „This is it – see you in July!“ Zwei, drei Faust-in-die-Luft-Posen für die Fotografen. Ein Handküsschen fürs Publikum, und schon entschwindet der King zwischen den feuerroten Vorhängen. O’Leary wird vom raschen Ende des Auftrittes sichtlich überrascht. Er fasst das Gesagte kurz zusammen und fügt noch das Datum der ersten der zehn geplanten Shows hinzu – 8. Juli 2009. Niemand hört mehr zu. Um ihn herum hat man bereits mit dem Abbau der Bühne begonnen. Kaum zwei Minuten hatte Michael Jackson vor dem Mikrofon gestanden. Zwei Minuten, die unter den Journalisten zuerst ungläubiges Gelächter („Zwei Minuten! This is it! Der hat sie ja nicht alle!“), dann rege Diskussionen auslösen. Was hat Jackson mit seinen Sprüchen nun wirklich gemeint? Sollen das tatsächlich seine letzten Konzerte überhaupt werden? Oder muss man ihm beim Wort nehmen, sind es nur die letzten in London? Wird er in zwei Jahren statt in London einfach in Exeter auftreten? Oder für die nächsten zehn Shows nach Berlin, New York oder Johannesburg bitten? Könnte er gar eine Tournee unternehmen, wenn die O2-Konzerte gelingen? Und was ist mit dem neuen Album? Einer langen Tradition folgend, hat es Michael Jackson erneut geschafft, bei einem öffentlichen Auftritt mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten. Schon seine Erscheinung zum Beispiel. Für einen 50-jährigen, der vor Kurzem noch zu schwach war zum Gehen, machte er einen erstaunlich robusten und jugendlichen Eindruck. Die Stimme war auch nicht das, was man erwartet hätte. Richtiggehend kräftig war sie gewesen, vital. Nicht wiederzuerkennen gegenüber dem heliumleichten Flöten, mit welchem er einst die Fragen von Martin Bashir beantwortete! Bald erfinden die versammelten Medienvertreter ein Gerücht. „War er das wirklich, der Jackson?“, fragen sie hinter vorgehaltener Hand. „War das nicht ein Double?“
Danach redet man draußen mit den wahren Fans. „Unglaublich, auch wenn er nur ein paar Minuten dastand“, sagt ein junger Mann. „Wie immer, bei Michael.“ Ein anderer kann es kaum fassen: „Amazing. Amazing. Er ist echt zurück! Wir lieben ihn.“ „Wir warteten sechs Stunden“, strahlten zwei ebenfalls junge Damen. „Es war brillant. Nur schon, dass er wirklich dastand.“ „Ich bin ein Michael Jackson-Fan, seit ich geboren bin“, kommt es von einem nigerianischen MJ-Fan: „Allein schon ihn live vor mir zu sehen war amazing.“ Es ist erstaunlich. Zwei Minuten auf der Bühne, kommen sich die Fans da nicht veräppelt vor? Nein, ist die simple Antwort. Immerhin ein Mann, ein Jamaikaner, gibt zu, nicht der allergrößte Jackson-Fan zu sein. Trotzdem ist er happy: „Michael ist einfach ein phänomenaler Künstler. Der Künstler einer Generation. Ein Künstler, den, würde ich sagen, jedermann einmal im Leben live erleben will.“ Eintausend Pfund – den Betrag sind die meisten Befragten bereit für ein Ticket auszugeben.
Einige Tage später folgt die Nachricht, dass Jackson der Ticket-Nachfrage entsprechend vierzig weitere O2-Konzerte bestreiten wolle. Wenn alles gut geht, wird sich die Serie bis in den Februar 2010 hineinziehen. Insgesamt fünfzig Shows in einer Halle, die 17 000 Zuschauer fasst. Beim ersten Ansturm gingen stündlich 39 474 Tickets weg. Die Konzerte waren in Rekordfrist ausverkauft. Damit stellt Jackson seinen alten Rivalen Prince in den Schatten, der vor zwei Jahren mit vergleichsweise mickrigen einundzwanzig O2-Shows eine Karriere-Renaissance einleitete. Jackson habe sich einer Reihe von Fitness- und Gesundheitstests unterziehen müssen, ehe der Veranstalter sich auf die Konzerte einlassen wollte.. Die Versicherungssumme für den Fall einer Absage der fünfzig Konzerte soll sich auf 300 Millionen Pfund belaufen. Wen verwundert es da, wenn Gerüchte aufkommen?
The Jackson 5 nach einem TV-Auftritt bei American Bandstand. Michael Jackson (mitte), mit seinen Brüdern (v.l.n.r.) Marlon, Jackie, Randy und Tito.
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Es ist immer wieder eine schockierende Einsicht, wenn man daran erinnert wird, wie wenige Generationen verstrichen sind seit der Abschaffung der Sklaverei. Der Urgroßvater von Katherine B. Scruse hatte diese Zeiten noch miterlebt und schließlich sogar den Namen der Familie angenommen, bei der er zuletzt Sklavenarbeit geleistet hatte. „Kattie“ wurde am 4. Mai 1930 im tiefsten Süden geboren, in Barbour County, Alabama. Ihr Vater, Prince Scruse (der Vorname ist also weder von Michael Jackson noch gar von Prince Rogers Nelson erfunden worden!), arbeitete bei der Eisenbahn und bewirtschaftete nebenher eine kleine Baumwollfarm. Mit achtzehn Monaten wurde Katherine von der Kinderlähmung befallen, einer manchmal tödlichen Krankheit, gegen die es damals noch keinen Impfstoff gab. Auf der Suche nach besserer Arbeit zog die Familie 1934 in den Norden nach Chicago. Wenig später trennten sich die Eltern, die beiden Töchter blieben bei der Mutter Martha. Als Teenager verbrachte Katherine wegen der Spätfolgen der Kinderlähmung viel Zeit im Krankenhaus, was ihre Schulbildung erheblich beeinträchtigte. Dafür ging sie in der Musik auf. Sie spielte Klarinette und Klavier, war Mitglied im Schulchor und im Chor der lokalen Baptistengemeinde. Ausgerechnet der kontroverse und tragische Country & Western-Pionier Hank Williams war das Idol der gottesfürchtigen jungen Frau (später galt ihre Vorliebe dem rebellischen Willie Nelson). Mit siebzehn Jahren lernte sie auf einer Party den ein Jahr älteren und bereits verheirateten Joseph Walter Jackson kennen. Dieser – geboren am 26. Juli 1929 – war der Sohn eines autoritären High School-Lehrers mit zutiefst antisozialen Neigungen. So war es ihm und seinen vier Geschwistern strengstens verboten, sich außerhalb des Hauses mit Freunden zu tummeln. Als er ein Teenager geworden war, trennten sich die Eltern. Er wohnte zuerst beim Vater in Oakland, zog dann zur Mutter nach Chicago. Der Schule kehrte er frühzeitig den Rücken und verbrachte dafür umso mehr Zeit im Amateur-Boxring. Seine erste Ehe ging nach einem Jahr in die Brüche. Am 5. November 1949 fand die Hochzeit von Joseph Jackson und Katherine