Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

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Название Eigensinn und Bindung
Автор произведения Daniel Hoffmann G.
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766641168



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tiefsten Ringens um den eigenen rechten Weg und mit der Situation in seiner Kirche, das sich nicht zuletzt am erzwungenen Antimodernisteneid entzündete. Mit der Verheiratung zog sich der Benefiziat die excommunicatio latae sententiae zu. So sehr Bernhart zwischen der äußeren Gestalt, der rechtlichen Struktur und der geistlichen Dimension der Kirche zu unterscheiden wusste und damit auch spürte, welchem Gesetz er zu folgen hatte, so sehr litten er und seine Frau unter dem Ausschluss aus der vollen Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche, deren Geistigkeit und Geistlichkeit er mit allen Fasern seines Innersten anhing. Mit zahlreichen Vorstößen und auf vielfältigen Wegen bemühte sich der Schriftsteller, der immer im Dienst der Kirche schreiben wollte, um die Sanierung dieser Angelegenheit. Erst nach über 25 Jahren glücklicher Ehe und nur wenige Jahre vor dem Tod Elisabeth Bernharts erhielten sie den Bescheid der Aufhebung der Exkommunikation – und auch den zunächst nur foro interno.

      Bernhart ist ein Theologe, der zuinnerst in und mit und von seiner Mutter Kirche lebt. Im gleichen Atemzug ist er sich der Tragik jeglicher Mutterschaft bewusst: Sie fördert, um frei zu lassen; sie muss bestrebt sein, sich überflüssig zu machen.

      1916 starb Bernharts Vater. Bis zu dessen Tod hatte er ihm die Tatsache seiner Verheiratung vorenthalten, aus Furcht, der Vater würde innerlich daran zerbrechen. Nach dem Tod des Vaters aber grämte sich der Sohn darüber, dass er sich ihm nicht eröffnet hatte, dass der Vater nicht mehr erfahren hatte, wer er eigentlich gewesen ist. So wollte er zwar Gutes tun und den Vater schonen, gleichzeitig aber hatte er damit nicht der Wahrhaftigkeit und der Aufrichtigkeit gedient, war nicht dazu gestanden, dass er als Priester „das erbarmungslose Gesetz seiner Kirche gebrochen“ hatte „und so der Ehrlichkeit seines Gewissens gefolgt“ war. „Meine Gedanken kreisten hartnäckig um ein lateinisches Diktum, das mich zugleich verklagte und entschuldigte: ,Facto pius sceleratus eodem‘, was besagt, daß der Mensch mit einem und demselben Tun zum Frommen und zum Ruchlosen werden kann. Ich weiß nicht mehr, auf welchen Dichter das Wort zurückgeht, nur daß es den Menschen unheimlich scharf gesehen hat. Fortan ging es mir nach und trug dazu bei, daß ich die Weltverfassung als von Hause aus unheimlich verstehen lernte. Da nun auch der Krieg mit all seinen Verstrickungen von Schuld und Recht den Erdkreis erfüllte, stellte sich mir das Thema ein, über das ich aus eigenem Bedürfnis und fremder Anregung zu schreiben begann. Was schließlich heraus kam, ist im Frühjahr 1917 in der Beckschen Verlagsbuchhandlung als ,Tragik im Weltlauf‘ erschienen.“4

      Geistig prägte Bernhart die Jenaer Studienzeit 1911/12, die Begegnung mit dem modernen Denken seiner Zeit. Weit gespannt sind die Beziehungen und Begegnungen des freien Schriftstellers – sie reichen von nationalkonservativen Kreisen um Paul Nikolaus Cossmann bis zu Thomas Mann. Nicht um Themen und Arbeit, wohl aber oft um die ökonomische Grundlage musste Bernhart in den Münchener Jahren seit 1913 bangen. 1934 zogen er und seine Frau ins schwäbische Türkheim, in das Elternhaus um, nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und um Konzentration zu finden für einige größere Vorhaben: In den Folgejahren entstand die Auswahl aus der „Summa theologica“ des Thomas von Aquin und die 1955 erschienene, mit sensibler Präzision und Sprachgewalt komponierte Übersetzung der „Confessiones“ von Augustinus. Überschattet waren diese Jahre von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft und des Krieges, nicht zuletzt aber von der schweren Krankheit und dem Tod (1943) seiner Frau. Sie war ihm Weggefährtin, kongeniale Mitarbeiterin, sie war die Künstlerin, Mahnerin und Trösterin, die ihn zu seiner vollen Schaffenskraft befreit, motiviert, getragen hat. Schon in dem Essay „Der eheliche Mensch“ (aus: „De profundis“, 1935) setzte er ihr ein Denkmal.

      Bernhart war ein Brückenbauer, ein Interpret und Übersetzer mit Empathie und Präzision, ein Theologe, der die biblische Botschaft ins Gespräch brachte mit im Katholizismus seiner Zeit gemiedenen oder verfemten Autoren wie Goethe und Nietzsche.

      Die Suche nach dem Sinn der Geschichte

      Der Seelsorger, Theologe und Historiker wurde angesichts der Trümmer zum Deuter der Geschichte, der zeitgeschichtlichen Ereignisse, ja der Geschichtlichkeit von Mensch und Schöpfung überhaupt. Bernharts Geschichtsverständnis wurde in „Tragik im Weltlauf“ in einem ersten Anlauf vorgelegt. In diesem Themenfeld bewegen ihn vorrangig die Fragen, wie man die dunklen Seiten des Geschichtsverlaufs aushalten kann, wie deren Sinnhaftigkeit durch das Stellen in eine höhere Ordnung aufzuweisen ist. Bernhart formuliert hier bereits 1917 sein Ringen um den Umgang mit dem zerbrochenen Sinn der Geschichte, die Trauer über Vernichtung und Trümmer, die die Ereignisse hinterlassen. Ihm ist deswegen vielfach Tragizismus unterstellt worden, ein Vorwurf, der nicht zu halten ist, wenn man den Ernst hört, mit dem Bernhart an vielen Stellen seiner Schriften die Bedeutung der ethischen Dimension in der Realisierung der christlichen Botschaft unterstreicht und gleichzeitig sein Ringen um die Klärung des Verhältnisses von Freiheit und Notwendigkeit, von Ewigkeit und Zeit kennt.

      „Tragik im Weltlauf“, „Sinn der Geschichte“, „Chaos und Dämonie“ und dazwischen noch der Ruf des „De profundis“ sind zentrale Schriften. Bernhart hat ohne Zweifel ein sehr feinfühliges Sensorium für die Zeitfragen und die subkutanen Probleme der Zeitgenossen, leidet er doch selbst nicht nur an den Erwartungen seiner Eltern, an dem Unausgesprochenen in seiner Familie, an der vielfach sich äußernden Machtdemonstration seiner Kirche, an den Grausamkeiten der Ideologien. Wie ein roter Faden durchzieht die Konfrontation des reichen geistesgeschichtlichen Erbes in der Geschichtsphilosophie und Geschichtstheologie mit den abgründigen Erfahrungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts sein Werk.

      In und nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges bezeichnete er zwar die Situation als eine, die die Menschheit sich selbst zum Rätsel mache, aber letztlich den Fragen der Theodizee keine neue hinzugefügt habe. Erschrecken bereite die Häufung des sittlichen und physischen Elends. Bernhart sieht eine Alternative, mit diesem Elend umzugehen, darin, dass der Mensch sich durch den Aufschwung in Illusionen rette. Er verurteilt diese Flucht nicht per se. Der Mensch könne sich aber auch, und diesem Lösungsweg gilt die Sympathie Bernharts, mit dem Mute wahrer Bildung dem Walten der Tragik im Weltgang nicht verschließen.5 Bernhart meint gerade nicht in eine Scheinwelt abzudriften, wenn er sich im Disput mit der Traditionslinie des Denkens des Tragischen befindet: mit Heraklit, Nikolaus von Kues, Johann Wolfgang Goethe, mit dem Prolog des Johannes-Evangeliums. Damit sind auch die Protagonisten angeführt: zum einen der menschliche Geist mit seinem Erkenntniswillen und der gleichzeitigen Einsicht in die Unzulänglichkeit eigener Erkenntnisfähigkeit im Gegenüber zur Wirklichkeit – und daraus resultierend die diskursive Struktur der Erkenntnis –, zum anderen der Logos, seinem Wesen nach ewig und deswegen tragisch in seinem zeitlichen Geschick unter den Menschen. Dreh- und Angelpunkt für die Schuldbewältigung ist nach Bernhart letztlich die Deutung des Christusgeheimnisses. Auf dieses Zentrum hin entfaltet er seine Antwort in diesem Bändchen: Es ist eine, die vorgegeben ist und ihren überzeugenden Ausdruck im Logos crucifixus findet, eine Antwort, die in ihrer tragischen Verfasstheit dem Duktus menschlichen Erkennens in den Bereichen von Geschichte, Natur, Mensch, Kultur und Kunst entspricht.

      Konsequenterweise befasst Bernhart sich im letzten Kapitel von „Tragik im Weltlauf“ mit dem Logos crucifixus. Und das nicht zuletzt in einer zumindest subkutan mitschwingenden Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche. Er stellt dem Kapitel den Vers aus einem alten Passionsspiel voran: „Oh große Not, Gott selbst ist tot.“ Noch deutlicher wird diese Antwort aus dem Johannes-Evangelium formuliert. „Das Kreuz als Zeichen der äußeren Vernichtung ist zugleich das Zeichen der Erhaltung der höchsten Werte und der inneren Bewahrung geworden. Aber diese Erkenntnis war nicht die Sache der Vernunft, sondern der persönlichen Erfahrung im Anschluß an den tragischen Logos, den man in Jesus sah.“6 Christus mit dem Kreuz erscheint als der Umwerter aller Werte.

      „Tragik im Weltlauf“ ist eine Warnung vor dem zum Übermenschen stilisierten Menschen, vor der Erklärung oder Hinnahme der Welt mit rein innerweltlichen Kräften. Sie ist vielleicht weniger eine Warnung vor dem Ende der Metaphysik, wenngleich sie auch das ist, als vielmehr ein Versuch, zwischen Neuscholastik und Idealismus mit dem Logos des Evangeliums, mit Augustinus und der Mystik eine Zwischenposition zu finden, jenen Antwort zu geben, „die in der allgemeinen Erschütterung der Dinge die Frage nach den Fundamenten unseres Daseins stellen“.