Название | Wie ein Regenbogen |
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Автор произведения | Simon Wells |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854456988 |
In den Neunzigern erlebte Anita eine persönliche Renaissance, die sie aber nicht selbst forciert hatte: Die Explosion des Britpop führte zu einer Beschäftigung mit den Sixties, einer Ära, die sie zu formen half. Durch eine neu ausgerichtete Perspektive wurde Pallenbergs starker Einfluss nun in einem anderen Kontext betrachtet, wodurch ihr ein Respekt zuteilwurde, der ihr durch all die Kontroversen um ihre Person bislang vorenthalten worden war. Beinahe zwangsläufig gab es auch ein neues Interesse an Performance, und Anitas außergewöhnliche Leinwandaura erreichte nun eine wesentlich größere Wertschätzung. Während zahlreiche Kritiker sich regelrecht überschlugen, um Kate Moss oder Sienna Miller für ihren omnipräsenten „Boho Chic“ zu loben, wussten andere, dass Anita diesen verwegenen Look viele Jahre vor der Zeit propagiert hatte, in der die neuen Modeikonen durch den Schlamm vor der Bühne beim Glastonbury-Festival wateten.
Der Beginn des 21. Jahrhunderts stellte sich als eine unsichere Zeit für die ehemaligen Draufgänger der Sixties heraus, die in ihrer Blütezeit noch die Welt in Brand gesetzt hatten. Das zunehmende Alter verhinderte eine größere Mobilität, doch Anita setzte ihren begonnenen Weg fort und blieb weiterhin eine Muse, aber nun für eine neue Generation. Während sie noch private Kontakte zu den höchsten Rängen der Rockmusik und der Modewelt unterhielt, richtete sich ihr Interesse verstärkt auf ihre Familie und sie entwickelte große Freude an der Gartenarbeit. Zwar tauchte sie noch gelegentlich bei Themen-Events auf, doch nur die gut informierten Journalisten wussten sie einzuordnen. Allerdings stach Anita noch immer durch ihre selbstbewusste, Zen-ähnliche Aura hervor.
Im Juni 2017, über ein halbes Jahrhundert, nachdem sie die Weltbühne mit einem Paukenschlag betreten hatte, verstarb sie an den Folgen verschiedener Erkrankungen, die sie schon seit Jahren plagten. Anita Pallenberg verschied in Chichester still und ohne großes Aufsehen, nur sechs Meilen von Keith Richards’ geliebtem Redlands-Anwesen entfernt.
Als sich die Nachricht von ihrem Ableben verbreitete, begannen die ersten Zeitungen zumindest über einen Teil ihres außergewöhnlichen Lebens zu berichten. Die populären Medien hatten ihren Spaß daran, Anita als Inbegriff des Rock’n’Roll-Exzesses darzustellen, doch sensiblere Betrachter enthielten sich solcher reißerischen Übertreibungen und bewerteten Pallenbergs enormen Einfluss auf die Mode und die Populärkultur. Natürlich – und das war leicht vorauszusehen – vermuteten einige, dass ihre Leistungen lediglich durch die Männer in ihrem Leben ermöglicht worden waren, doch andere durchdrangen den Nebel der „Popularität aus zweiter Hand“ und dokumentierten den einzigartigen, unabhängigen Weg, den sie nahm. Auch weisen sie darauf hin, dass ihr Einfluss immer noch real greifbar ist. In einem Zeitalter, in dem die #MeToo-Generation um die Durchsetzung ihrer Werte kämpft, hatte Anitas unabhängiger und offener Feminismus schon 50 Jahre zuvor Gestalt angenommen und sich bewährt.
Ich habe auf den Seiten dieses Buches den Versuch unternommen, Anitas Leben seriös und abgeklärt zu dokumentieren, jedoch ohne ein Werturteil abzugeben. Ich hoffe, dass dadurch ihre Errungenschaften und ihr Einfluss auf die moderne Kultur deutlich werden. Mir war es wichtig, auch die Tiefpunkte ihres Lebens darzustellen, wobei aber die Beschreibung der Falltiefe vor allem dazu dient, die Tragweite der dann folgenden außergewöhnlichen Renaissance erkennbar werden zu lassen.
Später einmal wird vielleicht jemand ein anderes Bild zeichnen, doch ich vertraue nach gründlicher Arbeit mit der Hilfe von Anitas engen Freunden, Bekannten und zahlreichen verlässlichen Beobachtern auf die Richtigkeit meiner Darstellung und der Schlussfolgerungen, zu denen ich gekommen bin. Der Regenbogen-Schmetterling, der mit beherzter Selbstsicherheit über dem Rad schwebte*, hat es verdient.
Simon Wells
Forest Row
Sussex
Juni 2019
* Diese Metapher des Autors bezieht sich auf das Zitat von Alexander Pope am Beginn von Kapitel 4.
Ich mag es, direkt in die Sonne zu sehen.
Arnold Böcklin
Es passt zu einem Menschen wie Anita Pallenberg, die während ihres gesamten Lebens große Freude daran hatte, auf allen Ebenen gegen die Konventionen zu verstoßen, dass auch ihr tatsächlicher Geburtstag und Geburtsort widersprüchlich angegeben werden. Während ein wahres Heer von Biografen, Kolumnisten und sogar Privatdetektiven bislang nur eine grobe Zeitspanne angaben, die von den frühen bis zu den späten Vierzigern des 20. Jahrhunderts reicht, hat ihre Familie nach Pallenbergs Tod im Juni 2017 bestätigt, dass sie am 6. April 1942 in Rom das Licht der Welt erblickte.
Die italienische Hauptstadt wurde für Anita im Laufe der Jahre zu einer bedeutenden Location, doch ganz im Geiste ihrer Vorfahren ließ sie sich nicht von der Verbundenheit zu nur einem einzigen Land einschränken. Als sie in den Sechzigern in der Öffentlichkeit auftauchte, führte ihre Geburt in Italien allerdings zu einiger Verwirrung, was die Wurzeln ihrer Vorfahren betraf. Während einige angaben, sie sei Deutsche, behaupteten andere felsenfest, sie käme aus Schweden, und wiederum andere stellten sie als Schweizerin dar. Die Mehrdeutigkeit ihrer Herkunft, nirgendwo und überall verwurzelt zu sein, steigerte ihre enigmatische Attraktivität zusätzlich.
Es ist jedoch unbestritten, dass der Familienstammbaum der Pallenbergs einzigartig ist und manche die Fantasie anregende Verästelungen aufweist. Anitas Ahnentafel ist charakterisiert durch Koryphäen aus unterschiedlichsten Sphären und ihre Blutlinie war von einer den Elementen zugeschriebenen Qualität gekennzeichnet, die sie später als „Sonne, Feuer und Eis im selben Körper“ beschrieb.
Anitas Vorfahren lassen sich Aufzeichnungen zufolge zuerst im Schweden des 15. Jahrhunderts nachweisen, und der Nachname Pallenberg wird allgemein übersetzt als ein „überhängender Felsen an einem Berg“. Ein wirklich substanzieller Beleg für die Familie fand sich jedoch erst im 18. Jahrhundert in Deutschland, denn die meisten Ahnen der Pallenberg-Linie lebten im Großraum Köln. Den vorhandenen Belegen nach waren sie alle gut situiert und hatten einen beachtlichen Einfluss in den jeweiligen Gemeinden. Wie auch das kreative Patchwork, das Anitas Leben bestimmte, zeigte die direkte Familiengeschichte eine beeindruckende Anzahl von Personen, die sich nachhaltig in den Künsten engagierten.
Während des 19. Jahrhunderts wurde Anitas Blutlinie um das Element des fantasievollen Innendesigns bereichert. Johann Heinrich und Franz Jakob Pallenberg leiteten in Köln einen Familienbetrieb. Statt das erfolgreiche Dachdeckerunternehmen des Vaters weiterzuführen, richteten sie ihr Interesse auf den Möbelbau. Die einfallsreiche Firma, die sich schnell einen ikonenhaften Ruf erarbeitete, entwickelte sich zum Lieferanten von gesuchten Möbelstücken mit kunstvoll verzierten Furnieren. Sie zog wohlhabende Industrielle und Kunden aus den höchsten europäischen Adelskreisen an.
Neben dem blühenden Familiengeschäft pflegte Johann Pallenberg ein Interesse an der romantisch ausgerichteten Kunst und unterstützte Handwerker und Museen aus der Gegend, aber auch darüber hinaus, durch finanzielle Zuwendungen. 1871 wurde Pallenbergs Status als Mäzen mit einem Gemälde bestätigt und blieb somit der Nachwelt erhalten. Der bekannte Maler Wilhelm Leibl fertigte das Bild an, das einen korpulenten und auf einem Stuhl sitzenden Johann [Heinrich] Pallenberg darstellt. Obwohl das Gemälde den zu der Zeit typischen Studien ähnelt, gibt es hier ein Alleinstellungsmerkmal, denn Pallenberg wird mit einem Beutel in der Hand dargestellt, der höchstwahrscheinlich Geld enthält, was auf den Mäzenstatus der Familie hinweist.
Johann Pallenberg übergab das Familiengeschäft rechtzeitig seinen beiden Söhnen Jakob und Franz, die das geschäftliche Geschick ihrer Vorfahren offensichtlich nicht geerbt hatten. Franz lebte seine Talente