Название | Eigensinn und Bindung |
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Автор произведения | Daniel Hoffmann G. |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766641168 |
Gegenüber Aufklärung und Idealismus zeigt sich für Konrad Weiß eine andere Weltlichkeit der Erde und des Geistes. Alles beginnt damit, dass der Mensch sich in seinem Dasein als hin- und hergerissen erfährt. Unentwegt steht er in ausgesetzten und spannungsgeladenen Positionen. Er gerät in eine leidvolle Zerreißprobe, die durch die human-autonome Selbstverwirklichungsthese wohl überspielt, aber nie beseitigt werden kann. Die Erfahrung von Schuld und Sünde ist das Signum aller Kreatürlichkeit in den Spannungen von Welt und Heil, Geschichte und Reinheit.
Was Konrad Weiß auf seinem Lebensweg zunächst als Krise des Übergangs von der „Jugendempfindung“ zur „Mannesaufgabe“ erfahren und in der Studienzeit als das Ungenügen der Idee und des Begriffs erkannt hat, wird ihm später in seinem dichterischen Werk immer deutlicher zum Ausdruck geistiger Wirklichkeit:„Wie lange man braucht, um vom Theologischen, Begrifflichen loszukommen!!“27
Die geistige Wirklichkeit wird nicht dargestellt in einer Theorie und Spekulation, sondern abgelesen und entdeckt im Erleben der Natur. Schon in der Begegnung mit einer Krähe oder einem Spatzen zeigt sich dem Dichter ein tieferer Hintergrund und eine verborgene Weisheit: Die Welt ist Gleichnis eines umfassenden Sinnes – „das Ganze lebt aus den Teilen“, und die Teile tragen den Sinn des Ganzen zusammen.28 Das Ganze lebt sich stets erobernd aus den Teilen, nicht sind die Teile umgekehrt aus einer „idealen“ Ganzheit herzuleiten. Dieses „dividuale“ Grundgesetz des Christentums steht jedem integralen Denken des Klassischen und Idealistischen entgegen. Die Geschichte „bricht“ alles Irdische, und in den „Frakturen“ und „Fragmenten“ wird das Lebendige sichtbar, das mehr ist als eine „Idee“. Der Mensch „kann nur mit dem arbeiten, was ihm mangelt“.29 Das „Frakturhafte des unvergleichlichen Einzelschöpfungssinnes“30 gilt es zu stärken gegenüber harmonisierenden Tendenzen der Idee und Selbstvollendung.
Ähnlich wie bei der Droste werden auch bei Konrad Weiß Naturgedicht und geistliches Gedicht eins, denn die Natur ist für ihn transparent für die geistige Wirklichkeit. Beide, Natur und Geist, haben zwar ihr Eigengewicht, aber sie stehen zueinander in einem Gleichgewicht. Ja, die inneren Kämpfe um Dasein und Leben treten in der Natur nach außen und nehmen dort eine fassbare Gestalt an. Dies erkennt, wer seinen Blick auf das Einzelne lenkt. Nicht das Gesamtgefüge, sondern die einzelnen Dinge lassen den Menschen die in ihnen verborgene geistliche Wirklichkeit der Schöpfung erkennen.
In der äußeren Wirklichkeit lernt der Mensch, die geistigen Tiefenschichten seines Lebens zu erfassen. Im Umgang mit den Dingen des Lebens und der Natur erschließt sich ihm zunehmend seine eigene innere Wirklichkeit und Befindlichkeit; so wird er bereit, sich immer mehr in den eigenen inneren Kern führen zu lassen. Dabei brechen in ihm die Erfahrungen seiner Ohnmacht und des Leidens auf, gepeinigt von heftigem Sehnsuchtsverlangen. Konrad Weiß erfährt als christlicher Dichter die Natur aus der Seele, nicht umgekehrt die Seele aus der Natur. Diese kann nicht das Letzte sein, denn sie kann den Menschen nicht erlösen und befreien. Der Mensch ist also nicht wie bei den Romantikern ein Objekt bzw. Opfer der Natur, in Bann genommen von ihrer Macht und Mächtigkeit. Für Konrad Weiß ist die Natur ein Teil des Menschen selbst: „Diese ganze Kreatur ist im Menschen, ja vielmehr ist der Mensch.“31
Die Natur ist durch den Menschen empfangend, nicht aber wirkend, sie ist unser Widerhall. Da die Vollendung des Einzelnen sich nur in der Gemeinschaft mit dem Menschgewordenen ereignet, vollendet sich die Natur als Teil des Menschen durch diese Gemeinschaft und darin wieder durch die Kirche. Nur in Maria ist die Natur eine heile, sie ist das Urbild des „jungfräulichen Inbildes“ der Geschichte, wo die Kirche reine Braut des Wortes ist.
In der Moderne ist die Bild- und Wortform der Kreatur gebrochener, doch im Echo schwingender, wie Konrad Weiß am Werk Vincent van Goghs darzustellen weiß. Es scheint, dass, je mehr der Mensch gegenwärtig bereit ist, sich die geschichtlichen Sinnkräfte anzueignen, er auch erkennen muss, dass sein Leben nicht ohne Tragik gelingen kann.
So muss sich der Mensch von Wort zu Wort und von Bild zu Bild begeben, ohne je einen als ideal erfassten Stand der Vollkommenheit zu erreichen; alles im Dasein auf Erden scheint zwischen Sehen und Hören nicht mehr aufzugehen:
„Tue in allem das Gegenteil und das Gegenteil des Gegenteils. Dies ist das Geheimnis des Schattens und des Lichtes. Denn so groß ist kein Mangel wie Gottes Ankunft und du bist immer noch zu viel.“32
Gebunden an seine Urbeschränkungen, besonders die von Zeit und Raum, und angeschmiedet an die Erde und ihre Gezeiten, wird der Mensch lernen müssen, den Zwang des Geschicks als seine große Möglichkeit zu ergreifen. Den Mangel aushaltend, hat er die Begrenzung zu bejahen, die sein Dasein ist und die er nicht verspielen darf.
Erfüllung des Weges
Die Kreatur ist und bleibt „geteilt“ („dividuum“). Sie findet ihre Ergänzung und letzte Erfüllung nur, wenn jede eigenwillige Erkenntnis zerbricht und der Mensch bereit wird, sich in erneuerter Erkenntnis zu empfangen. Selbst die christlichen „Begriffe“ machen nicht satt, sondern hungrig, weil sie in sich selbst gespalten bleiben. So erscheint die Welt wie geteilt in ihrem letzten und tiefsten Grund; mit sich selbst uneins, bleibt sie reiner Mangel.
Nicht anders verläuft für Konrad Weiß der Weg zur Wahrheit menschlichen Lebens. Sie lässt sich nicht wie ein Begriff oder System in der Lehre der Universität, nicht idealistisch erfassen, sondern nur geschichtlich, beladen mit aller Not und Schicksalhaftigkeit der Geschichte und ihrer Stunde. Er will nicht aus den Geschehnissen zeitlose Ideen retten, sondern sich dem großen Mitleiden der Zeit hingeben, beladen mit ihrer Not. Sein Denken wendet sich bewusst von aller Idealität ab, um sich ganz der Sprache der Inkarnation zu verschwören. Im Leben des Glaubens geht es um gestalthafte Ausprägung jenes in der Geschichte offenbar gewordenen In-Bildes,33 wie es im Menschensohn sichtbar geworden ist. Den Weg dahin beschreibt Konrad Weiß in seiner „Cumäischen Sibylle“. Der Mensch kann das im Paradies verlorene göttliche Bild niemals durch eigenes Wollen wiederherstellen; steigt er aber vom Berg seiner Selbstherrlichkeit herab in die dienende Demut des kreatürlichen Geistes, wird er alles in seinem Dasein „filioque vermittelt“ erfahren und empfangen.34
Hier wird nochmals deutlich, warum Konrad Weiß das scholastische Denken und seine Vorstellung vom Leben im Glauben ablehnen muss, denn die Schultheologie stellt alles unter das Gesetz der „Analogie“, also eines Verhältnisdenkens, das den Abstand, den es unmittelbar zwischen Schöpfer und Geschöpf gesetzt sieht, nur moralisch zu überbrücken versteht. Heißt es in der Heiligen Schrift: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“, so meint die Scholastik, dies sei auf „analoge“ Weise zu verstehen, da der Mensch nur auf begrenzte Weise vollkommen werden könne; allein der Vater im Himmel ist vollkommen. Aber ein solches Denken, das meist in dem moralischen Appell endet: „Strengt euch an, damit ihr vollkommener werdet!“, nimmt die irdische Kreatur nicht derart ernst, wie der Schöpfer aller Dinge sie offensichtlich ernst genommen hat, da er ein solches Wort sagt. Seine Weisung: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ will zum Stachel der leidenschaftlichsten, „neidvollen“ Form irdischer Existenz werden. Nun sieht sich der Mensch unmittelbar in Vergleich, in „Komparation“ gesetzt zu jenem, der ihn an seiner Vollkommenheit teilhaben lässt. Im Prosatext „Dunkel des Blutes“ führt Konrad Weiß zu diesem „Gesetz der Komparation“ aus:
„,Lebe aus deiner geringsten Kraft.‘ Erkenne das Tun des Blutes; es hat keine Wahl im Geiste, sondern nur in der Erfüllung des Weges. Das Wort und das Blut bilden eine nahtlose Fügung. Empfangen durch das Auge im stummen Vorübergang des Wesens wird das Menschliche abgetrennt, um seine Ausgeburt im Dunkel zu vollbringen. Durch Schwere steigt das Dunkel im Lichte. Rettung liegt in allen Dingen und in der Kraft ihrer Namen. Aber nichts wird erkannt, bevor ihm nicht die Tat des Blutes gedient hat. Es ist Abtrennung. Erkenne diese Macht, der Reinheit zuvorzukommen. Aber die Treue bricht den Weg in meine Maße.“35
Ein Geschichtsverständnis, wie es sich in der Kunst und erst recht im Leben des Glaubens darstellt,