Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

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Название Eigensinn und Bindung
Автор произведения Daniel Hoffmann G.
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766641168



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so sagte er mir, ,braucht Sie nicht zur Verzweiflung zu führen. Denn diese äußere Niederlage ist nur die konsequente Folge jener inneren Niederlage, die wir bereits seit dem Tode Hegels dauernd erleiden, insofern wir den großen alten Väterglauben an die souveräne Macht des Geistes aufgegeben haben.‘ Wie ein Blitzschlag durchzuckten diese Worte in jenem Augenblick meine Seele, und nun fügte Troeltsch, anspielend auf meine Glaubensnöte, die ich ihm brieflich geschildert hatte, noch die Mahnung hinzu: ,Sie sind noch jung. Wenn Sie noch etwas für die Kräfteerneuerung unseres Volkes tun wollen, dann kehren Sie zurück zum uralten Glauben der Väter und setzen Sie sich in der Philosophie ein für die Wiederkehr der Metaphysik gegen alle müde Skepsis einer in sich unfruchtbaren Erkenntnistheorie.‘“ (GW V, 252 f.)

      In einem Brief an Karl Pfleger bekennt Wust Jahre später: „Dieser 4. Oktober 1918 war das Damaskus meines bisherigen Liberalismus und meiner kantianischen Metaphysikscheu. Ernst Troeltsch hat damals in mir die Bresche in meine Skepsis geschlagen und mich wenigstens wieder zum Glauben an so etwas wie einen persönlichen Gott zurückgeführt.“5

      Wust greift dieses Anliegen Troeltschs in seinem ersten größeren Werk, „Die Auferstehung der Metaphysik“, von 1920 auf (vgl. GW I). Die Begegnung mit Troeltsch versteht Wust als einen „ersten schweren Stoß der Gnade“, der schließlich dazu führt, dass er in den Ostertagen 1923 wieder „in die Arme der ,Una Sancta Ecclesia‘“ zurückkehrt. „Seit jenem Heimkehrtag aber war alle müde Skepsis mit einem Male hinweggefegt worden“, schreibt Wust. „Seit jenem Tage war ich wieder naiv gläubig wie ein Kind. Seitdem beschäftigte mich auch die Erscheinung der Naivität, der ich 1925 in dem Buche ,Naivität und Pietät‘ [vgl. GW II] meine besondere Aufmerksamkeit zugewendet habe. In dieser Schrift konzentrierte sich mir das ganze tiefgreifende Kontrasterlebnis, das ich seit etwa dreißig Jahren in dem Übergang von der Ruhe der Dorfidylle zur unseligen Unruhe des städtischen Lebens immer tiefer erfahren hatte. Und dahinter steckte ja auch das ganze quälende Menschenrätsel, das in den späteren Jahren die Philosophie immer mehr in ihren Bann lockte.“ (GW V, 253 f.)

      In der Polarität von Naivität und Pietät sieht Wust „ein Tor, das zu den wunderbarsten Geheimnissen der Menschennatur und der Geistesbewegung in der Menschheitsgeschichte führen konnte, wenn nur jemand den rechten Schlüssel fand, um dieses Tor zu öffnen“ (GW V, 255). Das in „Naivität und Pietät“ angesprochene Thema führt Wust weiter „zu der Frage nach der ewigen Unruhe des Menschengeistes“ (ebd.), die er in dem 1928 veröffentlichten Werk „Die Dialektik des Geistes“ (vgl. GW III/1 u. 2) aufarbeitet. – Es waren wohl diese drei Werke, die ihn auch ohne Habilitation berufungsfähig machten.

      Im Jahre 1937 erscheint dann sein bedeutendstes Werk, geradezu eine Zusammenfassung seiner Grundgedanken, unter dem Titel „Ungewißheit und Wagnis“.6 „,Ungewißheit und Wagnis‘ schrieb ich 1936 in zwölf Wochen – es war eine Entladung“, heißt es in einem Brief an Karl Pfleger. „Das sind rasch vorübergleitende Optima der Gnade – hinterher bin ich ein Häuflein abgebrannter Asche.“7

      In der Zeit der Krankheit überarbeitet und vollendet Wust noch seine Lebenserinnerungen „Gestalten und Gedanken“ (vgl. GW V 41 – 257), und am 18. Dezember 1939 schreibt er sein bekanntes „Abschiedswort“ an seine Studentinnen und Studenten, in dem er das Gebet und nicht die Reflexion als den „Zauberschlüssel“ bezeichnet, „der einem das letzte Tor zur Weisheit des Lebens erschließen könne“.8

      Philosophie ist notwendig existenziell

      Im philosophisch-theologischen Bereich ist Peter Wust heute – allerdings zu Unrecht, wie ich meine – weitgehend in Vergessenheit geraten. Das war zu seinen Lebzeiten und in den Nachkriegsjahren anders. So schreibt Papst Benedikt XVI. in seiner Autobiographie „Aus meinem Leben“ über seine Zeit im Seminar in Freising: „Im theologischen und philosophischen Bereich waren Romano Guardini, Josef Pieper, Theodor Haecker und Peter Wust die Autoren, deren Stimme uns am unmittelbarsten berührte.“9 Das hat ohne Zweifel mit der Art von Wusts Philosophieren zu tun. Wust ist ein „existenzieller“ Denker. Aber existenzphilosophisches Denken steht heute insgesamt nicht mehr im Zentrum des philosophischen Interesses. Dabei, so meine ich, hat Wust uns auch heute noch sehr wohl Wesentliches zu sagen10 – und das in Bezug auf vier Themenfelder: die Frage nach dem Menschen, die Frage nach dem Selbstverständnis der Philosophie,11 hinsichtlich seiner Kultur- und Zivilisationskritik12 sowie seiner Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft.13

      Hinter alledem steht letztlich Wusts Überzeugung, dass Philosophie notwendig „existenziell“ ist, und auf eine christliche Philosophie trifft das in ganz besonderem Maße zu. Diese Überzeugung verbindet Wust mit Denkern wie Augustinus, Pascal oder Kierkegaard.

      „Christliche Philosophie“, so schreibt Wust in diesem Sinne, „will nicht bloß vorgedacht, sie will vorgelebt sein. Und sie will mit Stolz vorgelebt sein, wenn sie zum Heile werden soll für Ertrinkende. Was aber macht sie zur christlichen Philosophie? Es ist im Grunde wenig und doch wieder sehr viel. Der moderne Philosoph lebt in dem verhängnisvollen Irrtum, daß die Probleme des Daseins nur durch reines Denken durchdrungen und bezwungen werden könnten. Er vergißt dabei, daß der philosophische Reflexionsakt im Grunde immer anhebt und endigt in einem religiösen Akt der Hingabe, d. h. soweit er wenigstens ein echt philosophischer Reflexionsakt sein soll. Meditation und Gebet konvergieren aufeinander hin, soweit in ihnen der ganze lebendige Mensch sich in Tätigkeit versetzt. Diese einfache Tatsache vergißt der moderne Philosoph. Christliche Philosophie aber ist allemal schon im Ansatz gegeben, wo diese innere Einheit von Meditation und Gebet von vornherein hingenommen und mutig der Zeit vorgelebt wird. Man sieht, der Begriff der christlichen Philosophie braucht keineswegs überspannt zu werden. Dem Ansatz nach ist schon Platon ein christlicher Denker, eben weil er ein betender Denker war.“ (GW VI, 104 f.)14

      Es fragt sich natürlich, ob hier Wust das Prinzip des Christlichen nicht doch etwas überspannt. Denn auf der anderen Seite wirft Wust Jaspers das gerade vor, was er hier an Platon lobt (vgl. UW 167 ff.). Man darf aber darüber nicht vergessen, dass Wust in der Regel das Christliche auf das Katholische hin verengt. So beginnt sein Beitrag „Die Rückkehr des deutschen Katholizismus aus dem Exil“ mit den folgenden Worten:

      „Das Menschliche ist ein mittleres und deshalb ein zwischen zwei Regionen vermittelndes Seinsverhältnis. Der Mensch steht zwischen der Natur unter ihm und der ,Natur‘ über ihm und bildet so ein Bindeglied zwischen unbewußter Natur und vollbewußtem Geist, zwischen strenger Notwendigkeit und lauterer Freiheit. Dieser hier an den Anfang gestellte Gedanke vom Menschlichen als der ewigen Wesensmitte des gesamten Seins umschließt eine Grundwahrheit von unerschütterlicher Geltung, die sich aus den ewigen Urverhältnissen des Seins herleitet, und die sich beim Blick auf diese Verhältnisse wie auf gewisse empirische Tatsachen einwandfrei erkennen und nachweisen läßt. Nun kommt aber diese Wahrheit nur in einer einzigen von den vielen positiven Religionen der Menschheit völlig rein zum Ausdruck, nämlich im Christentum. Und wieder verengt sich dann der Kreis dem tiefer Blickenden. Denn nur im Katholizismus der römischen Kirche prägt sich diese Lehre von der goldenen Wesensmitte des Menschlichen in ihrer reinsten Form aus. Nur in ihm nämlich werden die Extreme zur Rechten und zur Linken vermieden, und nur in ihm wird der Mittelweg zwischen Natur und Übernatur durch alle Jahrhunderte hindurch ängstlich und sorgfältig eingehalten.“ (GW V, 291)

      Allein der Katholizismus weiß nach Wust „Natur und Übernatur sowie Wissen und Glauben so wundervoll zu einer so schönen Einheit und inneren Zusammenstimmung zu verbinden“ (GW V, 292). Allerdings darf sich ein „christlicher Realismus“ nach Wust nicht „von der Problematik und der Sprache des modernen Denkens (...) distanzieren“ (GW VI, 105). Und diese Problematik und Sprache ist eine wesentlich andere als im Mittelalter; von daher konnte sich Wust mit der neuthomistischen und neuscholastischen Philosophie auch nie anfreunden. Zwar nennt Wust in seinem Vorwort zu „Ungewißheit und Wagnis“ drei Schriften, denen er viel zu verdanken hat: die „Religionsphilosophie“ von Bernhard Rosenmöller (Münster 1932), die in gewisser Weise noch dem scholastischen Denken verpflichtet ist, die Schrift „Über die Hoffnung“ von Josef Pieper (Leipzig 1935) sowie die fünf Vorträge über „Vernunft und Existenz“ von Karl