Название | Eigensinn und Bindung |
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Автор произведения | Daniel Hoffmann G. |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766641168 |
Auch wenn Hauptwerke des schwäbischen Dichters Konrad Weiß noch in einzelnen Ausgaben vorliegen, dürfte der Schriftsteller selbst inzwischen eher in Vergessenheit geraten sein. Nicht wesentlich anders verhielt es sich schon zu seinen Lebzeiten. 1880 in Rauenbretzingen bei Schwäbisch Hall geboren, arbeitete er in den Jahrzehnten seiner journalistischen und dichterischen Arbeit am Rande der deutschen literarischen Welt, vor allem als Kunstkritiker an den „Münchener Neuesten Nachrichten“, seit Karl Muth ihn 1920 aus der Redaktion der Zeitschrift „Hochland“ fortgeschickt hatte.1
Entäußerung des guten Lebens
Seinen ersten Gedichtband veröffentlichte Konrad Weiß 1918, also mit 38 Jahren. Über die Zeit davor wissen wir kaum etwas. Allerdings sind Studienhefte aus den Jahren 1909 bis 1915 und Tagebücher aus den Jahren 1914 bis 1919/20 erhalten; es waren Jahre der inneren Krise, aber auch der Synthese.2 Nach dem Abschied aus der Mitarbeit am „Hochland“ wandte er sich nun ganz der Lyrik zu.
Die Aufzeichnungen dieser Zeit, die bruchstückhaft waren, blieben für Konrad Weiß so wichtig, dass er in späteren Jahren immer wieder an ihnen weiterarbeitete. Festgehalten sind einzelne Begebenheiten des Alltags wie auch Erwägungen zu inneren und äußeren Erlebnissen, vor allem die Erfahrung des Dunkels und der Ferne Gottes. Was er schmerzvoll durchleidet, wird nicht nachträglich begrifflich systematisiert; er belässt es in seinem Mangel und in seiner unfertigen Bruchstückhaftigkeit. Vieles bleibt offen – „auf dem Wege“. Was ihn zutiefst bewegt, fasst Konrad Weiß am 29. September 1915 in folgende Worte:
„Es drängt sich mir bei Betrachtung der angesammelten Gedanken und unvollendeten Werke eine fast frevelhaft gegen die Unendlichkeit scheinende Lebensregel auf: Man darf nichts größer werden lassen als man selber in seiner Zeit gerade ist (solange es die Beziehung seiner Natur zur Geschichte betrifft), man darf die Einsicht nicht über die Kräfte und sich die Wahrheit Gottes in der Welt nicht über den Kopf wachsen lassen. Man darf nicht reifer sein im Geiste als in der Sünde seiner Natur.“3
Konrad Weiß verzichtet bewusst darauf, sein Leben in den Griff zu bekommen. Erstes Zeichen dafür ist 1904 sein Austritt aus dem Priesterseminar in Tübingen und später sein Weggang vom „Hochland“. Etwas von dem, das ihn zu diesem Schritt bewogen haben mag, scheint in der eher brüsken Feststellung auf:
„Das Christentum, daß man es nicht vergißt,/das Christentum ist ein Verein/zufrieden als ein Kreissegment,/beamtet und voll braver Seelen ...“4
Konrad Weiß beschreibt es als „Faulheit“, aufgrund derer einer sich nicht in das Leben gestellt sehen will, um nur ja aller Tragik zu entkommen, und weshalb sich einer lieber mit einer „abstrakten“ bzw. „ästhetischen“ Existenz begnügt. Doch selbst wenn Konrad Weiß bekennt, dass er immer wieder der Versuchung begegnete, sein Leben nicht in die Hand zu nehmen, handelt es sich bei ihm keineswegs um „faule“ Bequemlichkeit: „Erfahrung, daß keiner sich selber einholen kann und auch sein Nächster kann ihn nicht einholen.“5
Kein Mensch kann den Bauplan seines Lebens wie ein „Ideal“ konzipieren und gleichsam vorwegnehmen; doch der Sünder will in sich selbst stehen und seine eigene Mitte sein. Der Glaubende hingegen ist in seinem Tun reines Empfangen; er lässt sich durch Sünde und Reue zu Gott hindrängen. Konrad Weiß erkennt, dass ihm kein anderer Ausweg bleibt, als sein Dasein als „passive Passion“ zu ergreifen und zu leben, denn, so lautet seine eher zaghaft formulierte Frage: „Wie kann man Gott zuvorkommen?“6 In dieser Zeit der inneren Krise wie auch ihrer Überwindung wendet sich Konrad Weiß bewusst der Lyrik zu.
Zwischen Bild und Wort
Es ist nicht leicht, einen angemessenen Zugang zum Werk und zur Sprache von Konrad Weiß zu finden. So las Frau Weiß in Siedlinghausen immer wieder viele Stunden und Tage lang aus dem Werk ihres 1940 verstorbenen Mannes vor, um es anderen auszulegen und sie zu einem tieferen Verständnis zu führen. Auffällig für seine Gedichte sind versetzte Wortstellungen, sogar Verstöße gegen die gängige Sprache, Zersetzung des grammatikalischen Gefüges und Brechung des Sprachrhythmus, Wechsel der Perspektiven, Verfremdungseffekte, einzelne abgebrochene, unvollendete Sätze, unterschiedliche Strophenlängen. Kaum dürfte es gelingen, die von Konrad Weiß formulierten Verse in einer für alle Leser verständlichen Weise zu kommentieren, um sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das Besondere an Konrad Weiß ist sein Verständnis vom Auftrag des Dichters. In seiner Schrift „Vom Wesen der Dichtung“ beschreibt er in kurzen Worten, wie er seine eigene Sendung versteht: „Dichtung denkt nicht, sie findet sich in einem Sinne. Getrieben und gespiegelt geht sie die Spuren, in denen sie einen Weg findet zwischen Bild und Wort, einen Weg, als ob er von einem Sinne geplant sei (...) Die Blindheit muß sein wie ein Opfer. Sie kann nicht gedacht werden, aber sie bedeutet die Richtung und die Wahrheit des innersten Wortes.“7 Konrad Weiß verfasst mit seiner Dichtung ein Werk, das sich nicht in sich selbst („hermetisch“) verschließen will. Die Dunkelheit des Ausdrucks ist nicht gesucht und gewollt, sie ist etwas, was sich von selbst einstellt. Nicht Willkür ist es, die so sprechen lässt, auch keine ästhetische Selbstverliebtheit in irgendwelche sprachlichen Extravaganzen; alles kommt aus der Erfahrung, dass das, was der Dichter ins Wort zu fassen sucht, sich ihm selbst entzieht.
Das Dunkel des Wortes kommt weniger aus dem Dunkel einer tiefen seelischen Impression wie bei Georg Trakl, auch ist die Dunkelheit der Sprache nicht belastet mit der ungeheuren Tiefe seelischen Ringens und Kämpfens, selbst wenn vieles davon bei Konrad Weiß anklingen mag. Solche Dunkelheit erklärt sich aus der anderen, nicht allgemein vertrauten Erfahrung der „Erde“ und des Lebens, die sich intellektuell nicht gleich einholen lässt, weil sie als solche wohl einzigartig ist.
Aufgrund seiner ihm eigenen Erfahrung wendet sich Konrad Weiß entschieden gegen alle sich bloß auf die Tagespolemik einlassenden Schriftsteller, erst recht gegen jene, die sich einem „liberalen Idealismus“ anpassen wollen. Zurück bleibt die „Kreatur des Wortes“, die Erfahrung der endlichen und gebrochenen Wirklichkeit und Geschichte, nicht aber das System eines Geistes und einer Idee.8 Es gilt, in der Grammatik selbst einen Raum frei zu halten für die „Wortwerdung der Wahrheit“. In den „Nachgedanken“ heißt es: „Der allgemeine bürgerliche Geist arbeitet mit nebeneinander und gleichgestellten Begriffen. Er glaubt die Mittel zu besitzen, um welche Gott kämpft und die Schöpfung sinnt.“9
Den Willen, die Sprache gegenüber dem Geheimnis der Kreatur zu neutralisieren, erklärt Konrad Weiß mit dem Uranliegen der abendländischen Philosophie, die Wahrheit der Seinswirklichkeit definieren zu wollen. Statt Definition im System und Absicherung im Begriff geht es Konrad Weiß um Wortwerdung im Geheimnis der Kreatur, in dem ein letzter Rest verharrt, der sich nicht von der Logik einholen lässt. So wird der Kreatur ihr Schweigen, das sich nicht begrifflich ausdrücken lässt, belassen; sie verbleibt im Unaussprechbaren.
Verschiedenheit des Gegebenen
Konrad Weiß erfasst die Wahrheit abseits des bürgerlichen „Logos“ und des „liberalen Zustands unseres Bildungswissens“. Statt einer abstrakten „idealistisch-philosophischen Weltanschauung“ und dem klassischen Stil zu huldigen, wählt er die Sprache der Bibel, der Liturgie und der Mystik, um in der „Wirrnis und Unklarheit der Zeit“ etwas Festes zu finden.10 Der aufgeklärte Mensch plant und verplant sein Leben und die Welt, voller Stolz pocht er auf seine Autonomie. Doch Konrad Weiß wendet ein: „sich selber durch Enteignung aneignen, nur das erhält man, was man freiwillig verloren hat“.11
Gegen die „Wut des Gehirns“ setzt Konrad Weiß den „Schuldkern von Menschen und Dingen“. Niemals wird es dem Menschen vergönnt sein, den metaphysischen „Mangel“ seines Daseins zu beheben. Dieser Ansatz zeigt sich für Konrad Weiß schon in der Studienzeit als einzig möglicher. Es ist nicht der Ansatz der Neuscholastik, die mit theologisch-philosophischem Begriffsgerüst den Zugang zu Welt und Glauben eröffnet, ohne jede zeitgeschichtliche Verortung aus einer neuen Erfahrung des Glaubens.