Krawattennazis. Peter Langer

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Название Krawattennazis
Автор произведения Peter Langer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672870



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mit ungläubigem Staunen. Das war nicht die Art von Fall, mit dem er eine Woche beginnen lassen wollte. Und genau genommen hatte er in seiner Karriere als Polizeiermittler noch nie eine Arbeitswoche so beginnen müssen. Nichts an dem Anruf, der knapp 25 Minuten zuvor bei ihm eingegangen war, hatte auf so etwas hingedeutet. Emde hatte eher auf einen Jagdunfall getippt. Und vielleicht auch etwas gehofft. „Willst du sagen, er wurde durch das geöffnete Visier des Hochsitzes erschossen?“ Meistermann nickte düster und blickte sich vorsichtig um. Musste ja nicht sein, dass direkt jeder Kollege diese Information mitbekam. Polizei und Dienstgeheimnis hin oder her, so etwas verbreitete sich schnell, war rasch im vertrauten Kreis Familien oder Freunden erzählt und dann nicht mehr einzuholen. „Aus dieser Distanz?“ Wieder ein Nicken.

      Emde wurde blass. Auch das noch. Das Werk eines Profis. Wer sonst sollte so etwas hinkriegen? Was er immerhin wusste: Auftragsmorde dieses Kalibers waren äußerst selten in Deutschland. Er konnte sich nicht erinnern, dass es in Nordhessen jemals eine solche Tat gegeben hatte. Abgesehen vom Mord am Regierungspräsidenten in Kassel vor einigen Jahren. Die Tat wurde nie vollkommen aufgeklärt. Der Mörder war zwar verurteilt, die Zweifel an seinem Alleingang blieben jedoch – alle Untersuchungsausschüsse hatten keine Klarheit bringen können. Die Menschen rings um den beschaulichen Diemelsee, die in den abgelegenen Dörfern beinahe noch in dem Zeitalter verankert waren, in dem man die Kinder von der Straße holte, wenn ein fremdes Auto nahte, würden jedenfalls begeistert sein bei der Vorstellung, dass ein bezahlter Killer in der Gegend war. Was er andererseits nicht zuletzt aus abendlichen Fernsehkrimis wusste: Diese Art Klientel von angeheuertem Auftragsmörder kam, erfüllte den Job und verschwand dann in der Regel rasch, ohne weiteren Ärger zu machen. Um dann, vermutete Emde, in vielen Fällen selbst für immer zu verschwinden, wenn es wirklich ganz große Aufträge waren. Er hatte jedenfalls noch nie mit so etwas zu tun gehabt. Sie mussten nun schnell sein. Eine Sonderermittlungsgruppe würde gebildet werden müssen. Ermittler aus Kassel würden nach Korbach abkommandiert, wo es keine Mordkommission gab, er sah es bereits kommen. Emde schüttelte den Kopf.

      Das mutmaßliche Mordopfer, Lieberknecht, war in der Region bekannt wie ein bunter Hund. Meistermann hätte ihn gar nicht vorzustellen brauchen. Dass der Tote der bekannte Bankvorstand war, hatte Emde schon während der Anfahrt kombiniert. Die Polizeistreife, die nach dem eingegangenen Anruf als erste vor Ort war, hatte von einem schweren Mercedes-Geländewagen mit Dortmunder Kennzeichen gesprochen, der auf einem Parkplatz in der Nähe gesichtet worden war. Metallic-Lackierung und Zusatzscheinwerfer auf der Stoßstange. Und so etwas, dachte Emde, fährt hier weit und breit nur einer: Carl Lieberknecht. Lieberknecht war reich. Keiner wusste, wie reich genau. Was aber dafür bekannt war und Inhalt vieler Thekengespräche in den umliegenden Orten: Sein Kapital stützte ein Unternehmen mit Hauptsitz in den Vereinigten Staaten, das es sich auf die Fahnen geschrieben hatte, bisher unentdeckte Bodenschätze aufzuspüren und alte Erz- und Kohlegruben mit neuen Abbaumethoden zu reaktivieren. Seit knapp zwei Jahren wurde lebhaft und so manches Mal nicht nur mit Worten um eine mögliche Wiedererschließung einer stillgelegten Erzgrube ganz in der Nähe gerungen. Die Grube Christiane war bereits seit den achtziger Jahren ein Besucherbergwerk. Seit mehr als 50 Jahren wurde dort nicht mehr gefördert. Es gab noch einen Knappenchor ehemaliger Kumpel, ein Verein mit chronischen Nachwuchssorgen, weil die Dorfjugend anderes im Sinn hatte, als freitagsabends, auf runden Geburtstagen und Volksfesten das Kommen des Steigers zu besingen und regelmäßige Führungen an den Wochenenden anzubieten. Dem Mittvierziger Emde waren früher als Jugendlicher die regelmäßigen Schulausflüge in die feuchten Stollen unheimlich. Umso mehr verspürte er bis heute Achtung vor den Generationen von Bergleuten, die ihren kargen Lebensunterhalt in dieser Dunkelheit erschufften mussten. Noch heute gab es in den Dörfern ehemalige Kumpel der Grube Christiane, denen ihr hartes Arbeitsleben, aber auch ihr ungebrochener Geist, anzusehen war.

      Vor allem die Naturfreunde und Gastronomen, die in den vergangenen Jahren viel Geld in die Belebung des Fremdenverkehrs und in den Auf- und Ausbau von Wanderwegen und Grill- und Spielplätzen gesteckt hatten, waren von dem Reaktivierungsplan des Bergwerks nicht gerade begeistert. Und die vielen Vereine, die sich liebevoll um die Instandhaltung der Freizeitanlagen kümmerten, ebenfalls nicht. Andererseits war die darbende Gegend dringend auf Arbeitsplätze angewiesen. Von der Gewerbesteuer einer prosperierenden Erzgrube ganz zu schweigen, zur Not auch auf Kosten der Steuereinnahmen durch den Fremdenverkehr, denn die ersteren Einnahmen stachen die letzteren locker aus – sofern der Weltmarkt nicht auf die nächste Rezession zusteuerte und die Nachfrage nach Eisenerz bestehen blieb. Lieberknecht, der streitbare Geist dieser Überlegungen, war nun also tot.

      Emde löste sich von seinen Gedanken und registrierte, dass sich ein Leichenwagen im niedrigen Gang den Feldweg von Heringhausen hinauf quälte. Spätestens jetzt mussten die im Dorf unten vollends Bescheid wissen, dass oben auf den Wiesen nicht nur einige Stück Rotbunte gestohlen worden waren.

      „Wissen wir etwas zur Tatzeit?“ Meistermann blickte wieder auf sein Klemmbrett. „Bis jetzt wenig. Laut Temperatur der Leiche dürfte der tödliche Schuss vor knapp zwei, eher zweieinhalb Stunden abgegeben worden sein. Schon kurze Zeit darauf wurde er entdeckt.“ Meistermann deutete zum Hochsitz hinauf. „Die Tür stand so offen wie jetzt und einem Landwirt ist die zusammengesackte Gestalt dort oben aufgefallen. Otto Bunse heißt der Mann. Dachte zuerst, ein Herzinfarkt hätte ihn dahingerafft. Dann ist er die Leiter hoch und hat sich das Ganze aus der Nähe angesehen.“

      Emde sah etwas abseits einen Mann stehen, der offenbar dieser Landwirt war. Gott im Himmel, der Mann im Alter von knapp 60 Jahren sah wirklich so aus, wie man sich im Rest Deutschlands wohl einen Landwirt in der tiefsten Provinz vorstellen mochte: Cordhose, grobes Hemd, darüber eine Feldweste, zerfurchtes Gesicht und auf dem Kopf eine verschossene Wollmütze, wie man sie heute allenfalls noch bei den Gebirgsjägern findet – mit Metallabzeichen und zwei Knöpfen über dem Schirm. „Ein Herzinfarkt mit massivem Blutverlust, hm?“ Emde verkniff sich mit Mühe einen Anflug von spöttischem Grinsen. Er ging zu dem Mann hin, der sichtlich mitgenommen war. „Ich hab gedacht, der hätte einen Herzkasper“, begann der Landwirt zu stammeln und trat unsicher von einem Bein auf das andere. Emde machte mit beiden Händen eine Geste, die beruhigend wirken sollte und stellte sich kurz vor. Der Mann sah aus der Nähe noch erbärmlicher aus. Emde versuchte die emphatische Tour: „Fühlen Sie sich unwohl? Brauchen Sie ein Glas Wasser?“ Doch der Bauer schüttelte den Kopf. „Das an der Wand ist Hirn, nicht? Sieht beim Schlachten von Vieh genauso aus. Gütiger Herr Jesus!“ Emde sah Meistermann an, doch der schüttelte in instinktivem Verstehen den Kopf. Ein Arzt war offenbar nicht nötig. Bunse würde das Erlebte wohl durchstehen. Inzwischen trugen zwei Mitarbeiter der Gerichtsmedizin in Kassel in der Würde, die ihnen der steile Hang ließ, einen schmucklosen Zinksarg heran, öffneten ihn und schlugen Kunststoffplanen auseinander. „Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, bevor Sie den Toten entdeckten. Ein Wanderer, ein fremdes Auto vielleicht? Irgendetwas, das anders war als sonst?“ Doch Emde erntete nur ein Kopfschütteln. Der Landwirt konnte den Blick nicht von dem Geschehen lösen, das sich ihm da gerade bot. Eigentlich verständlich, dass es bis jetzt noch keine verwertbaren Spuren gab, dachte Emde. Wenn es wirklich ein Profi war und er vielleicht mit einem Mietwagen in die Gegend gekommen war, würde dieser sicher nicht in sichtbarer Nähe stehen. Der Ermittler hatte den Verdacht, der unbekannte Mörder könnte die letzte Strecke vielleicht sogar mit dem Bus gefahren sein. Getarnt als Wanderer. Mit einem sehr großen Rucksack. Vielleicht war später aus dem Zeugen noch etwas herauszukriegen. „Ich muss Sie jetzt bitten, meine Kollegen aufs Revier zu begleiten“, schlug Emde den freundlichsten Ton an, den er auf Lager hatte, und fischte eine Karte aus seiner Wachsjacke. „Rufen Sie mich an, wenn Ihnen darüber hinaus noch irgendetwas einfällt.“ Der Landwirt murmelte einen unverständlichen Abschiedsgruß und wandte sich den wartenden Uniformierten zu, die mit ihm nach Korbach aufs Revier zur Protokollierung einer Aussage fahren würden. Seinen Traktor würde ein weiterer Kollege zu seinem Hof nach Sudeck bringen. Traktor fahren, das können wir hier alle, dachte Emde nicht ohne einen Anflug von Hohn und Stolz gleichermaßen. Ihm fiel plötzlich noch etwas ein. „Herr Bunse?“ Der Landwirt wandte sich um. „Ich muss Sie bitten, über das hier nach Möglichkeit mit niemandem zu reden. Das Wichtigste ist, dass die Spekulationen nicht ins Kraut schießen, wissen Sie?“ Der Landwirt nickte, sagte aber nichts.

      Unterdessen wurde die Leiche von Carl Lieberknecht aus ihrer unwürdigen Position befreit. Der Tote wurde