Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White

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Название Bob Marley - Catch a Fire
Автор произведения Timothy White
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия Rockgeschichte
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454656



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die sich versammelt hatten, um zu feiern, dass man endlich die Tyrannei der weißen Kolonialherrschaft abgeschüttelt hatte, wurden jetzt Zeugen einer anderen Art von Unterdrückung: Tausende von begeisterten Bauern und untersten Dienstgraden der Revolutionsarmee hatten sich vor der Arena versammelt, weil sie hofften, den Auftritt des international höchstgeschätzten Reggae-Musikers Bob Marley miterleben zu können, des Helden der schwarzen Freiheitskämpfer allerorten und des charismatischen Botschafters des modernen Pan-Afrikanismus. Von den pulsierenden Reggae-Rhythmen mitgerissen, die herausklangen, versuchten die Fans in immer neuen Angriffswellen die Tore zu stürmen. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Gewehrsalven über die Köpfe des wogenden Mobs, aber die Leute ließen sich nicht zurückhalten und drängten über die Mauern.

      Marley schob die dicken, zopfartigen Strähnen seiner Dreadlocks (lange, verfilzte Haarstränge) aus seinen geschwollenen Augen und warf einen suchenden Blick hinaus in die Dunkelheit jenseits des blendenden Bühnenlichts. Schreie und Rufe waren zu hören und das dumpfe Geräusch von Polizeiknüppeln, die auf Körper trafen. Aus der Entfernung sah es so aus, als würde eine wahre Menschenflut, die drohte, über die Brüstungen des Stadions hereinzubrechen, zurückschlagen. Sie waren zusammengeströmt, um begeistert die Befreiung von dem Joch weißer Unterdrückung zu feiern, und jetzt musste ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung dieser Stadt für das simple Recht kämpfen, Reggae hören zu dürfen.

      »Wahnsinn«, sagte Marley leise. Er spürte den festen Griff einer Soldatenhand an seinem linken Arm und wurde in Sicherheit geleitet. Fünfundvierzig Minuten später war dann die Ordnung wiederhergestellt, und Marley kehrte zurück auf die Bühne, um jenen Schlachtgesang darzubieten, den er im Jahr zuvor über den revolutionären Kampf dieses Landes geschrieben hatte.

      To divide and rule

      Could only tear us apart

      In everyman chest

      There beats a heart

      So soon we’ll find out

      Who is the real revolutionaries

      And I don’t want my people

      To be tricked by mercenaries

      Natty dread it in a Zimbabwe …

      Africans a liberate Zimbabwe …

      Zu teilen und zu herrschen

      Kann uns nur auseinanderreißen

      In jedermanns Brust

      Schlägt ein Herz

      Und bald werden wir feststellen

      Wer die wahren Revolutionäre sind

      Und ich will nicht, dass mein Volk

      Betrogen wird von Söldnern

      Natty Dread in Simbabwe …

      Afrikaner befreien Simbabwe …

      Aber Marleys Gesang fehlten Biss und Schärfe. Das Schauspiel, das er zuvor hatte miterleben müssen, hatte seine Vision schwarzafrikanischer Solidarität erschüttert, mit der er nach Simbabwe gekommen war.

      Vier Jahre zuvor hatte Bob Marley mit der Hand auf einen Tisch in der Küche seines Hauses in Kingston, Jamaika, geschlagen und erklärt, warum er und seine Rasta-Brüder ausziehen wollten aus Babylon – einem Land ohne Grenzen, in dem die Menschen sündigen und dafür leiden –, um zurückzukehren zu Mutter Afrika, nach Äthiopien.

      »Die oberen Leute in der Regierung von Jamaika, die sollten aufräumen auf den Müllhalden und in den Slums und meinem Volk zu essen geben, meinen Kindern!«, hatte Marley gesagt. »Ich lese Zeitung und ich schäme mich. Und darum müssen wir diesen Ort verlassen und zurückkehren nach Afrika. Wenn Jamaika meine Heimat wäre, dann würde ich Jamaika lieben, und ich würde mich fühlen, wie ich fühle: dass dieser Ort nicht meine Heimat ist. Ich will nicht gegen die Polizei kämpfen, die durch ihre Grausamkeit den Aufruhr erst anstachelt, aber wenn ich nach Afrika gehen will, und sie sagen nein, dann werde ich persönlich kämpfen müssen.«

      Doch als Marley schließlich zum ersten Mal im Dezember 1978 nach Afrika kam, musste er dieselben Slums und hungrigen Gesichter sehen, die er auf Jamaika hinter sich gelassen hatte, dieselben korrupten Regierungen, die, von Macht besessen, blind waren für das Elend. Dieses Afrika war der einzige Kontinent, wo noch kein politischer Führer der Neuzeit in Frieden von seinem Amt abgewählt worden war. Aus Kenia kam er in das vom Bürgerkrieg zerrissene Äthiopien und musste erfahren, dass sein geliebter Haile Selassie, der Mann, den er als Gott verehrte, in Ehrlosigkeit gestorben war und dass man ihn in einem Grab verscharrt hatte, das nicht gekennzeichnet war. Dass es keinen Gedenkstein gab für diesen Mann und dass die Äthiopier ihres ehemaligen Kaisers mit unverhüllter Verachtung gedachten, hatte Marley extrem erschüttert.

      Und jetzt, in Simbabwe, wurde er auch noch seiner letzten Illusionen beraubt. Seine rechte große Zehe, ohne Nagel und von Geschwüren zerfressen, schmerzte fürchterlich. Wiederholt hatte er der Presse mitgeteilt, unter dem Verband verberge sich nur eine Fußballverletzung, aber der pulsierende Schmerz erinnerte ihn ständig an das, was die Ärzte ihm in den vergangenen beiden Jahren gesagt hatten: entweder die Zehe amputieren lassen oder seinen Frieden schließen mit dem Leben. Wenn er sich nicht einer radikalen Behandlung seines Krebses unterziehe, würde er viel früher als geplant heimfliegen müssen nach Zion, um seinen Lohn im Himmel zu empfangen.

      »Rasta duldet keine Amputation!«, hatte er sie angefaucht. »I and I (ich und meine Brüder) erlauben nicht, dass man einen Menschen verstümmelt. Jah, der lebendige Gott, Seine kaiserliche Majestät Haile Selassie I., Ras Tafari, Siegreicher Löwe des Stammes von Juda, zweihundertfünfundzwanzigster Herrscher des dreitausendjährigen äthiopischen Kaiserreichs, der Lord der Lords, König der Könige, Erbe des Throns von Salamon. Er wird mich heilen mit den Meditationen meines Ganja-Kelches, meines Cutchies (Wasserpfeife aus Ton), oder Er wird mich als Seinen Sohn aufnehmen in Sein Königreich. Kein Skalpell wird mein Fleisch schneiden! Jah können sie nicht töten, Rasta können sie nicht töten! Rastamann lebt weiter!«

      Zwölf Monate zuvor wäre er vielleicht noch in der Lage gewesen, sich zu retten. Hätte er aufgehört, die Ärzte ›samfei‹ zu nennen, im Jamaika-Patois die Bezeichnung für den Betrüger, der die Leichtgläubigen hinters Licht führt, indem er den Eindruck erweckt, über die Kraft des ›obeah‹ (Hexerei) zu verfügen. Hätte er sich einer Chemotherapie unterzogen oder einer Strahlenbehandlung und der unausweichlichen Tatsache gestellt, dass seine Löwenmähne aus Dreadlocks ihm in Klumpen vom Kopf gefallen wäre. Hätte er nicht den vollgekifften Speichelleckern geglaubt, die um ihn herumscharwenzelten und behaupteten, er sei der ›talawa (furchtlose und unüberwindliche) Tuff Gong‹, einer der stählernen Finger an der Hand des allmächtigen Jah. (Marley verdiente sich den Titel Tuff Gong durch seinen wilden Mut als Straßenkämpfer. Gong war zudem der Beiname des früheren Rastafari-Führers Leonard Howell. Die Bedeutung des Beinamens stützt sich auch auf die Tatsache, dass es in einigen Rasta-Siedlungen Sitte ist, dass ein neues Mitglied am Eingang einen Gong schlägt, um seinen ersten Schritt in die Obhut der Gemeinde zu verkünden. Nach Bobs Tod behauptete Bunny Wailer, der Begriff habe ursprünglich ›Tuff Gang‹ geheißen, wobei Bunny der Chef der Gang gewesen sei.)

      Und jetzt liefen die bösartigen und absichtlich nicht behandelten Krebszellen Amok, suchten sich ihren Weg in Marleys spindeldürren Körper wie die gefräßigen und in Bäumen wohnenden jamaikanischen ›Stinkameisen‹, die hinaufeilen in die Zweige des Ackee und die reifen Früchte von innen heraus aufzehren. Er rechnete damit, noch ein Jahr in Qual verbringen zu müssen, vielleicht auch zwei, bevor das Ende kam. Er fragte sich, ob er vielleicht im Schoß des weißen Amerika sterben würde, wenn er sich dort auf seiner bevorstehenden Tournee befand, und er sann nach über die Ironie, die in einem solchen Schicksal lag.

      Als Schallplattenkünstler hatte er seine größten kommerziellen Erfolge ebenso wie bei den Kritikern in Amerika und Europa gehabt, wo die jungen Weißen fasziniert waren von der ethno-politischen Kraft seiner bissigen Reggae-Hymnen und hypnotisiert von ihrem rhythmischen Pulsschlag, dessen Betonung gegen alle Erwartung ist. Auf Jamaika, wo er geboren war, verehrte man ihn als Rockstar und als Volkshelden, und er war ebenso berühmt dafür, dass es ihm gelang, das weiße