Mycrofts Auftrag. Beate Baum

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Название Mycrofts Auftrag
Автор произведения Beate Baum
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946938392



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Aber wir können den Professor vor Morakis’ Schlägern erwischen. Bis acht Uhr – also natürlich bis Viertel vor acht – hält er einen Vortrag im Rahmen der Sommeruniversität. Davor gab es Tee in der Great Hall des Christ Church College. Seit etwa halb fünf war Presbury ständig von Menschen umgeben.«

      Sie hatten bereits wieder die Cromwell Road erreicht. Direkt gegenüber lag das Museum.

      Nun war es an John aufzuseufzen. »Okay, dann holst du jetzt aber noch schnell zwei Sandwiches und einen Kaffee für mich aus dem Museumscafé, während ich Mary anrufe.«

      *

      Kaum waren sie auf der Autobahn, schloss Sherlock die Augen und schien wenige Minuten später tatsächlich in einen unruhigen Schlaf gefallen zu sein. Als Arzt war John froh, dass der Körper des Freundes sich die dringend nötige Ruhe holte, als Mensch einfach neidisch. Trotz des Kaffees fühlte er sich so müde wie seit Jahren nicht mehr. aber natürlich würde er die ganze Strecke fahren. Hin und zurück. Hatte Sherlock überhaupt einen Führerschein? John bezweifelte es. Während er gegen das Zufallen der Augen ankämpfte, fuhr er so schnell wie nur möglich, blieb stets knapp über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Zum Glück war die M40 frei; es hatte viel zu lange gedauert, aus London herauszukommen. Mittlerweile war es schon fünf vor sieben und er wusste, wie eng und verwinkelt Oxford war, dass es schwierig bis unmöglich werden dürfte, einen Parkplatz zu finden.

      Kaum eine Viertelstunde später war Sherlock wieder wach. Er fingerte in seiner Hosentasche nach den Tabletten von Boots und schluckte zwei. Ein Blick zur Seite zeigte John, dass es ihm alles andere als gut ging. Die Stirn glänzte vor Schweiß, er zitterte und kämpfte offensichtlich gegen Brechreiz an. Auf die Frage, ob er links heranfahren sollte, erntete John jedoch bloß ein angedeutetes Kopfschütteln. Ein weiteres Mal versuchte Sherlock, die Entzugssymptome durch Konzentration zu überwinden und als sie um halb acht das Oxforder Stadtgebiet erreicht hatten, schien es ihm gelungen zu sein. Oder sie waren einfach vorbei – für den Moment.

      »Nimm hier die Umgehungsstraße, wir fahren von Norden in das Collegegebiet hinein«, wies er John nach einem Blick auf die Landkarte, die er auf seinem Smartphone aufgerufen hatte, an, als sei nichts gewesen.

      »Du hast dir seit einiger Zeit mehr als den einen Fix zum Einschlafen verpasst«, diagnostizierte John im gleichen nüchternen Tonfall. Während er nach rechts abbog suchte er den Blick des Freundes.

      »Seit ein paar Tagen.« Sherlock schaute geradeaus.

      Obwohl er dachte, dass sie das Unternehmen auf der Stelle abbrechen sollten, beschleunigte John den Wagen auf der Geraden wieder. »In einer Klinik könntest du substituiert werden.«

      »Jetzt links.« Sherlock machte eine Pause, noch immer sah er ihn nicht an. »Wenn ich dich anbettle, dass ich etwas brauche, kannst du mich sofort einweisen lassen.«

      Nach einem Wohngebiet tauchte auf der linken Straßenseite das Grün eines Cricketplatzes auf.

      »Okay«, sagte John, der dachte, dass es ganz und gar nicht okay war.

      »Hier ist es gleich schon. Das naturgeschichtliche Museum. Presbury ist Vorsitzender der Gesellschaft. Ein überaus angesehener Wissenschaftler, die Familie hat Geld. Auf den ersten Blick würde man nicht denken, dass er sich mit jemandem wie Morakis einlässt.« Sherlock hatte sich auf dem Beifahrersitz kerzengerade aufgerichtet, er wirkte sprungbereit. »Kannst du hier parken?«

      »Hat dir schon einmal jemand erklärt, wofür diese zwei gelben Linien stehen?«, fragte John zurück.

      »Nein, du weißt doch, ich war an dem anderen Ort«, gab der Detektiv zurück und John stand kurz vor einem nervösen Lachausbruch.

      »Halteverbot gibt es auch in Cambridge«, sagte er und stieß in eine Einfahrt neben dem Museum, quetschte das kleine Auto so weit an den Rand wie möglich und hoffte, dass sich in der nächsten Zeit niemand daran stören würde.

      »Professor Presbury hat uns persönlich gebeten zu kommen«, behauptete Sherlock am Eingang des an eine alte Bahnhofshalle erinnernden Gebäudes. Der Angestellte dort wollte wohl so kurz vor Schluss der Veranstaltung niemanden mehr einlassen.

      Kurz darauf standen sie in einer hohen, von einer Stahlkonstruktion getragenen Halle. Das Dach war verglast, wodurch das Gebäude wie ein gigantischer, viktorianischer Wintergarten wirkte. In der Mitte ragten Dinosaurierskelette auf, links und rechts gesäumt von Ausstellungsvitrinen. Da der Raum voller Menschen war, herrschte eine fast unerträgliche Hitze. Über Lautsprecher hörte man die angenehm dunkle Stimme des Mannes, den John mit Mühe am anderen Ende der Halle ausmachte, wo er auf einem kleinen Podest stehen musste. Er betonte die hohen Kosten für die Konservierung von naturgeschichtlichen Exponaten und bat die Gäste um reichhaltige Spenden für das Museum. Es waren offenbar schon die Schlussworte.

      Der schlanke Mann sah genauso aus, wie man sich einen Professor vorstellte, war höchstens etwas besser gekleidet, sofern man das über diese Distanz beurteilen konnte.

      Auf der Suche nach Männern, die in Morakis’ Auftrag unterwegs sein könnten, durchforstete John die Menge mit Blicken; es war aber einfach zu voll. Diejenigen, die er in Augenschein nehmen konnte, wirkten, als wenn sie auf solch eine Uni-Veranstaltung gehörten: Relativ gut, aber eher nachlässig gekleidet; distinguiert, aber nicht vornehm.

      In diesem Moment hatte Presbury seinen Vortrag beendet, die Anwesenden applaudierten und Sherlock begann, sich einen Weg nach vorn zu bahnen. Schmal und wendig, wie er war, schaffte er es mit ein paar gemurmelten Entschuldigungen schnell gegen den Strom. John wurde ein wenig abgedrängt und sah auf einmal, wie sich von rechts zwei Männer, die auch in der Portiers-Lounge von Parkside hätten sitzen können, herandrängten. Schnell änderte er seinen Kurs, sodass er zwischen den beiden und Sherlock war, behielt sie im Auge. Sie waren nicht so schnell wie der Detektiv, aber ähnlich zielstrebig.

      Sherlock stand nun fast vor dem Wissenschaftler, der von älteren Herrschaften umringt war, zweifelsohne Förderer des Museums. John bewegte sich auf sie zu, ohne die breitschultrigen Männer in den dunklen Anzügen aus den Augen zu lassen.

      »Professor Presbury, ich muss mit Ihnen über Adrianós Morakis sprechen«, überfiel der Detektiv den älteren Mann in dem Moment, als John zu ihm aufgeschlossen war.

      Die Umstehenden taxierten ihn irritiert, die Reaktion des Angesprochenen war jedoch eindeutig. Ohne ein Wort herauszubringen starrte er Sherlock an. Er hatte Angst.

      »Können wir irgendwo ungestört reden?«, fragte John, der Sherlock mit Blicken zu signalisieren versuchte, dass zwei von Morakis’ Schergen hinter ihnen waren.

      »Natürlich. Sie entschuldigen uns?« Der Tonfall des Professors blieb höflich, aber er drehte sich sehr abrupt um und verließ die Gruppe, ging voran in einen sich anschließenden Ausstellungsraum.

      John unterzog die Anlage des Raums einer schnellen Untersuchung. Zum Glück gab es bloß die Tür, durch die sie gekommen waren und die er nun sorgsam schloss, sich schwer dagegenlehnte in der Hoffnung, dass die Schläger die Aufmerksamkeit scheuen würden, die ein gewaltsames Eindringen nach sich ziehen würde.

      Der Professor war inmitten von Vitrinen voller Mineralien stehengeblieben, er schaute Sherlock an wie das Kaninchen die Schlange.

      »Auf einen anderen Strohmann Morakis’ wurde vor zwei Stunden ein Mordanschlag verübt«, sagte der Detektiv. »Sie sollten in Ihrem eigenen Interesse mit uns kooperieren.«

      »Was? Ich …«, stammelte der Mann.

      »Sie haben sich ein wenig gelangweilt, richtig? Und ein bisschen mehr Geld hätten Sie auch gebrauchen können – mit Familie hier und einer jungen, anspruchsvollen Geliebten in London!« Sherlock ratterte die Worte herunter. »Also taten sie das, was so viele tun: Sie spekulierten mit Immobilien. Und wie so viele verloren auch Sie Ihr Geld mit Einbruch der Krise. Aber damit wollten Sie sich nicht abfinden, nicht wahr? Und dann war da dieser Makler, der Kontakte zu Morakis hatte.«

      Jemand versuchte die Tür zu öffnen, kraftvoll, aber nicht so, dass John nicht hätte gegenhalten können.

      »Der suchte renommierte Leute für