Please Kill Me. Gillian McCain

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Название Please Kill Me
Автор произведения Gillian McCain
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454236



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berühmt wurden, weil sie schön und sexy waren, aber das war uns damals überhaupt nicht bewusst, wir haben uns einfach immerzu verliebt und entliebt – wie sollte man da verdammt noch mal nicht den Faden verlieren?

      Jeder war in Andy verliebt und dann natürlich wieder nicht mehr, und Andy war in jeden verliebt und dann wieder nicht mehr. Aber die Leute, die am meisten verliebt waren, waren diejenigen, die am wenigsten gevögelt haben – wie Andy zum Beispiel. Ich meine, die Leute, die man wirklich gut kannte und die mit Andy ins Bett gegangen sind, konnte man wirklich an den Fingern einer Hand abzählen. Und es waren nur sehr, sehr wenige, die mit Edie oder Nico ins Bett gegangen sind. Es gab wirklich nicht sehr viel Sex, sondern eher Ver­liebtheiten. Sex war irgendwie schweinisch. Und ist es immer noch.

      Jonas Mekas: Mir kamen Andy Warhol und seine Factory immer vor wie der Sigmund Freud der Sechzigerjahre. Andy war Freud. Er war der Psychoanaly­tiker, und in der Factory stand die große Couch, und Andy war da und sagte nie viel, aber man konnte alles in ihn hineinprojizieren und alles bei ihm abladen, ihm alles an den Kopf werfen, ohne dass er einen dafür fertig machte. Andy war für die anderen Mutter, Vater und Bruder, alles in einer Person. Das war der Grund, weshalb sich die Leute in seiner Gegenwart so wohl gefühlt haben – sie konnten Teil eines Films sein, sie konnten einfach sagen und tun, was sie woll­ten, weil sie niemals kritisiert wurden. In dem Punkt war Andy einfach genial. Andy bewunderte all diese Stars und wollte all diesen kaputten und einsamen Seelen, die in die Factory kamen, Freude bereiten. Andy bezeichnete sie als „Superstars“.

      Sterling Morrison: Irgendjemand machte den Vorschlag, dass wir bei einer Psychiaterversammlung spielen sollten, und ich fragte:„Fällt uns wirklich nichts Besseres ein?“

      Maureen Tucker: Ich habe absolut keine Ahnung, weshalb sie uns gebeten haben, dort zu spielen – zweihundert Psychiater und wir, diese Freaks aus der Factory. Hinterher haben Gerard und Barbara Rubin einfach mit ihren Casset­tenrecordern und Kameras weitergemacht, sind an alle Tische gegangen und haben die merkwürdigsten Fragen gestellt. Die Leute waren völlig perplex und von den Socken. Ich habe mich einfach zurückgelehnt und gefragt: „Was zum Teufel machen wir hier eigentlich?“ Dann kam mir in den Sinn, dass diese See­lenklempner meinten, dass sie sich vielleicht Notizen machen sollten oder so.

      Billy Name: Die Psychiaterversammlung begann als ausgemachter Schwindel. Wir haben uns sofort unter sie gemischt, als sie ankamen, aber es herrschte sowieso eine Atmosphäre, als würde Edie Sedgwicks Tante eine Riesenparty schmeißen. Wir hatten uns natürlich vorgenommen, uns mit jedem zu unter­halten, wir wollten sie aber nicht behandeln, als ob sie Gäste, sondern eher als ob sie Edies Verwandtschaft wären. Einigen von ihnen habe ich erzählt, dass ich als Teenager Otto Rank gelesen hätte, und ich sagte: „Als ich hörte, dass Rollo May an der New School unterrichtete, habe ich einige Kurse belegt, einfach nur, um mir einen Eindruck zu verschaffen …“

      Die Velvets haben dann auf offener Bühne ihre Instrumente gestimmt, und als sie dann ihre Vorstellung gaben, war das einfach Teil der Atmosphäre, wie eine Unebenheit im Abendprogramm.

      Die Presse hat dann darüber berichtet, als handle es sich um eine ironische Konfrontation, was es allerdings überhaupt nicht war. Wir haben niemanden schockiert. Psychiater mögen steif sein, aber sie haben einen Sinn für Humor und sind alles andere als blöd. Es war eher spielerisch und nicht auf Konfron­tation ausgerichtet. Barbara Rubin machte dann so merkwürdige Dinge wie ihre Augen mit Lichtblitzen zu blenden oder ihnen Mikrofone ins Gesicht zu hal­ten, diese Konfrontationstechnik eben, die im Grunde bereits mit dem Living Theater begonnen hatte. Für mich war das ein alter Hut. Ich kannte diese Num­mer bereits, deshalb hat es mich nicht vom Hocker gerissen.

      Die Psychiaterversammlung war trotzdem wichtig, weil sie in der Factory eine neue Ära einläutete, nämlich das Zeitalter der Chelsea Girls. Bevor Nico und Velvet Underground auftauchten, standen immer Edie Sedgwick und Andy Warhol im Mittelpunkt. Andy und Edie. Wie siamesische Zwillinge. Eine Zeit lang hat sie sich ihre Haare auch silber gefärbt, und die beiden sind dann als Paar aufgetreten. Sie waren so was wie Lucy und Desi der Künstlerszene (Lucille Ball und Desi Arnaz waren in den Sechzigerjahren ein populäres Komikerduo; Anm. d. Ü.).

      Aber die Nacht der Psychiaterversammlung läutete das Ende der Edie­Sedgwick­Ära ein.

      In dieser Nacht tanzte sie mit den Velvets auf der Bühne. Sie tanzte ziem­lich cool – Edie war sowieso immer ziemlich cool.

      Gerard Malanga: Direkt im Anschluss daran spielten die Velvets eine Woche lang in der Cinemathèque. Jonas Mekas hatte Andy den Vorschlag gemacht, dass er dort eine Filmretrospektive starten wollte. Andy hatte die Idee, eine Edie­Sedgwick­Retrospektive zu drehen, aber nachdem er dann die Velvets im Café Bizarre getroffen hatte, wandelte sich seine Idee doch zu etwas Größerem.

      Paul Morrissey: Die Woche in der Cinemathèque soll eine Edie­Sedgwick­Filmretrospektive gewesen sein? Totaler Quatsch. Völlig absurd. Gut möglich, dass wir damals immer noch versucht haben, Edie zu helfen, und vielleicht hat­ten wir auch noch Filmaufnahmen von ihr, auf denen sie nichts weiter tut, als in der Gegend rumzulaufen.

      Jonas Mekas hat nicht Andy die Cinemathèque angeboten. Er hat sie mir angeboten. Er fragte mich:„Hast du irgendetwas, das wir in diesem Theater, das ich gemietet habe, aufführen können?“ Und ich habe ihm geantwortet: „Wieso zeigst du nicht einige Filme, und wir stellen unsere Gruppe vor?“

      Wir zeigten eine Stunde lang Filme auf einer Doppelleinwand, und danach spielten Velvet Underground vor einigen weiteren Filmen ebenfalls eine Stunde lang. Das war alles. Es war schon okay. Ein Job eben.

      Lou Reed: Andy hat seine Filme auf uns projiziert. Wir waren alle schwarz angezogen, damit man die Filme sehen konnte. Aber wir waren sowieso immer alle schwarz angezogen.

      Billy Name: Das nannte sich „Uptight with Andy Warhol“ , aber es war nicht ausschließlich ein Andy­Warhol­Filmfestival, es war eher ein Happening, bei dem auch Filme von Andy Warhol gezeigt wurden – die Filme wurden auf die Leute projiziert, die in den Filmen mitgewirkt haben, während sie zur Musik auf der Bühne getanzt haben. Wir hatten einen Film von Velvet Underground und Nico, den wir dann auf sie projizieren konnten, während sie in der Cine­mathèque aufgetreten sind.

      Die ganze Veranstaltung hieß zuerst „Uptight“, denn wenn Andy ein Projekt realisieren wollte, wurden erst mal alle nervös. Andy verkörperte so etwas wie die Antithese dessen, was die romantischen Avantgardekünstler damals darstellten.

      Filmemacher wie Stan Brakhage und Stan VanDerBeek waren nach wie vor die Helden unter den Bohemiens der Künstleravantgarde. Andy dagegen war noch nicht einmal ein Antiheld. Er war einfach nur eine Null. Und es ging ihnen mächtig gegen den Strich, dass Warhol als der Initiator dessen angesehen wurde, was eigentlich ihre Erfindung war. Deshalb wurden alle immer furchtbar ner­vös, wenn er irgendwo auftauchte.

      Dann zuckten all die anderen Underground­Filmer zusammen, als hätte jemand mit der Kreide auf der Wandtafel gequietscht: „Oh nein, nicht schon wieder dieser Andy Warhol!“

      Nico: Mein Name stand in der Programmankündigung irgendwo ganz weit unten, und ich brach sofort in Tränen aus. Andy tröstete mich, sagte, ich sollte mir nichts daraus machen, da es sich nur um einen Probeauftritt handle. Sie spielten die Aufnahme von dem Dylan­Song „I’ll Keep It With Mine“, weil ich sonst nicht genug zum Singen gehabt hätte. Lou wollte alles singen. Ich musste einfach nur dastehen und mitsingen. Und zwar eine Woche lang jeden Abend. Das war mit Abstand das dümmste Konzert, das ich je gegeben habe.

      Edie Sedgwick versuchte ebenfalls mitzusingen, aber das war ein absoluter Reinfall. Danach hat man sie nie wieder auf der Bühne gesehen. Es war sozu­sagen ihr Abschied und gleichzeitig meine Premiere.

      Billy Name: Edie war über die Entwicklung ihrer Karriere mit Andy alles andere als glücklich, was natürlich auch damit zu tun hatte, dass sie unterdessen, zusammen mit mir, Ondine und Brigid Polk, auf Speed war – was natürlich ver­heerende Auswirkungen auf jede Karriere hatte, denn man konnte nichts ande­res tun, als zuhause zu hocken, weil man sechs Stunden lang völlig fertig war.

      Nico: Es gibt Dinge, die werden einem in die Wiege gelegt, und Edie wurde in die Wiege gelegt,