Problemzone Ostmann?. Ellen Händler

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Название Problemzone Ostmann?
Автор произведения Ellen Händler
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783838275406



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Schallplattenunterhalter. Seitdem lege ich fast ohne Unterbrechungen auf. Als Anfang der 1980er Jahre der städtische Jugendklub in unser eigentliches Kulturhaus umziehen sollte, sahen wir, zwei Freunde und ich, die riesige Chance, die Jugendkultur in der Stadt mitzugestalten. Zu dritt erarbeiteten wir eine ausführliche Konzeption für die Gestaltung, die Nutzung der Räumlichkeiten und die Programminhalte. Wir holten sogar Kostenvoranschläge von Firmen für den Umbau ein. Einige Gewerke konnten die später aktiven Jugendlichen nicht selbst erledigen. Völlig außergewöhnlich in der ansonsten zentralistisch durchorganisierten DDR wurde diese privat erstellte Konzeption als Vorlage in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht und einstimmig beschlossen.

      So erhielten wir drei Privatpersonen den Auftrag, die Konzeption mit Jugendlichen umzusetzen. Völlig ohne die FDJ* begannen wir, Jugendliche zu gewinnen. Bei einer Werbeveranstaltung für das neue Projekt trugen sich fast 100 Jugendliche in Listen ein, um bei der Schaffung eines eigenen Jugendzentrums fernab des verordneten Kulturbetriebes mitzuarbeiten. Es galt, Wände rauszureißen, zu stemmen, diverse Farbschichten zu entfernen, Möbel und Lampen, eine Bühne zu bauen und und und. Nach einem Dreivierteljahr war am 1. Mai 1983 die Schlüsselübergabe. Ab dem Tag begann der Stress. Eine Woche später sollte in dem Kulturhaus eine DDR-weite Tagung zur Sozialistischen Fest- und Feiergestaltung stattfinden. Für diese Großveranstaltung sollten die Jugendlichen, die nun Mitglieder eines FDJ-Jugendclubs waren, Karten abreißen und die Garderobe besetzen. Das fiel aus und sorgte so für den ersten Konflikt.

      Bis 1986 arbeitete ich als Lehrer. Wegen der vielen Querelen innerhalb der Schule mit Schulleiter, Schulamt, aber auch mit einigen aus dem Kollegium quittierte ich nach sechs Jahren meinen Dienst. Statt einer Kündigung musste ich allerdings eine Formulierung finden, die es mir erlaubte, nach dem Bruch mit der Schule überhaupt noch eine Arbeit zu bekommen und in der Jugendkulturarbeit weiterzumachen. Zur damaligen Zeit waren wir ein anerkannter Kulturträger in der Stadt mit ständig vollem Haus. Unsere diversen Veranstaltungen waren über die Kreis- und Bezirksgrenzen hinaus bekannt. Aufgrund der langjährig guten Erfahrungen in der inhaltlichen Arbeit mit der Jugendkultur wurde ich Mitarbeiter im Kreiskabinett für Kulturarbeit. Dort war ich verantwortlich für die Schulung ehrenamtlicher Jugendklubleiter, organisierte Beispielveranstaltungen und Lehrgänge. Ziemlich viel Kraft investierten ein Vertreter der FDJ-Kreisleitung* und ich in eine Untersuchung über die Durchsetzung des Jugendgesetzes in unserem Landkreis. Wir prüften, ob wirklich, wie es das Jugendgesetz der DDR verlangte, in jeder Gemeinde ein Jugendklub oder ein Jugendzimmer existierte. Das Ergebnis war ernüchternd. Von 72 Gemeinden fanden wir nur in 18 einen Jugendclub. Das Resultat dieser Untersuchung hat mein Vorgesetzter, der vordem mein Schuldirektor war, allerdings radikal verfälscht. Er drehte es einfach um und berichtete, dass nur noch in 18 Gemeinden etwas Nachholbedarf bestünde. Das reichte mir und ich kündigte diesmal – von heute auf morgen.

      Es wäre durchaus möglich gewesen, von den Einkünften als Schallplattenunterhalter zu leben, jedoch benötigte man in der DDR als Amateur-DJ noch einen Hauptberuf. Die Hürden, als Diskjockey hauptberuflich arbeiten zu dürfen, waren hoch. Ganz besonders musste man politisch makellos und möglichst Parteimitglied sein. So fand ich als Hauptberuf einen Job als Heizer. In den Monaten von Oktober bis März oder April musste ich morgens in vier Verkaufsstellen des Konsum anheizen, damit die Kunden und die Angestellten es bei Verkaufsbeginn warm hatten.

      Als Jugendclub im Stadtgarten waren wir in vielerlei Hinsicht abhängig vom Wohl und Wehe der dort tätigen Angestellten. Ein Rockkonzert musste um 23:45 Uhr beendet sein, sodass die letzten Gäste um Mitternacht raus waren. Bei einem Heavy-Metal-Konzert 1985 konnten wir das nicht durchsetzen. Die Musiker spielten und die Zuschauer forderten Zugaben. Um 23:55 Uhr sagte mir der Mitarbeiter: »Wenn nicht sofort Schluss ist, schraube ich die Sicherung raus.« Und er tat es. 250 bis 300 Leute standen in einem völlig dunklen Saal ohne Ton. Da kam Panik auf. Daraus wurde eine unglaubliche Story gesponnen und unter den Mitarbeitern und in den Parteigremien weitergetragen: In dieser brenzligen Situation wäre ich mit meinem Freund aus Protest auf die Bühne gesprungen, hätte den rechten Arm gehoben und begonnen, das Deutschlandlied zu singen. Absurd. Dennoch erhielten wir aufgrund dieser fingierten Vorwürfe Hausverbot – im eigenen Laden. Im Laufe der Jahre gab es immer wieder Versuche von offizieller Seite, uns als Jugendzentrum zu schaden. So hätten während eines Rockkonzerts bei uns im Saal angeblich Gäste einer anderen Veranstaltung, die räumlich direkt unter dem Saal an einer Bar saßen, sich durch die im Rhythmus unserer Musik schwingende Decke bedroht gefühlt und die Bar fluchtartig verlassen. Man ließ ein Gutachten erstellen, nach dem Einsturzgefahr bestünde. Fortan durfte in unserem Saal nicht mehr getanzt werden. Sämtliche Rockkonzerte und Veranstaltungen, bei denen es zu Bewegungen kommen konnte, wurden gestrichen. Wir machten aus der Not eine Tugend und entwickelten verschiedenste Formate für sogenannte sitzende Veranstaltungen. Wir suchten und fanden später einen Sachverständigen in der Bauakademie der DDR, der das Gutachten überprüfen sollte. Er vermutete spontan, dass das Gutachten falsch sei und wollte dafür den fachlichen Nachweis erbringen. Ihm könne man nichts mehr, er stehe kurz vor der Rente. Das Gutachten kam genau zu diesem Schluss. Demnach war es unbedingt notwendig, dass solche Böden schwingen konnten, das mussten sie sogar. Im Ergebnis konnten wir nach circa drei Jahren wieder tanzen. Das waren nur zwei von vielen Versuchen, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen und unser Jugendzentrum immer wieder an den Rand der Existenz zu bringen. Wir waren eine ziemlich verschworene Gemeinschaft. Ich bin sehr froh und auch stolz, dass der Laden trotz all dieser Versuche heute noch existiert, 30 Jahre nach der Wende – wenn doch mit vielen Höhen und Tiefen. Und sehr stolz sind wir, dass nachwachsende Generationen unseren Staffelstab übernommen haben und vor allem nach der Wende die Überführung eines FDJ-Jugendclubs in einen allseits anerkannten Verein gelang.

      Meine Töchter sind 1982 und 1984 geboren. So um 1988/89, meine ältere Tochter ging schon zur Schule, stellten wir fest, dass es nur noch ein paar Lehrer gab, die wirklich Haltung zeigten in diesen mittlerweile aufregenden und von großer Unzufriedenheit und dem Wunsch nach Glasnost und Perestroika in der DDR geprägten Vorwendetagen. Da bekam ich Lust, wieder als Lehrer einzusteigen. Also schrieb ich im Sommer 1989 eine Bewerbung. Aus Zeitgründen schickte ich sie erst während unserer Urlaubsreise in Prag ab. Wir waren auf dem Weg nach Ungarn, wohin viele in diesem Sommer fuhren, um in den Westen zu gehen. Viele unserer Bekannten hatten uns abgeschrieben. Wir wollten jedoch nicht abhauen. Nach meiner Rückkehr war der Termin zu einem Vorstellungsgespräch längst verstrichen. Ich ging hin und man erklärte mir, unter welchen Bedingungen ich als Lehrer anfangen könnte: Erstens müsste ich mein Äußeres dem einer sozialistischen Lehrerpersönlichkeit angleichen, zweitens sollte ich ein klares Bekenntnis zu den Beschlüssen des gerade stattgefundenen IX. Pädagogischen Kongresses der DDR erklären, in dem Margot Honecker u.a. das Ziel festlegte, die Jugend müsse notfalls mit der Waffe in der Hand den Sozialismus verteidigen. Drittens müsse mir klar sein, dass ich wegen der drei Jahre Abstinenz vom Schuldienst Fortbildungen besuchen müsse und keine Zeit mehr für Kulturarbeit hätte, und viertens hätte ich kein Wunschrecht für die Einsatzschule. Meine Antwort: »Wir können über alles reden, aber die Schule möchte ich selbst bestimmen.« So wurde aus dem Neuanfang erst mal nichts.

      In dieser Zeit trafen sich das erste Mal ein Dutzend Leute konspirativ in N. in einer Tischlerwerkstatt, um zu beraten, welchen Beitrag wir zu Veränderungen in der DDR leisten könnten. Wir organisierten gemeinsam mit Leuten von der evangelischen Kirche erste Montagsgebete mit anschließenden Demonstrationen. Ausgangspunkt war immer die Klosterkirche. Als DJ begleitete ich mit meiner Tontechnik fast alle diese Demonstrationen. So holten wir quasi das Neue Forum* nach N. Eine Reihe ganz profaner logistischer Probleme waren dabei zu überwinden. Die Mitgliederlisten mussten zum Beispiel von Bärbel Bohley aus Berlin geholt werden. In diese Listen mussten sich während des Montagsgebets bis zu 400 Menschen eintragen. Jeder fühlte sich danach zum Neuen Forum* und damit zur Opposition zugehörig.

      Anfang 1990 wurde ich angesprochen, ob ich für die ersten freien Kommunalwahlen kandidieren würde. Ich war erst einmal überrascht, denn so weit hatten wir anfangs noch gar nicht gedacht. Letztlich bekamen wir unsere Wahllisten voll, um für das Neue Forum* zu kandidieren. Ich hatte nicht ansatzweise damit gerechnet, dass ich gewählt werden würde. Jedoch erreichte ich ein ziemlich gutes Wahlergebnis. Ich wurde als Mitglied des Kreistages und meine Frau zur gleichen Zeit in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Wir hatten unglaubliche Stapel Akten