Problemzone Ostmann?. Ellen Händler

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Название Problemzone Ostmann?
Автор произведения Ellen Händler
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783838275406



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Sichten auf die Welt, es waren sehr politische Diskussionen. Ich habe ihn bestimmt oft genervt, aber er hatte viel Geduld. Ansonsten haben wir uns immer gut verstanden. Das ist vielleicht so ein Reflex, wenn das Elternhaus konservativ ist, tickt man als 14- und 15-Jähriger erst mal anders. Dazu kam, dass ich die Schule gut fand und an den Sozialismus glaubte; mein Vater war aber anders drauf.

      Am 21. August 1968* zum Beispiel, in den Schulferien, lag ich früh noch im Bett. Er musste aber ins Krankenhaus, riss die Tür zu meinem Zimmer auf und sagte: »Mach mal das Radio an, damit du hörst, was deine Kommunisten gerade in Prag anrichten.« Als ob ich daran schuld wäre. Andererseits hat er dafür gesorgt, dass ich alles erhielt, was es in der DDR zu lesen gab, Horizont, Sonntag, Junge Welt bis hin zur Neuen Zeit. Er kaufte das alles. »Du sollst alles wissen und irgendwann wird dir schon ein Licht aufgehen.« Hinzu kommt, dass meine beiden Großväter sehr prinzipientreu waren. Der eine aus Nordhausen, überzeugter Sozialdemokrat, ist 1933 arbeitslos geworden, war dadurch bis 1945 ein verfemter in Nordhausen, hat dort 1945 für den Landtag kandidiert, ist als Sozialdemokrat Chef der Arbeitsverwaltung geworden, Nachdem er sich mit Ulbrichts Leuten überwarf, war er ab 1952, 1953 wieder verfemt. Das prägt natürlich. Uns hat er als Kinder damals in den 1960er Jahren sehr beeindruckt. Zu seinem Geburtstag wollte sich die Kreisleitung*, weil er immer noch einen Namen hatte, wieder versöhnen nach dem Motto: »War ja alles nicht so gemeint« und stand mit einem Präsentkorb vor der Tür. Er hat durch seine Frau ausrichten lassen: »Ulbrichts Leute kommen mir nicht über die Schwelle, schick die wieder weg.« Meine Eltern erstarrten und wir Kinder waren über einen so renitenten Großvater stolz.

      Ich habe meine erste Frau im Studium kennengelernt. Sie kam aus Thüringen und hatte auch diese Studienrichtung gewählt. Wir bekamen im letzten Studienjahr Zwillinge. Weil es noch keine Kita und Krippenversorgung gab, bekamen wir einen Sonderstudienplan und eine Studienverlängerung. Das Studium organisierten wir nach einer Art Wechselmodell. Immer einer blieb bei den Kindern, der andere ging zum Studium, und so wechselten wir uns ab. Das ging gut und hat dazu geführt, dass wir in dieser Zeit sehr intensiv mit den Kindern zusammen waren. Später zogen wir über die Absolventenvermittlung nach Karl-Marx-Stadt. Der Anreiz war, dass es dort eine Vierraumwohnung gab. Ich fand im Bezirkshygieneinstitut Arbeit im Bereich der Lufthygiene. In Karl-Marx-Stadt ist unsere dritte Tochter geboren, die heute in Schweden lebt und noch ganz stolz ist, dass in ihrem Ausweis als Geburtsort Karl-Marx-Stadt steht. Damit kann sie die Leute immer sehr erheitern. Unsere Kinder waren dort leider sehr oft krank, Bronchialkatarrh, der HNO-Arzt sagte: »Kein Wunder, bei der Luft hier.« Es hieß nicht umsonst Ruß-Chemnitz*. Wir sind nicht mehr nach dem Kriterium Wohnungsgröße, sondern nach Luftreinheit umgezogen und fanden auf der Landkarte Bad Freienwalde. Dort konnten wir mitten im Wald wohnen. Ich hatte mich eigentlich im dortigen Kreiskrankenhaus als Medizintechniker beworben. Beim Einstellungsgespräch schlug man mir jedoch vor, Direktor für Ökonomie und Technik zu werden. In so jungen Jahren bin ich das geworden, weil das so weit draußen, jwd*, lag und kein großer Andrang war.

      Dann zog es uns aber wieder nach Potsdam. Dort arbeitete ich von 1982 bis 1990 als Abteilungsleiter für Umwelthygiene. In den 1980er Jahren bin ich auch immer mehr zur Politik gekommen. Der erste und deutliche Riss in meinem an sich gut gefügten Weltbild kam 1976 mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann. Übrigens nicht, weil ich ein Fan seiner Lyrik oder Lieder gewesen wäre, sondern weil mich mein Land enttäuschte. Ich habe die Ausbürgerung als ein Zeichen von Schwäche gesehen, nach dem Motto: »Wenn man so einen nicht aushält, wie ist dann die innere Verfassung?« Einem zu verweigern, in sein Land zurückzukommen! Der endgültige Riss entstand für mich, als 1979 im Dezember die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte. In Prag hieß es noch: »Wir müssen hier in Europa den Sozialismus verteidigen.« Obwohl das auch vorgeschoben war. Aber der Einmarsch in Afghanistan war blanke Geo- und Machtpolitik und nichts weiter.

      Nachdem meine Eltern ausgezogen waren, wohnten wir wieder in unserem Elternhaus in Potsdam, am Wasser. Das war sehr schön, vor allem für unsere Kinder. Nach unserer Scheidung habe ich eine Wohnung in Babelsberg gefunden und sie Ende der 1980er Jahre ausgebaut. In der Wohnung lebe ich heute noch. Hier saß ich oft mit Freunden zusammen; wir hatten damals irgendwie viel mehr Zeit als heute. Es gab weniger Ablenkung und wir saßen abends im Küchenraum, aßen, debattierten und tranken schlechten Rotwein, was wir aber damals nicht wussten. Und wir verbesserten dabei natürlich immer die Welt. Alle hatten zwei, drei oder vier Kinder und fragten sich, was werden uns unsere Kinder in zehn oder 15 Jahren einmal fragen, genauso wie wir unsere Eltern löcherten, was sie gemacht, wie sie sich verhalten hatten und ob sie alles geschehen ließen.

      Auf der Basis solcher Diskussionen teilte sich in gewisser Weise unser Freundeskreis. Eine Spaltung in diejenigen, die sagten, wir sehen für unsere Kinder keine Perspektive mehr in diesem Land, das zerfällt, wird knöchern, Mehltau breitet sich aus. Das fühlte man. Die haben Ausreiseanträge gestellt, Botschaften mit besetzt, was damals so anfing. Die anderen, zu denen gehörte ich, protestantisch geprägt, sagten: »Da, wo man hingestellt ist, da sollte man bleiben.« Und wir wollten versuchen, was zu ändern. Einer unserer Freunde hatte 1987 gerade eine Abschlussarbeit über die Geschichte des Belvedere in Potsdam geschrieben. Ein Schloss, ohne Kriegsschäden, was völlig verfallen war, nur weil es mitten im russischen, abgegrenzten Teil lag. Außerdem konnte man von da oben nach Westberlin gucken, sodass man es wie das Dornröschenschloss zuwachsen ließ. Das war ein Kulturschatz. Also machten wir uns einfach daran, trafen uns jede zweite Woche am Wochenende, stellten die Parkanlage wieder her und dachten: »In 20 Jahren bauen wir das Ding wieder auf.« Das hat zur Gründung der ersten Interessengemeinschaft Pfingstberg* geführt mit 25 jungen Leuten, die sich immer wieder trafen und dort arbeiteten. Das Verrückte war, dass ich das bis heute als ein Zeichen empfinde, was in unserem Land eigentlich los war. Wir fühlten und verstanden uns nicht als Opposition im klassischen Sinne, sondern wir wollten was verbessern. Die Staatssicherheit hat daraus, »politisch negative Elemente« gemacht. Die sind ab und zu hochgekommen und haben komische Fragen gestellt. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass Leute freiwillig und ohne Geld so etwas machten. Ein Teil dieser Truppe und andere junge Leute haben 1988 im April die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtgestaltung in Potsdam gegründet. Das war schon etwas politischer gemeint. Bei mir kam hinzu, dass ich beruflich viele Daten für Boden, Wasser und Lärm hatte. Und wir stellten immer mehr fest, wie unsere Lebensgrundlagen den Bach runtergingen, wie die Bausubstanz unserer Heimatstadt teilweise unwiederbringlich zerfiel. Und dann sollte noch die barocke Innenstadt abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt werden. Da haben wir, die ›Hierbleiber‹, gesagt: »Das kann es nicht sein.« Es war wie ein Signal. Die erste Straße ist ja auch noch abgerissen worden. 1989 konnten wir den Fortgang der Dinge stoppen. Bürger fingen an, sich zu artikulieren und zu wehren. Wir haben in dieser Arbeitsgemeinschaft im April 1989 ein erstes DDR-weites Treffen veranstaltet. Das war damals sehr mühsam. Es gab kein Internet, kaum Telefon. Über 20 Gruppen aus der ganzen DDR, die ähnliches gemacht haben, aus Schwerin, Erfurt, Leipzig, Dresden, hatten wir nach Potsdam eingeladen. Das erregte viel Aufsehen und wurde strengstens beobachtet. Daraus bildete sich ein Netzwerk, aus dem sich ein halbes Jahr später, im Herbst, die Grüne Liga* gründete. Meine erste Aufgabe in diesem Verbund war es, ein Informationsnetzwerk aufzubauen. Das sah man damals als sehr verdächtig an, weil nur der Staat verantwortlich für Information war und niemand anderes. Ihr Denkmodell war: »Wenn die Potsdamer glauben, dass es in ihrer Stadt bergab geht, ist das schon nicht gut. Wenn die aber erfahren und diskutieren, dass es in den 20 anderen Städten ähnlich läuft, dann wird daraus was Gefährliches.«

      Die Dinge nahmen ihren Lauf. Wir haben am 7. Oktober 1989 zum 40. Jahrestag der DDR ein zweites DDR-Treffen angemeldet. Das ganze Dachgeschoss unseres Besprechungsgebäudes war von der Staatssicherheit besetzt, um uns zu beobachten. Das bekamen wir mit. Sie konnten aber das Zusammentreffen von Abgesandten aus den Städten nicht verhindern, obwohl sie es versucht hatten. Nur die Leipziger kamen nicht, denn die hatten zu Hause eine Menge mit der Vorbereitung der großen Demonstration am 9. Oktober zu tun. Unsere in der Nacht verfasste und von allen verabschiedete Erklärung hat die Oberen sehr beunruhigt, weil sie mit dem Satz begann: »In einem solchen Land wollen wir nicht länger leben.« Wir wollten immer noch einen anderen Sozialismus, an anderes wurde noch gar nicht gedacht. Die Resolution schafften wir nach Berlin zu dieser und jener Zeitungsredaktion. Später konnte man in den Stasiakten lesen: »feindlich negative Elemente