Eiserner Wille. Mike Tyson

Читать онлайн.
Название Eiserner Wille
Автор произведения Mike Tyson
Жанр Языкознание
Серия Sport
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783854456292



Скачать книгу

Durch Cus erfuhr ich etwas über Spartakus. Cus erzählte mir auch, dass Italiener und Afrikaner sich seit Anbeginn der Zeit bekriegten. Er sagte, der Grund dafür, warum die Sizilianer den Ruf hatten, schwarz zu sein, sei der, dass sie sich mit den afrikanischen Kämpfern der Antike vermischten.

      Cus war ein großer Geschichtenerzähler. Er sprach über die kleinsten Kleinigkeiten, als wären es Ereignisse, die die Welt erschütterten. Wir waren alle sehr neugierig und hingen an seinen Lippen. Und Cus erzählte mit Begeisterung, weil Begeisterung ansteckend ist und Menschen zu Taten bewegt. Er war bis zum Tag seines Todes ein Enthusiast. Er sprach über ein mickriges Stück Pizza aus Catskill, als hätte Wolfgang Puck, der berühmte österreichische Koch in Kalifornien, sie gebacken. „Ich war schon überall auf der Welt, aber das ist die beste Pizza, die ich je gegessen habe!“ Alles war das Beste der Welt. Er ließ das kleinste Ding riesig erscheinen. Er konnte aus der langweiligsten Sache ein spannendes Thema machen. Er besaß diese Gabe.

      Cus war ein meisterhafter Verkäufer. Dieser Kerl ließ mich glauben, ich sei Schwergewichtsweltmeister, schon als er mich zum ersten Mal sah. Was er verkaufte? Er hat mich auf diese verdammte Mission geschickt. Ich war doch noch ein verschissenes Kind, ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Aber es war so abenteuerlich, dass es zu meinem Ideal wurde. Und warum nicht? Ich las von diesen Boxlegenden, und er erzählte mir, ich könnte einer von ihnen sein. „Du wirst sie alle in den Schatten stellen, und der einzige Grund dafür, dass man sich an sie erinnert, wird sein, dass du von ihnen erzählst“, sagte er mir ständig. Dieser Mann ließ mich nach Ruhm hungern wie ein Wilder. Ich hätte alles getan – gestohlen, gelogen und betrogen. Ich musste es schaffen.

      Einer der Gründe für meinen Eifer war mein Wissen, dass Cus mich hundertprozentig unterstützte. Cus war so hart und kalt, wenn es um Rassismus in diesem Land ging, als wäre er ein verbitterter Schwarzer. Er sah sich selbst als „Nigga“, als ein italienisches Kind, das mit vielen Vorurteilen aufwuchs, die ihm die Iren in der Bronx entgegenbrachten. Cus war diesbezüglich besonders empfindlich. Er sagte immer, selbst Sklaven hätten einen bestimmten Wert gehabt, aber „ein Italiener war keinen Pfennig wert. Die Sklaven hatten wenigstens was zu essen. Die Italiener bekamen nichts. Sie ließ man verhungern“. Als sein Vater krank wurde, konnten sie ihn nicht zu einem richtigen Arzt bringen. Sie mussten auf einen kleinen italienischen Medizinmann warten, der ins Haus kam und seine kleine Tasche auf dem Fahrrad transportierte.

      Niemand machte mir stärker bewusst, dass ich ein Schwarzer bin, als Cus: „Die denken, sie sind was Besseres als du, Mike“, sagte er über die Weißen. Das war kein leeres Gerede. Einige Monate nachdem ich bei ihm eingezogen war, hatte Cus das südafrikanische Boxteam zu Gast, das während der Apartheid nur aus Weißen bestand. Das Erste, was Cus tat, war, ihnen Folgendes zu sagen: „Es gibt einen schwarzen Jungen in diesem Haus. Er gehört zur Familie. Ihr behandelt ihn mit demselben Respekt, mit dem ihr uns behandelt, habt ihr verstanden?“ Freundlich, aber todernst. Und sie antworteten: „Ja, Sir.“

      Das berührte mich zutiefst. Wie hätte ich diesen Mann nicht lieben können? Er sprach immer nur darüber, wie groß ich werden konnte, wie ich mich täglich in jeder Hinsicht verbessern konnte.

      Cus fand schon sehr früh etwas über mich heraus. „Oh, du bist ein Chamäleon, nicht wahr?“, sagte er eines Tages zu mir. Er kam darauf, weil ich, nachdem ich stundenlang die Filme über die alten Boxer gesehen hatte, nach unten kam und begann, wie sie zu sprechen. Ich imitierte sogar ihre Kampfstile. Ich nahm sogar Cus’ Persönlichkeit an. Das war kein Spiel – ich meinte es mit dem Training todernst.

      An vielen Abenden war Camille oben, während Cus und ich unten saßen und unsere Welteroberung planten. Ich hatte noch nicht einmal einen einzigen Amateurkampf gehabt, aber wir sprachen darüber, wie wir als Majestäten nach Europa reisen würden, und dass „Nein“ ein Fremdwort für mich wäre, wenn ich nur auf Cus hörte. Wer sagt denn so einen Scheiß zu einem Kind – „‚Nein‘ wird ein Fremdwort für dich sein“? Das schwarze Kind hört so etwas ausgerechnet von einem Weißen. Und dieser Weiße scheint auch noch wer zu sein, weil Typen wie Norman Mailer, über den ständig was in der Zeitung steht und der im Fernsehen präsent ist, oder Leute wie Budd Schulberg ihn wahnsinnig respektieren. Ist das zu glauben? Zwei Penner – ein ehemaliger und ein Slumbewohner – sitzen in einem Zimmer in Upstate New York und planen die Weltherrschaft.

18571.jpg

      Der 2. Oktober 1980 war ein schwarzer Tag für Cus. Einige von uns waren nach Albany rausgefahren, um über die Videoüberwachungsanlage den Kampf Ali gegen Holmes zu sehen. Muhammad Ali war wie ein Gott. Cus war der Ansicht, dass niemand auf der Welt einen Kampfgeist wie Ali hatte. Er war der vollkommene Kämpfer, nicht nur wegen seiner Fähigkeiten, sondern wegen seiner ganzen psychologischen Sichtweise. „Ali ist der Größte, denn er ist dazu fähig, sich selbst zu lieben“, sagte Cus. Cus liebte Menschen, die unverschämt und beleidigend waren wie er. Er hätte Kanye West geliebt. „Dieser Kerl weiß, wovon er redet“, hätte er vermutlich gesagt.

      Jeden Tag sagte mir Cus, ich sei der unerbittlichste und wildeste Kämpfer der Welt. Ich bräuchte nur auf ihn zu hören, dann würde ich unbesiegbar. Dieses Wort traf mich bis ins Mark. Cus sprach über mittelmäßige Kämpfer, aber auch über klasse Kämpfer wie Beau Jack. Aber wenn er über Ali sprach, hörte sich das ganz anders an.

      „Ali sieht eher aus wie ein Model als wie ein Sieger im Schwergewicht, oder?“, sagte er zu mir. „Aber wenn ich meine Flinte nehmen und volles Rohr auf ihn feuern würde, und wenn dann noch irgendwas von ihm übrig wäre, sollte ich besser zusehen, so schnell wie möglich abzuhauen, weil er direkt auf mich losgehen würde.“

      Diese Art von Gesprächen hörte ich oft zwischen Cus und seinen älteren Freunden, die in ihren Siebzigern waren. „Dieser Kerl? Du musst ihn schon töten, um ihn zu besiegen.“ Heute wird nicht mehr in dieser Art über Boxer gesprochen.

      So sehr Cus Ali liebte, so wenig mochte er Holmes. Holmes war ein großartiger Kämpfer, aber er kam nach Ali, und er war nicht Cus’ Typ. Vielleicht hatte Cus so etwas wie eine Fehde mit den Menschen, die hinter Holmes standen. Cus sagte mir nur, dass nichts anderes zählte, nur das Training und das Ziel, der beste Kämpfer der Welt zu werden. „Das ist dein Hauptziel“, sagte er, „wir müssen Larry Holmes außer Gefecht setzen. Ich will keine Ausreden hören; ich will nur Ergebnisse sehen.“ Dein Wert als Mensch bedeutete nichts. Das einzige, was zählte, war, zu gewinnen. „Bester Kämpfer der Welt.“ Das war alles, worüber er sprach.

      „Dein Verstand ist nicht dein Freund, Mike“, predigte er. „Dein Verstand will Vergnügen, aber du hast dir das Vergnügen noch nicht verdient. Wenn es an der Zeit ist, zu arbeiten, will dein Verstand etwas anderes. Er arbeitet auch, wenn du arbeiten willst, aber er arbeitet nicht die ganze Zeit, so wie du willst, deshalb musst du deine alten Muster ablegen und darfst deinem Verstand nicht erlauben, zu deinem Feind zu werden.“

      Cus hatte eine Theorie: Wenn du etwas ins Feuer hältst, siehst du, was daraus wird. Wird es zu Asche zerfallen oder sich zu einem eisernen Schwert umformen, welches das Unbezwingbare durchdringen kann? So redete Cus. Das Feuer konnte alles sein: Widrigkeiten, psychologische Diagnostik oder deine eigene Meinung von dir selbst. Cus setzte alles daran, das Feuer dazu zu nutzen, erfolgreich zu sein. Wir sahen den Gewinner eines Radrennens in den Nachrichten und Cus überlegte sich, wie man den Kerl überholen konnte, um ihn zu besiegen.

      „Ich würde dich jetzt gleich gegen Larry Holmes kämpfen lassen. Du könntest ihn schlagen. Aber du glaubst es nicht. Selbstvertrauen, richtig eingesetzt, wird Genialität übertreffen. Nichts übertrifft Selbstvertrauen.“

      Ali war bereits im Ruhestand, aber er kehrte noch einmal zurück, um gegen seinen früheren Sparringspartner Holmes zu kämpfen. Und er schien noch immer die alte Ali-Großspurigkeit zu besitzen. „Ich bin so glücklich, in diesen Kampf zu gehen“, sagte er. „Ich widme diesen Kampf allen Menschen, denen jemals gesagt wurde: ‚Du schaffst es nicht‘, den Menschen, die die Schule abbrechen, weil ihnen gesagt wird, sie seien dumm. Menschen, die kriminell werden, weil sie nicht daran glauben, jemals Arbeit zu finden. Ich widme diesen Kampf euch allen, die einen Larry Holmes