Der Serienmörder von Paris. David King

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Название Der Serienmörder von Paris
Автор произведения David King
Жанр Зарубежная психология
Серия
Издательство Зарубежная психология
Год выпуска 0
isbn 9783854454366



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Petiot ist jung, und nur ein junger Arzt kann die neuesten Methoden umsetzen, die durch den Fortschritt entstehen, einen Prozess, der mit Riesenschritten vorwärts drängt.“ Petiot versprach, die Patienten zu behandeln und nicht auszubeuten. Schon bald lief die Praxis mehr als zufriedenstellend und zog unterschiedlichste Patienten an, die alle seine Arbeit lobten.

      Der junge Arzt war liebenswürdig, höflich und charmant. Er konnte gut zuhören und schien laut Aussagen vieler Patienten eine außergewöhnliche Fähigkeit bei der Diagnose verschiedenster Krankheiten zu besitzen. „Ich weiß genau, was Sie meinen“, sagte er häufig. „Mir ist klar, was Ihnen fehlt“, lautete eine weitere Antwort, wenn er die Beschwerden des Patienten mit erstaunlicher Treffsicherheit beschrieb. Ein ständig wiederkehrendes Gerücht besagte, dass er ein kleines Mikrofon unter dem Tisch im Wartezimmer versteckte hatte. Petiot tröstete die Patienten mit seinen beinahe schon unheimlichen diagnostischen Fähigkeiten und überzeugte viele Einwohner Villeneuve-sur-Yonnes davon, dass er der beste Arzt in der Stadt war.

      Madame Husson erklärte später, wie er mit Hilfe einer selbst hergestellten Salbe ein Geschwür an der Stirn eines Kindes entfernt habe, das bis zu diesem Zeitpunkt auf keine Behandlung reagiert hätte. Monsieur Fritsch erinnerte sich an Petiot, dass er angeboten habe, einen seiner Nachbarn zu behandeln, bei dem eine unheilbare Krankheit diagnostiziert worden sei. Petiot habe behauptet, ein neues, riskantes Medikament zu kennen, das sich noch im Erprobungsstadium befand. Es verspreche Heilung, könne aber genauso gut den Tod bringen. Er habe gefragt, ob der Patient es auf einen Versuch ankommen lassen wolle, und dieser habe natürlich den sich ihm bietenden Strohhalm gegriffen und dann noch ein Viertel Jahrhundert lang gelebt.

      Der junge Arzt engagierte sich zunehmend intensiver in seinem Beruf. Er öffnete die Praxis sogar am Sonntag, und zwar für Arbeiter, die ihn unter der Woche nicht konsultieren konnten, er machte Hausbesuche und fuhr auf dem Fahrrad lange Wege, um Kranke zu behandeln, speziell Kinder. Er gewährte älteren oder ärmeren Patienten Preisnachlässe und verzichtete in einigen Fällen komplett auf sein Honorar. Weltkriegsveteranen zahlten weniger, wenn sie überhaupt etwas entrichten mussten. Schon bald nannte man Petiot den „Arbeiterarzt“ oder den „Arzt der einfachen Leute“. Bald stieg er von seinem Fahrrad auf einen gelben Sportwagen um, einen Renault 40 CV. Im Laufe der nächsten Jahre legte sich Petiot zahlreiche Fahrzeuge zu, darunter ein Amilcar, ein Salmson und ein Butterosi.

      Er genoss seinen Erfolg. Petiot speiste regelmäßig im Hôtel du Dauphin in der Rue Carnot, vertiefte sich in die Geschichte seiner Wahlheimat und las Bücher ihrer berühmtesten Bewohner, etwa des Philosophen Joseph Joubert oder von François-René de Chateaubriand, einem Dichter der Romantik. Er sang, beschäftigte sich mit Bildhauerei, malte, spielte Schach und gewann in einem Jahr sogar ein Dame-Turnier. Voller Stolz trug er seine Krawatten, die einzigen Modeartikel, die er sich gönnte, und begab sich oft auf nächtliche Spaziergänge, meist in einen schwarzen Mantel gehüllt und den Hut über die Augen gezogen.

      Trotz aller Erfolge stieß das Verhalten des dreist anmutenden jungen Arztes auf Widerstände und Besorgnis in der Bevölkerung. Die Bekanntgabe der Praxiseröffnung wurde von den Kollegen als unverfroren und würdelos empfunden. Hinzu kam noch, dass er sich auf Kosten der anderen Ärzte etablierte, was auf eine noch größere Missgunst stieß. Petiots Hang, starke und unorthodoxe Medikamente zu verschreiben, machte den Apothekern von Villeneuve-sur-Yonne Sorge. Dr. Paul Mayaud nannte seine Medikationen „Pferdekuren“. Unbeeindruckt antwortete Petiot, dass die Apotheker und pharmazeutischen Konzerne schon lange ihre Produkte verdünnen würden, um den Profit zu erhöhen, weshalb er die Dosierung erhöhen müsse, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Außerdem hätten Apotheker keinerlei Recht, die von einem zugelassenen Arzt verordnete Medikation zu kritisieren.

      Ein Apotheker erzählte später, dass er sich einmal geweigert habe, das von dem Arzt verordnete, aber für ihn zweifelhafte Rezept anzunehmen – eine Dosis für ein Kind, „die sogar einen Erwachsenen umbringen konnte“. Petiots angebliche Antwort auf diese Weigerung war beängstigend, falls er es ernst gemeint hatte, was seine Feinde sehr wohl glaubten: „Ist es nicht besser, sich dieses Kindes zu entledigen, das nichts anderes macht, als seine Mutter zu verärgern?“

      Es mutete eigenartig an, dass Marcel Petiot, der gerne dem Exzess frönte, in der Praxis den Patienten so viele Vergünstigungen einräumte und damit auf ein höheres Einkommen verzichtete. Tatsächlich aber hatte er einen Weg gefunden, um das System zu hintergehen, was ihn immens reizte. Während er nach außen hin den Ruf eines freigiebigen und großzügigen Menschen genoss, beantragte er für die Patienten ohne deren Wissen Zuschüsse und wurde demzufolge von staatlicher Seite für seine Arbeit entlohnt. Darüber hinaus bezahlten ihn einige Patienten in Naturalien, manchmal nur Plunder, aber oft Produkte wie Käse, Eier und Geflügel. Auch diese Personen trug er in das Sozialregister ein. Somit erhielt der „Arzt der einfachen Leute“ eine doppelte Vergütung für die erbrachten Leistungen.

      Der Betrug zahlte sich in vielfacher Hinsicht aus.

      René-Gustave Nézondet, Buchhalter im Rathaus von Villeneuve-sur-Yonne, war laut den Ermittlungen Petiots ältester Freund. Sie begegneten einander 1924 bei einer Auktion, wo Petiot Möbel für sein gerade erworbenes dreistöckiges Haus in der Rue Carnot ersteigern wollte. „Wir empfanden eine unbeschreibliche Sympathie füreinander“, versuchte Nézondet das augenblickliche Gefühl der Kameradschaft zwischen den beiden Junggesellen zu beschreiben. „Mir gelang es nie, den Grund für die wortlose Anziehungskraft zu finden, die auf mich wie ein Magnet wirkte – entgegen jeder rationalen Erwägung, die mich eigentlich vor ihm hätte warnen müssen.“

      Als die Neugier erst einmal geweckt war, besuchte Nézondet den neuen Freund, um ihn näher kennenzulernen. Petiot war höflich, eloquent, charmant, ein exzellenter Gesprächspartner und darüber hinaus sehr intelligent. Nach Aussage Nézondets konnte seine übersprudelnde Vitalität jedoch schnell versiegen und ihn in kindliche „Wutausbrüche und eine große Verzweiflung“ stürzen. Die beiden Männer genossen Wochenendausflüge zum Mittagessen in umliegende Dörfer, die Nézondet bezahlte. Sie verbrachten lange Stunden in Cafés, wobei Nézondet stets Wein und Petiot einen kleinen schwarzen Kaffee zu sich nahmen. Auch hier zückte Nézondet regelmäßig die Geldbörse.

      1926, bei einer ihrer gemeinsamen Mahlzeiten, wandte sich Petiot plötzlich an seinen Freund: „Ich möchte in die Politik gehen.“ Diese Mitteilung kam so abrupt und unerwartet, dass Nézondet die Ernsthaftigkeit des Freundes anzweifelte. Doch Petiot ließ sich als Kandidat für die Stadtratswahl im Frühling nominieren und führte den Wahlkampf mit unnachgiebiger Härte. Er hatte sich für die Sozialisten aufstellen lassen, eine Partei, die sich in Villeneuve-sur-Yonne und in anderen Landesteilen Frankreichs Mitte der Zwanziger großen Zuwachses erfreute. Petiot sah seine Zukunft in genau dieser Partei. Die zunehmende Macht der „Mittellosen“, mit denen er sich identifizierte, würde die rivalisierenden Gegner allein schon aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit übertrumpfen.

      Petiot war in seiner Praxis vielen Menschen der unteren Schichten begegnet. Aufmerksam nahm er ihre Sorgen wahr und ließ ihnen seine „kostenlose“ medizinische Versorgung zukommen. Im Fall seiner Wahl versprach er, die reichen und privilegierten Bürger stärker an den Kosten für das Gemeinwohl zu beteiligen, egal, ob es sich um ein neues Abwassersystem oder um Kinderspielplätze handelte. Seine Absichten und Pläne trafen auf offene Ohren. Petiot erwarb sich einen Ruf für seine lebhaften Vorträge, die sowohl inhaltlich ein weites Feld absteckten als auch eine offene Geisteshaltung ausdrückten. Sein Redefluss wurde jedoch manchmal durch ein bizarres, hemmungsloses Lachen gestört, das meist in unpassenden Momenten oder heiklen Situationen aus ihm herausbrach. Man verglich es mit dem gequälten Geheul eines Schiffbrüchigen, der alles verloren hatte.

      Petiots exzentrisches Verhalten stand seinen Wahlchancen nicht im Weg, sondern stellte sich sogar als zweckdienlich heraus. Er war eine „Nachteule“, schlief wenig und hatte häufig Schwierigkeiten, sich nach einem aufgewühlten und euphorischen Stimmungshoch wieder zu beruhigen. Die ungebremste Energie nutzte er für den Wahlkampf. Häufig entstand der Eindruck, als würden seine Gedanken davongaloppieren und sich immer wieder auf ein neues Problem richten. Trotz der permanenten politischen Bemühungen führte er die Praxis weiter und ließ den Patienten nach außen hin kostenlose oder preiswerte medizinische Hilfe zukommen.