Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

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Название Eigensinn und Bindung
Автор произведения Daniel Hoffmann G.
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766641168



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Diese grundsätzliche Dialektik der menschlichen Daseinssituation rührt letztlich daher, dass es dem Menschen eben nicht möglich ist, sich von der „metaphysischen Spannung seiner Natur“ abzulösen, die darin besteht, dass er weder reines Tier noch reiner Geist ist. Uns Menschen ist eben „die schöne, sinnliche Naturunmittelbarkeit des Tieres“ ebenso versagt wie das Extrem eines reinen Spiritualismus. Lehnt sich hier der Logos gegen den Bios auf, so dort der Bios gegen den Logos (UW 47).

      Dieser objektiven Seite der Insecuritas humana entspricht nun „die subjektive Seite der menschlichen Ungewißheit“ (UW 48). Natürlich hat der Mensch dem Tier die Wissensmöglichkeit und auch das wirkliche Wissen voraus. Und doch zeigt sich auch hier wieder der schon bekannte dialektische Zwischenzustand seiner ganzen Natur. Und diesen hat kein anderer als Platon in seinem meisterhaften Dialog „Symposion“ dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er hier die Situation des Menschen mythologisch mit Hilfe eines halbgöttlichen Wesens, eines Dämons, nämlich „Eros“, darzustellen sucht. Eros ist ja hiernach das selig-unselige Kind aus der Ehe zwischen einer sterblichen Mutter und einem von den Göttern stammenden unsterblichen Vater. Penia, die Armut, empfängt von Poros, dem Reichtum, und sie gebiert Eros, dieses irdisch-überirdische Zwischenwesen.20 Und es ist nach Platon dieser Eros, der das Wesen des Menschen entscheidend bestimmt: Trotz seines Wissens lebt der Mensch in der Ungewissheit. Wust bezeichnet ihn darum auch als „metaphysisches Sucherwesen“: „Der Mensch ist der ewige Glückssucher, der unermüdliche Wahrheitssucher, der nie zur Ruhe gelangende Gottsucher.“ (UW 49) Und er ist das alles, weil er bei aller Möglichkeit zum Wissen letztlich doch in der Ungewissheit bleibt. Bei aller prinzipiellen Evidenzmöglichkeit bleibt doch auch immer die Ungewissheit der Evidenz. Augustinus und Cusanus haben hierfür ja bekanntlich den Ausdruck der docta ignorantia geprägt.

      Der Spielraum dieser Insecuritas humana ist nach Wust so weit und umfassend wie das menschliche Dasein selbst. Sowohl das Einzelleben als auch das Gemeinschaftsleben unterliegen diesem Gesetz der Insecuritas. So wechseln sich in der Geschichte Epochen der Sekurität mit solchen der Irrationalität und Unberechenbarkeit ab. Und das Einzelleben des Menschen steht nicht minder unter dem Gesetz dieser Dialektik. In deutlicher Anlehnung an Schelers Unterscheidung zwischen Herrschaftswissen, Bildungswissen und Erlösungswissen21 – wobei das erste das Wissen von Technik und Wissenschaften meint, das zweite das philosophische und das dritte das religiöse – sieht Wust beim Menschen näherhin drei Bereiche der Insecuritas: den Bereich der vitalen Existenz, den der geistigen Existenz und den der übernatürlichen Existenz. In keinem dieser Bereiche, das ist die Grundeinsicht Wusts, kommt der Mensch zu einer letzten Gesichertheit bzw. Gewissheit. Und doch führt ihn das übernatürliche Wagnis der Glaubensweisheit „in die übernatürliche Situation einer ,Securitas insecuritatis‘“ (UW 185): Der Mensch fühlt sich hier letztlich geborgen in der Ungeborgenheit. Das kommt ja auch schon in der eingangs beleuchteten Parabel vom verlorenen Sohn zum Ausdruck. „Spontan stimmt man der Lebenshaltung des älteren Bruders bei, aber die Symbolik weist hin auf die Dialektik zwischen der Gesichertheit und der Ungesichertheit. Denn der Umweg des jüngeren Bruders über die Ungesichertheit der Fremde läßt ihn schließlich tiefer in der Geborgenheit des Vaterhauses ausruhen, als der ältere in seiner alltäglichen und oberflächlichen Lebensgesichertheit.“22

      Insecuritas humana und homo religiosus

      Auf die Ungesichertheit des „homo religiosus“ kommt Wust in den Kapiteln neun bis dreizehn von „Ungewißheit und Wagnis“ näher zu sprechen. In diesen Kapiteln scheint er seinen eigenen religiösen Weg verarbeitet zu haben, der über „Trotz und Hingabe“ schließlich zu jener Gelassenheit im Geiste der Liebe führt, mit der allein die Dunkelheiten zu überwinden sind.

      Letzten Endes muss die Frage nach dem Wesen der Insecuritas humana nach Wust als ein religiöses Problem gesehen werden, und er erklärt dies so:

      „In gewissem Sinne ist der Mensch in allen seinen Lebenslagen, mögen sie auch zunächst noch so alltäglich erscheinen, als ein Wesen zu erkennen, das im tiefsten Grunde seiner Natur immer von der einen Frage bestimmt und bedrängt wird, die seine existentielle Erdennot betrifft, nämlich von der Frage nach seinem religiösen Heil oder Unheil. In all seinem Streben nach Gesichertheit ist schließlich diese seine religiöse Kontingenznot wiederzuerkennen, sei es nun, daß er in diesem Streben sich selbst ausweichen will durch die Flucht in niedere Wertbereiche, die ihm für Augenblicke das Wesentliche seiner Existenz verhüllen, sei es, daß er mit offenem Auge diese metaphysische Not vor sich sieht und sich mit ihr auseinandersetzt. Selbst sein Streben nach der vitalen Existenzsicherung verrät noch überall etwas von dem letzten Ewigkeitsdurst seiner Seele. Und erst recht ist sein grenzenloses Wissensstreben, seine nie stillstehende Intellektunruhe, ein deutliches Zeichen dafür, daß der tiefste Grund seiner Seele über das Endliche hinausdrängt, um in der wahrhaften Unendlichkeit Ruhe und Frieden zu finden. Der ,homo faber‘ mit seiner ins Grenzenlose zielenden Zivilisationsunruhe und der ,homo philosophus‘ mit seiner leidenschaftlichen, in immer tiefere Regionen hinabdrängenden Frageunruhe, sie deuten beide über sich hinaus auf den ,homo religiosus‘ mit seinem unstillbaren Heimweh nach einer letzten Region überzeitlicher Vollendung.“ (UW 119)

      Wust verengt den Begriff des „homo religiosus“ hier nicht auf den „positiv-christlichen Menschen“, sondern er möchte darunter im weitesten Sinne „den Menschen als Menschen überhaupt“ verstehen, denn er deutet die „religiositas“ als ein konsekutives Merkmal der menschlichen „rationalitas“ (UW 120), was ganz auf der Linie eines Max Scheler oder Paul Tillich liegt.23 Der Mensch „mag noch so irreligiös leben, sei es nun im Sinne der Indifferenz gegenüber seiner religiösen Anlage, sei es im Sinne positiver Ablehnung dessen, was diese Anlage von ihm fordert, seine Irreligiosität sogar gehört dann noch in den Bereich des Religiösen hinein.“ (Ebd.) Das bedeutet, dass es nach Wust keinen Ort gibt, wohin man vor Gott fliehen könnte.

      Dass die Insecuritas-Situation in Bezug auf den religiösen Menschen geradezu kulminiert, versucht Wust mit einem Hinweis auf den berühmten „Don Quichote“ des spanischen Dichters Cervantes zu illustrieren (UW 122 ff.). Don Quichote und sein Stallknecht Sancho Pansa stellen – so Wusts Deutung – nur eine einzige Gestalt dar, sie symbolisieren den zwiespältigen Menschen, der zwei Stimmen in seiner Brust hat, nämlich die Stimme der „Welt“ und die Stimme der „Überwelt“. Letztlich geht es hier also um die Dialektik von Glaube und Unglaube, eine Ambiguität, die der Mensch nie wirklich los wird (vgl. UW 124). Diese Ambiguität ist auch nicht aufzulösen durch eine „Flucht des religiösen Menschen vor der ,Welt‘“, denn eine solche bedeutete nach Wust „eine feige Flucht aus der ,Insecuritas mundi‘ in eine ,sacra securitas‘ des Glaubens“, die den Sinn des Glaubenswagnisses geradezu entstellt (UW 125). Denn „der religiöse Mensch, der der ,Welt‘ ins Heiligtum des Übernatürlichen entfliehen wollte“, ist damit der Welt erst recht ausgeliefert (UW 126). Im Bereich des Religiösen gilt nämlich nicht „die natürliche Sancho-Pansa-Vernunft“, sondern „es gilt eben hier jene paradoxe Zuteilungsordnung, wie sie uns in der Parabel von den Arbeitern im Weinberge symbolisch vor Augen gestellt wird: ,Die Ersten werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein.‘“ (UW 125)

      Psychologisch äußerst subtil und bilderreich beschreibt Wust hier die Erfahrungen, die der religiöse Mensch macht: „Gerade dann, wenn die Flitterwochen des jungen Eheglücks mit dem Übernatürlichen vorüber sind und die tiefe Trostlosigkeit der enttäuschten Seele sich einstellt, öffnet sich auch sehr leicht für sie der dunkle Abgrund der Menschennatur. Und dann kommen plötzlich alle jene dämonischen Plagegeister aus diesem Abgrund wieder hervor, die der Mensch bereits für immer bezwungen zu haben glaubte.“ (UW 126) Nur wenn der religiöse Mensch diese Dunkelheit mit Gelassenheit hinnimmt, einer Gelassenheit, „die aus dem Geiste der Liebe stammt“, nur dann wandelt sich die Situation der höchsten Gefährdetheit „in eine Situation der größten Fruchtbarkeit“ (UW 127).

      Glaube und Zweifel

      Diese prinzipielle Ungesichertheit erlebt der religiöse Mensch nach Wust näherhin in Bezug auf drei Hauptfragen, nämlich in Bezug auf die Fragen der religiösen Gottesgewissheit,