Der Teufel. Ute Leimgruber

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Название Der Teufel
Автор произведения Ute Leimgruber
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766641243



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Geister und Dämonen. Spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre ist ein Aufflammen okkulter Phänomene und Thematiken zu erkennen, sei es in esoterischen oder spiritistischen Zirkeln oder in dezidiert okkulten Kreisen. Die Moderne setzt also vielerorts auch eine Suche nach mehr als Faktizität, Rationalität und Funktionalität in Gang. Offensichtlich haben die Großkirchen diese Suche nach religiöser Verortung nur ungenügend beantwortet, das dadurch entstandene (Sinn-)Vakuum in postmoderner Unsicherheit wird von dubiosen Sekten und ernsthaften Selbstfindungs- und Meditationsseminaren gleichermaßen ökonomisch verwertet: Wenn der Markt für religiöse Befriedigung mit okkulter Ausrichtung auch im täglichen Geschäft des Gesellschaftsbetriebs nebensächlich zu sein scheint, so ist er offensichtlich noch lange nicht gesättigt. Ob nun in der Esoterik der Blick in erster Linie auf positive Mächte oder wie im Okkultismus auf böse Geister gerichtet wird: Die Faszination am Transrationalen, am Metaphysischen und Übersinnlichen scheint ungebrochen – und mit dieser Faszination ist ein gutes Geschäft zu machen.

      Mit dem Okkultismus verbunden, aber dennoch davon abzugrenzen ist der Satanismus. Dieses Phänomen ist ein nur schwer definierbares, und selbst Experten und Expertinnen widersprechen sich in der Beschreibung und Beurteilung von satanistischen Szenen und Gruppen: Von harmloser Protestjugendkultur bis zu gefährlichen Ritualkulten, von unschädlicher Musikströmung über Schwarze Messen hin zu Tier- und Menschenopfern reicht die Spannbreite in der Beschreibung. In der Tat ist der Satanismus ernst zu nehmen, seine psychischen und physiologischen Folgewirkungen sind nicht zu vernachlässigen. Doch allzu oft erscheint Satanismus als Projektionsfläche gieriger Sensationslust und unseriöser Spekulationen, die genährt werden von Vorfällen wie dem sog. „Wittener Satanistenmord“ im Juli 2001, als ein Ehepaar einen Menschen unter Verwendung satanistischer Symbole tötete.

      Im Satanismus manifestiert sich ein jahrhundertealter Satanskult, dessen Wurzeln Antithesen zum christlichen Kult sind. Von Beginn dieser Strömung an wollte man gegen das Christentum aufbegehren, das man auf die scheinbar spezifische Grundlage, den Gegensatz Gott – Satan reduzierte, sodass die satanistische Bewegung ursprünglich auf der Rebellion gegen die etablierte Religion und Kirche gründet. Geprägt ist die Sprache des Satanismus in allen seinen Ausprägungen von martialischem Vokabular, Hauptakteur ist der Teufel, das Biest, der Antichrist, der Satan. Der moderne Satanismus des 20. und 21. Jahrhunderts und seine zahlreichen subreligiösen Versionen lassen sich vielfach zurückführen auf Aleister Crowley (1875 – 1947) und seine Ideen und Schriften. In Crowleys „Offenbarungsbuch“ Liber Al Vel Vegis, dessen Inhalt ihm angeblich 1904 in Kairo von einer jenseitigen Wesenheit namens Aiwass mitgeteilt wurde, steht der zentrale und immer wieder zitierte Satz, ein Aufruf nach absoluter und völlig autonomer Durchsetzung der eigenen Interessen und Begierden, nach schrankenlosem Sich-ausleben: „Es gibt kein Gesetz, außer tue, was du willst“ (Erster Teil, 40). Crowley versteht sich selbst als „wahrer Gott vom wahren Gott“ und folgerichtig bezeichnet er sich in dieser Selbstvergottung als die Inkarnation Satans und im Anschluss an das biblische Buch Offenbarung Kap. 13 als The Beast 666.

      Stark beeinflusst durch das Denken Crowleys sind Charles Manson, der Gründer der Final Church, der in den späten 1960er-Jahren durch sexuelle Kultorgien und Ritualmorde bekannt wurde, und der Gründer der Church of Satan, Anton LaVey (gest. 1997). Einen Einblick in das Gedankengebäude der Kirche Satans vermag das folgende „Glaubensbekenntnis“ zu geben:

      „1. Satan verkörpert Befriedigung von Begierden anstelle von Abstinenz. 2. Satan verkörpert vitale Existenz anstelle spiritueller Hirngespinste. 3. Satan verkörpert reine Weisheit anstelle scheinheiliger Selbsttäuschung. 4. Satan verkörpert Gefälligkeit gegenüber denen, die sie verdienen, anstelle von Liebe, die an Undankbare verschwendet wird. 5. Satan verkörpert Rache anstelle des ,auch die andere Wange Hinhaltens‘. 6. Satan verkörpert Verantwortung gegenüber den Zurechnungsfähigen statt Besorgnis um seelische Erpresser. 7. Satan verkörpert alle sogenannten Sünden, weil sie alle zu körperlicher, geistiger oder gefühlsmäßiger Befriedigung führen …“

      Es wird deutlich, dass es um radikalen Protest gegen das Christentum geht, um völlige Ablehnung der christlich geprägten Erziehung und Kultur. Das absolut Böse, das Satan eigentlich verkörpert, wird vernachlässigt bzw. zum Guten pervertiert, da das, was sich selbst als Gutes darstellt und seinen Gott als absolut gut propagiert, abgelehnt wird – eine Umwertung der Werte findet statt. Satanistische Gruppierungen sehen sich so in der Fundamentalopposition zu einer Gesellschaft, in der sie aber zwangsläufig leben und – wollen sie überleben – sich relativ anpassen müssen; der destruktive Charakter ist in diesem Paradoxon begründet.

      In seiner extremen und zur Schau gestellten Antikirchlichkeit und Antichristlichkeit bleibt der Satanismus – nicht nur in seinem Vokabular – auf das Christentum verwiesen, denn ohne dessen Existenz wäre ein satanistischer Tabubruch gar nicht möglich. Satanismus in fast all seinen Variationen ist also (in Parallele zu jeder anderen Religion!) für die Praktizierenden ein weltanschauliches System, das eine eigene Anthropologie wie auch Kosmologie und mit der Satanologie eine pervertierte Theologie bereithält. Seriöse Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind sich einig, dass das Phänomen des Satanismus weder dramatisiert noch bagatellisiert werden dürfe. Die magische Faszination, die von der Quasi-Selbstvergottung und absoluten Autonomie ausgeht, die der Satanismus verspricht, die satanistischen Rituale und die entsprechende Musik sind zumeist exzessiv und destruktiv – unkontrollierbare teuflische Bedrohungen sind sie hingegen in den meisten Fällen nicht.

      1. Jahwe und das Böse im Alten Testament

      Das Alte Testament bietet die Basis für die Teufelsvorstellungen des Christentums – doch wäre nichts fataler, als die alttestamentlichen Texte als Vorlage für eine einfache Erklärung zu verwenden. Die alttestamentlichen Texte präsentieren verschiedene Figuren, die für das Böse stehen. Ein Beispiel ist das Buch der Weisheit; hier wird die Schlange der Paradieseserzählung mit dem Teufel identifiziert:

      „… durch den Neid des Teufels [Schlange] kam der Tod in die Welt“ (Weisheit 2,24).

      Die Schlange bzw. der Teufel wird charakterisiert als das todbringende Böse; mit Merkmalen, die spätere Traditionen auch anderen Bildern vom Bösen verliehen haben: Das Böse existiert außerhalb des Menschen, es ist dem Menschen vorgegeben und es ist von Gott geschaffen.

      Das Volk Israel erfuhr sich im Laufe seiner politischen und sozialen Geschichte immer wieder als massiv bedroht, und so entstand in der Prophetie die Vorstellung einer widergöttlichen Figur. Diese war ursprünglich Gottes gutes Geschöpf, wandte sich aber irgendwann gegen ihn. Die Folgen dieses Aufstands gegen Gott drückte man aus in einem mythischen Bild, das übrigens auch in anderen Zusammenhängen gebraucht wurde: ein Sturz aus der Höhe. Eine Stelle im Prophetenbuch Jesaja schildert, wie der Sohn der Morgenröte, Helal, wegen Hochmuts in den Abgrund gestürzt wird:

      „Ach, du bist vom Himmel gefallen, du strahlender Sohn der Morgenröte … In die Unterwelt wirst du hinabgeworfen, in die unterste Tiefe“ (Jesaja 14,12 – 15).

      Der gefallene Helal wird mit dem Morgenstern identifiziert. Der Morgenstern aber hieß in der Antike auch Luzifer. Nun assoziieren der heutige Leser und die heutige Leserin mit Luzifer sofort den Teufel. Doch dauerte es einige Jahrhunderte, bis Luzifer-Helal, der gestürzte Sohn der Morgenröte, mit dem gestürzten Engel der christlichen Teufelsüberlieferung gleichgesetzt wurde. Bemerkenswert ist, dass in frühchristlicher Zeit – also noch vor dieser Gleichsetzung – Christus mit Luzifer, dem Morgenstern, verglichen wurde; Luzifer war sogar ein beliebter Taufname. Erst im Laufe der ersten nachchristlichen Zeit wurde Jesaja 14,12 – 15 mit einer Stelle aus dem Lukasevangelium (10,18) verknüpft, wo Jesus sagt, er sah Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen (ausführlich dazu im Abschnitt über das Neue Testament). Dieser Satan galt bald als gestürzter Engel – und Luzifer wurde zur Bezeichnung des Teufels.

      Doch was steht hinter der Vorstellung, Luzifer/Satan sei ein gestürzter Engel? Der sogenannte Engelssturz war in der damaligen Vorstellungswelt allgemein bekannt. Als einstiger Lichtträger (= lat. Lucifer) begnügte sich der erste der Engel nicht mit der Gottähnlichkeit,