Problemzone Ostmann?. Ellen Händler

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Название Problemzone Ostmann?
Автор произведения Ellen Händler
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783838275406



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Trainer in den Bereichen Orthopädie und Innere Medizin tätig. Natürlich muss ich mich ständig weiterbilden und meine Lizenzen erneuern. Da ich meine Dienste für verschiedene Sportstudios und Vereine anbiete, habe ich mehrere Standbeine. Feste Geschäftspartner, feste Kurszeiten und stabile Einnahmen tragen dazu bei, dass ich abends beruhigt einschlafen kann. Letztlich habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Mit der beruflichen Selbstständigkeit habe ich meine Erfüllung gefunden. Ich konnte meine Potenziale gut entwickeln und bin zufrieden in meinem Job als Trainer. Das Feedback ist unmittelbar. Man spürt sofort, ob der Kurs gut läuft, oder ob man etwas umsteuern muss. Ich erhalte praktisch mit jedem Sportkurs Anerkennung – und wer hat das schon in seinem Job.

      Die Corona-Pandemie stoppte für mich alles. Corona bedeutet für mich, wie für viele andere auch, von einem Tag auf den anderen Berufsverbot.

      Parallel betätige ich mich weiterhin ehrenamtlich auf unterschiedlichsten Ebenen. Seit 2002 bin ich Vorstand der örtlichen Wohnungsbaugenossenschaft und bereits seit 1990 vertrete ich, damals die PDS*, heute Die Linke in der Gemeindevertretung als Fraktionsvorsitzender. Im Zuge der letzten Kommunalwahl wurde ich zum Ortsvorsteher für unseren Ortsteil mit über 10.000 Einwohnern gewählt. Ich gehörte nie zu denjenigen, die danebenstehen und nur meckern. Eher versuche ich anzupacken, um etwas zu verbessern. Das war zu DDR-Zeiten so und es ist bis heute so geblieben. Was ebenfalls geblieben ist, ist das Gefühl, bei allem Engagement auch heute oft gegen Mauern zu laufen, die sich anscheinend nicht einreißen lassen.

      Da ich mit zwei Brüdern aufgewachsen bin, ist Hausarbeit für mich nichts Ungewöhnliches. Backen und Kochen habe ich im Elternhaus gelernt. Ich hatte überlegt, Koch zu werden. Putzen ist für mich kein Problem. Wir organisieren unser Familienleben partnerschaftlich gleichberechtigt, so wie es mir meine Eltern beigebracht haben. Allerdings hat mein Vater das, was er uns predigte, selbst nicht immer so praktiziert. Er hat sich seine Auszeiten gegönnt, sodass die Hauptlast der Arbeit, auch mit uns drei Jungs, auf den Schultern unserer Mutter lag.

      Bei uns ist es so geregelt, dass sich meine Frau um die Wäsche kümmert und ich mich um die Küche. Die anderen anfallenden Hausarbeiten teilen wir zwischen uns auf. Unser großes Glück, unser Sohn, wurde 1985 geboren. Mittlerweile arbeitet er als Mediziner an der Uniklinik Heidelberg. Er hat unser Modell des Familienlebens übrigens weitestgehend übernommen. Ab einem gewissen Alter haben wir ihn stets mit einbezogen, sowohl in unsere Gespräche als auch in die tägliche Hausarbeit. Unsere Schwiegertochter, die aus der Nähe von Heidelberg stammt, empfindet das natürlich als angenehm. So richtige Probleme gab es in unserer Ehe noch nie. Meine Frau sagt immer, wenn wir uns mal streiten, streitet sie und ich höre geduldig zu.

      Ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich immer frei meine Meinung gesagt habe. Ich habe dadurch nie Probleme bekommen, fühlte mich nie unterdrückt, oftmals jedoch ohnmächtig und hilflos. Man spürte in den letzten Jahren der DDR, dass so vieles nicht funktionierte, dass so viele unzufrieden waren. Ich habe mir eingebildet, dass die da ›oben‹ nicht wüssten, was ›unten‹ abläuft. In der Wendezeit, als so manches öffentlich wurde, war ich schockiert und konnte es nicht fassen. Trotz allem hatte ich die Hoffnung, dass man die DDR verbessern und verändern könnte. So trat ich in die Partei ein, weil ich dachte, man muss und kann konkret die Probleme vor Ort anpacken. Im Chemiewerk habe ich zum Beispiel vorgeschlagen, einen Meckerkasten anzubringen, in den die Leute ihre Sorgen und Nöte, auch anonym, einstecken können. Aus heutiger Sicht war dieser Vorschlag vermutlich etwas weltfremd und naiv.

      Wirkliche Existenzängste hatte ich damals nicht, eher Sorge, wie alles weitergehen wird. Wie viele Leute würden durch die Roste fallen und in dem neuen System nicht bestehen? Unser aller Leben hat sich fast über Nacht völlig verändert. Wenn Birgit Breuel, die Chefin der Treuhand, rückblickend sagt, dass die meisten Westdeutschen diesen Umbruch vermutlich nicht verkraftet hätten, ist das zwar löblich, hilft all den Gestrandeten aber nicht. Diese Gedanken haben mich damals sehr beschäftigt. Meiner Familie ging es früher nicht schlecht und auch heute geht es uns gut. Ich denke, dass alle, die willens und in der Lage sind, sich ständig weiterzubilden, auch heute zurechtkommen. Leider kann das aber nicht jeder, und genau diese Leute bleiben auf der Strecke.

      Große Sprünge, wie man so sagt, können eh die Wenigsten machen. Aber ob man wirklich glücklich ist und ein erfülltes Leben führt, hängt nicht allein von der Fülle des Bankkontos ab. Wer sich mal mit dem Easterlin-Paradox befasst hat, weiß, dass ab einem gewissen durchschnittlichen Einkommen pro Kopf die durchschnittliche Zufriedenheit der Menschen nicht mehr ansteigt. Mehr Wohlstand führt also nicht automatisch zu mehr Lebensqualität. Wichtig ist vor allem, dass man gesund bleibt. Im Moment, in Zeiten der Coronapandemie, habe ich nicht so sehr Angst vor dem Virus, sondern vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die sich daraus ergeben werden.

      Meiner Meinung nach unterscheiden sich Männer aus den alten und den neuen Bundesländern. Verallgemeinerungen möchte ich vermeiden. Die meisten Ossis stellen nur das nach außen, was sie definitiv können – das packen sie an, und damit fertig. Viele Wessis legen immer noch eine Schippe drauf und machen eine riesige Brühe um alles. Wir im Osten haben es nicht gelernt, uns zu vermarkten. Aber vielleicht trägt das zu einem gesünderen Leben bei. Ich denke, dass die Aufschneider stets im Hinterkopf haben, dass sie der Aufgabe eigentlich nicht gewachsen sind, und das kann auf Dauer nicht gesund sein. Die vielen psychischen Erkrankungen in unserem Land sind vermutlich ein Spiegelbild davon. Einer meiner Handballer, der mittlerweile 36 Jahre alt ist, hat mir mal gesagt: »Das Wichtigste in meiner ganzen Schul- und Abiturzeit war eigentlich die Belegung des Fachs Darstellendes Spiel. Dort habe ich gelernt, wie man sich verkauft. Damit komme ich gut durchs Leben.« Diese Aussage bringt es eigentlich auf den Punkt.

      Wir Männer aus den neuen Bundesländern können oft viel mehr, als wir nach außen tragen. Dadurch, dass wir in der DDR so viel improvisieren mussten, spielen wir handwerklich in einer ganz anderen Liga. Da unsere Frauen meistens berufstätig waren, sind Hausarbeit und Kinderbetreuung für uns nichts Ungewohntes. Unsere Freundschaften beruhen auf Ehrlichkeit und gegenseitigem Vertrauen. Man erzählt sich wirklich alles, redet auch über unangenehme Dinge offen. Bei Männerfreundschaften gilt das Gleiche wie in einer Beziehung. Wichtig ist, dass man auf Augenhöhe agiert und ehrlich zueinander ist. Ich brauche Freunde zum Diskutieren und zum Gedankenaustausch. Dabei muss man am Ende nicht immer der gleichen Meinung sein. Eine wirkliche Freundschaft hält sowas aus, egal wo jemand herstammt. Die Männer aus den alten Bundesländern im gleichen Alter sind uns beim Einkommen, beim Eigentum und beim Besetzen der Posten in Wirtschaft und Verwaltung voraus. Auch dadurch kommt bei vielen im Osten ein gewisser Frust auf und bei einigen leidet das Selbstwertgefühl. Unsere Zurückhaltung ist vermutlich ein Hindernis für den beruflichen Aufstieg in der heutigen Zeit.

      Die deutsche Wiedervereinigung war für mich keine Vereinigung. Es war nur ein Anschluss. Ich denke, einiges wäre erhaltenswert gewesen. Nur den grünen Pfeil und das Ampelmännchen zu übernehmen, war mit Sicherheit falsch. Auch wenn in der DDR große Fehler begangen wurden und viele Menschen gefrustet waren, so ist für viele trotzdem ihre Heimat verloren gegangen. Diese Pauschalverurteilungen nach der Wende, der Vorwurf, dass wir alle Systemtreue waren und deswegen nun an den Rand gedrängt werden sollten, sitzt bei vielen Betroffenen noch immer tief. Auch dadurch liefen und laufen viele den rechten Rattenfängern hinterher. Wenn ich mir die Führungskräfte der AfD anschaue, die fast alle aus dem Westen stammen und zur Wende 2.0 aufrufen, bekomme ich die Krise.

      Die meisten DDR-Bürger hatten gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Man las die Zeitung, meistens von hinten, dort war der Sportteil. Man sah die Aktuelle Kamera und anschließend die Tagesschau und daraus bildete man sich sein eigenes Urteil. Bei mir läuft die Meinungsbildung heute ähnlich. Oftmals geht die Warnleuchte an, dann denke ich: Das hatten wir doch schon mal, dass sich die offizielle Darstellung in den Medien von der Realität entfernt. Die Realität, gut recherchiert, erlebt man meiner Meinung nach zum Beispiel in der ZDF- Sendung Die Anstalt. Ich bin froh, dass es die Zeitung Junge Welt gibt. Sie wirbt mit dem Slogan: »Sie lügen wie gedruckt, wir drucken, wie sie lügen.« Der Spruch »Wer die Macht hat, hat die Medien, und wer die Medien hat, hat die Macht« gilt nach wie vor. Schlussendlich muss man sich immer fragen: Wem nutzt diese Art der Berichterstattung?

      Es gibt einige Erfahrungen