Beter, Mönche und Gelehrte. Marc Witzenbacher

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Название Beter, Mönche und Gelehrte
Автор произведения Marc Witzenbacher
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783766642592



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später wurde er Ministerpräsident.

      Seinen Einfluss nutzte er dafür, seiner großen europäischen Idee Gestalt zu geben und mit dem Bau des europäischen Hauses zu beginnen. Auf einer Konferenz der Präsidenten von christlich-demokratischen Parteien in Luxemburg 1948 gehörte Schuman zu den treibenden Kräften einer „Deklaration über die europäische Zusammenarbeit“. Es war eine Zeit des Umbruchs und des drohenden Unfriedens: der tschechische Staatsstreich, die Gründung des Staates Israel, die Berlinblockade, der Koreakrieg und der damit einhergehende Konflikt zwischen Ost und West und die Gründung der NATO. Schuman hielt in diesen Zeiten an der aus seinem Glauben genährten Idee eines friedlichen Europas fest und verfolgte sie konsequent.

      Damit hatte er Erfolg: Die Konferenz der europäischen Außenminister betraute Schuman mit dem Auftrag, eine gemeinsame Deutschland- und Europapolitik vorzulegen, die schließlich in die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ mündete. 1953 unterzeichneten 26 europäische Staaten die von Schuman maßgeblich gestaltete „Straßburger Konvention für Menschenrechte“. Mit der Annahme der Römischen Verträge im Jahr 1957 schließlich wurde der Grundstein für die Europäische Union gelegt. Wesentliche Impulse der Verträge stammen von Robert Schuman. Die Staaten wussten, wem sie dies zu verdanken hatten, und machten Schuman, den „Vater Europas“, 1958 zum ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments. Sein Glaube hinterließ dabei bis heute Spuren: Die Zahl der Sterne auf der Flagge Europas bezieht sich nicht auf die ursprünglich zwölf Mitgliedsstaaten, sondern verdankt sich einem biblischen Bild. In der Offenbarung des Johannes heißt es: „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12, 1). Sich so an einem Himmelszeichen zu orientieren, relativiert das menschliche Tun und Lassen, setzt dem menschlichen Streben nach Vollkommenheit eine Grenze. Das wohl wollte der Erbauer des zusammenwachsenden Europas vor Augen führen.

      Robert Schuman steht bis heute für die Glaubwürdigkeit christlicher Werte in der Politik und er bleibt dafür ein Vorbild. Um dies zu verdeutlichen, läuft seit 1990 das Seligsprechungsverfahren für Robert Schuman. Im Bistum Metz wurde es 2004 abgeschlossen, die Unterlagen zur Seligsprechung des „Heiligen im Straßenanzug“ nach Rom weitergeleitet.

      Christian Führer: Die Revolution, die aus der Kirche kam

      Vertrauen bzw. Glauben und Glaubwürdigkeit heißen die entscheidenden Faktoren unseres Handelns, plus Fantasie und Humor.“ Das schrieb Christian Führer, Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche in den entscheidenden Jahren der friedlichen Revolution. Der nicht gerade groß gewachsene, stets mit einer lässigen, ärmellosen Jeans­jacke bekleidete grauhaarige Mann ist rein äußerlich keine wichtige Erscheinung der Weltgeschichte. Sein leises Reden kommt unscheinbar daher, verrät aber eine unerschütterliche Beharrlichkeit. Und eine beruhigende wie gelassene Sicherheit. Darüber, was er denkt und wie er handelt. Zahlreiche Preise hat Führer in seinem Leben schon erhalten. Doch die größte Auszeichnung ist und bleibt für ihn die Freiheit. Das Wahrwerden der friedlich eingeleiteten und durchgeführten Revolution in der ehemaligen DDR, an deren Ende – oder sagen wir besser: Wende – die Einheit des deutschen Volkes stand.

      Nicht politisches Kalkül oder aufrührerisches Gedankengut: Grenzen zu öffnen, das erreichte Führer schlicht mit den Worten der Heiligen Schrift. Am Beispiel Jesu, an den Worten der Bergpredigt richteten sich die Revolutionäre aus. Das überzeugte auch diejenigen, für die Jesus nur ein Hirngespinst und das Christentum ein lästiges Überbleibsel aus dem Kapitalismus war. Da ging es nicht um ferne Heilige, in Stein gemeißelt und legendenumrankt. Es waren die Leute bei den Friedensgebeten in der Nikolaikirche und später die Demonstranten auf der Straße, welche die Seligkeit ererben sollten. Davon war Christian Führer überzeugt, dafür lebte und dafür betete er – gemeinsam mit tausenden von Menschen.

      Christian Führer wuchs in einem sächsischen Pfarrhaushalt auf. Das prägte ihn, er entschied sich frühzeitig für ein Theologiestudium. Nach dem Studium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig war Führer zunächst in Lastau und Colditz, zwei kleinen Orten zwischen Leipzig und Chemnitz, als Gemeindepfarrer tätig. Die zunehmende Kirchenfeindlichkeit der DDR, die in Leipzig mit der Sprengung der Universitätskirche im Mai 1968 ihren traurigen Höhepunkt fand, untermauerte seine kritische Position dem atheistischen Staat gegenüber. Die Proteste gegen die Sprengung der Kirche bezeichnet Führer als „erste große öffentliche Kundgebung gegen die Willkür des Staates seit den Ereignissen um den 17. Juni 1953“. Führer sieht einen inneren Zusammenhang zwischen dem Protest von 1968 und den Ereignissen im Herbst 1989.

      1980 nahm er den Dienst als Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig auf. Dort engagierte er sich verstärkt für Friedensfragen aller Art und übernahm das Modell der Friedensdekade sowie der wöchentlichen Friedensgebete, bei denen Themen wie Frieden und Abrüstung im Mittelpunkt standen. Neben seiner Arbeit für die Kirche setzte er sich für die Andersdenkenden in der DDR ein, die wegen ihrer politischen Überzeugungen in Bedrängnis gerieten. Gemäß dem Motto der Nikolaikirche „Offen für alle“ fanden dort für den Staat und die Kirche ungewöhnliche Veranstaltungen statt: etwa ein Konzert der Band „Wutanfall“ oder die zahlreichen Gespräche über Wehrdienstverweigerung und Ausreise. Führer konnte sich der ständigen Beobachtung durch die Staatssicherheit, aber auch der Kirchenleitung sicher sein. Führer plädierte für eine generelle Öffnung der Kirche für Andersdenkende, für Unbequeme und Ausgegrenzte. Er wollte die Grenzen in den Köpfen öffnen und machte dafür die Türen seiner Kirche auf.

      Konflikte blieben dabei nicht aus. Auch und gerade mit den beherbergten Gruppen. 1988 geriet Führer in eine Auseinandersetzung mit den Ausreisewilligen und den oppositionellen Basisgruppen. Die Kirchenleitung nahm den Akteuren die freie Gestaltung der Friedensgebete wieder aus der Hand, um eine politische Radikalisierung der Friedensgebete zu verhindern. Dennoch bemühte sich Führer um die Rückkehr der Basisgruppen in die Nikolaikirche, die man praktisch vor die Tür gesetzt hatte und die ihre Diskussionen nun draußen auf dem Kirchhof und auf der Straße fortsetzten. Die wöchentlichen Friedensgebete in der Nikolaikirche florierten allerdings weiter. Immer mehr Menschen kamen. Die Organisation der Friedensgebete hatte Christoph Wonneberger übernommen. Er verfasste auch mit den Mitgliedern der in seiner Lukaskirchgemeinde tätigen Bürgerrechtsgruppen einen Appell, der in der Nacht zum 9. Oktober mühsam vervielfältigt und am „Tag der Entscheidung“ an alle Interessierten verteilt wurde. Darin tauchte schon das vielfach skandierte „Wir sind ein Volk“ auf.

      Nach der Wende wurde Christian Führer von den Medien zum Gesicht der Friedlichen Revolution aufgebaut. Immer wieder wehrte sich der bescheidene Pfarrer gegen eine solche Heldenrolle. Er sei Begleiter und Betreuer gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Führer will weiter an die Friedliche Revolution erinnern, auch nachdem er im März 2008 als Pfarrer in den Ruhestand trat. Dies soll nun durch die Stiftung „Friedliche Revolution“ gelingen. Hauptanliegen der Stiftung, zu dessen Vorstand Führer zählt, ist es, die Idee von damals in die Zukunft zu tragen. Es geht um Bürgermut und demokratisches Engagement. Die Friedliche Revolution muss und sie wird weitergehen. Das ist auch eine Überzeugung des Grenzöffners Christian Führer.

      „… und forschten Tag für Tag in den Schriften“ (Apg 17, 11) – Gelehrte und Theologen

      Engagiertes Christsein braucht eine theologische Ausrüstung. Wo der Glaube sich allein in der mystischen Vertiefung verliert oder die tätige Nächstenliebe ihre Verwurzelung im Evangelium verleugnet, geht die eigentliche Essenz des christlichen Glaubens verloren. Der Missionsauftrag Jesu Christi an seine Jünger schließt auch die Lehre ein (Mt 28, 18–20). Bildung und Wissenschaft gehören daher von Beginn zur Kirche und zum christlichen Glauben dazu. Erst wer sich mit den Heiligen Schriften und der Tradition kritisch auseinandergesetzt hat, kann das Evangelium verkünden. Wer das „lebendige Wasser“ des Glaubens weitergibt (vgl. Joh 4, 14), muss selbst an der Quelle sitzen. Es ist nicht verwunderlich, dass viele der berühmten Prediger hochgelehrte Menschen waren, die sich oft tage- und wochenlang darum bemühten, die biblische Botschaft zu durchdenken und sie dann in die Sprache ihrer Zeitgenossen zu übersetzen.

      Die Kirche braucht also die Theologie, ebenso wie die theologische Wissenschaft ohne kirchliche Bindung ins Leere läuft und zur bloßen