Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre. Dennis Schütze

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Название Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre
Автор произведения Dennis Schütze
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870448



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Personalstil (Beispiel für eine Ausnahme wäre z.B. das zweite Solo von „Rock around the clock“ von Bill Haley and His Comets). In der Praxis ist die Trennlinie zwischen den Begriffen Riff und Lick bzw. Signature-Lick manchmal unscharf und stehen sich nicht etwa unvereinbar gegenüber. Ein Beispiel aus der Ära des Rock and Roll, auf das beide Begriffe zutreffend angewendet werden könnten, ist das Begleitriff und gleichzeitig unverkennbare Signature-Lick von „Susie Q“ in der Version von Dale Hawkins mit James Burton an der Gitarre.

      Nbsp. 4: Intro - „Susie Q“ (Dale Hawkins, 1957)

      Sowohl einfache Licks als auch die mit einer bestimmten Person assoziierten speziellen Signature-Licks entstammen meist einer oder mehrerer bereits bestehender Spieltraditionen und erhalten durch eine zusätzliche Besonderheit des Spielers einen individuellen und damit unverwechselbaren Charakter. Die musik-etymologische Herkunft und originäre Besonderheit solcher Licks zu bestimmen, wird Inhalt des dritten Teils dieser Arbeit sein. Vorausgeschickt werden darf an dieser Stelle, dass die Zeichnung einer Signatur sich auf verschiedensten Ebenen manifestiert und eine nähere Bestimmung daher über die gängigen musikanalytischen Parameter wie Melodieführung, zugrundeliegende Harmonik und Rhythmik hinausgehen wird.

      Eine grundsätzliche Prämisse dieser Arbeit ist, dass musikalische Stilrichtungen, Personalstile oder andere charakteristische Merkmale eines Genres wie instrumentale Licks oder Signature-Licks nicht aus dem Nichts entstehen. Vielmehr sind diese, zu einem bestimmten Zeitpunkt von Zeitgenossen als neuartig empfundenen, klanglichen Manifestationen grundsätzlich Ergebnisse langwieriger, komplexer und zum Teil unbewusst ablaufender Entwicklungsprozesse. Dieser Umstand lässt sich damit begründen, dass kein Mensch ohne sozio-kulturellen Kontext aufwächst, sondern spätestens ab der eigenen Geburt mit den determinierenden Bedingungen seiner Zeit, seines Wohnorts, der Gesellschaft, seiner Familie, Freunde usw. konfrontiert ist. Egal ob dem Einzelnen die musikalischen Gepflogenheiten, Hörgewohnheiten oder spielerischen Traditionen später gefallen oder nicht so sind sie doch für die ersten Jahre eines Menschenlebens fundamentale und somit in höchstem Maße konstituierende Bedingungen. Auch eine später eventuelle radikale Abkehr von solchen eigenen kulturellen Wurzeln ist trotzdem dem intuitiven Wissen um sie geschuldet (Gembris 1998). Ausgehend von dieser Überlegung erscheint es interessant, die Herkunft eines eng gefassten musikalischen Genres und die Bezüge innerhalb dieses Genres zu erforschen. Diese Aufgabe kann aus verschiedenen investigativen Richtungen angegangen werden. Ist das Forschungsobjekt an eine bestimmte Person gebunden, wird dabei die regionale Herkunft des Urhebers, die Umstände seiner kulturellen Sozialisation, sein Zugang zu Lehrern, Mentoren oder musikalischen Vorbildern eine Rolle spielen.

      Für eine solche Betrachtung ist es erforderlich, ein Grundwissen von den populären amerikanischen Gitarrenspielweisen aus der Zeit vor den ersten kommerziellen Erfolgen des Genres Rock and Roll zu haben. Die aus gitarristischer Sicht fundamentalen und allgemein bekannten Spielweisen der Jahre von etwa 1930 bis etwa 1950 werden im Folgenden anhand von repräsentativen Beispielen mit Erläuterungen dargestellt (Sokolow 1998, Rubin 2005).

      „I can’t think of single western [movie] in which a song sung to a piano means a damn thing.“ (Brookes 2005, S. 144)

      In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind auf dem Territorium der USA einige essentielle gitarristische Spieltraditionen entstanden, die im Folgenden kurz beschrieben werden sollen. Die große Popularität der Gitarre in der nord-amerikanischen Musik ab den 1920er Jahren hängt aus musikhistorischer Sicht eng zusammen mit einigen Innovationen im Gitarrenbau und dem Wechsel der Bespannung von Darmsaiten zu den lauteren, verstimmungsfreieren und brillianter klingenden Stahlsaiten (bei Martin Guitars ab ca. 1921). Hiermit beginnt die Abkehr vom viersaitigen Tenorbanjo als dem Standard-Akkordinstrument in den populären Stilen Dixieland, Swing und Folk hin zur sechssaitigen, akustischen Gitarre als dem neuen Standard (Schwab 1998). In den 1930er Jahren entstehen in Folge dieses Wandels einige einflussreiche und fundamentale Spielweisen, die das nordamerikanische Gitarrenspiel über Jahrzehnte prägen werden. Im Allgemeinen wird jede dieser Spielweisen mit jeweils einem prominenten Vertreter in Verbindung gebracht und einige sind in Folge dessen nach eben diesen Repräsentanten benannt.

      American Folk: Carter Style (Carter Scratch)

      Die Sängerin und Gitarristin Maybelle Carter (1909-1978) spielt bei den ersten Aufnahmen der Carter Family im Mai 1928 bzw. Februar 1929 erstmals im später sogenannten Carter Style oder Carter Scratch. Die Spielweise kann in begleitendes und solitisches Spiel unterteilt werden. Während der Gesangsbegleitung werden einzelne Basssaiten mit einem aufgesteckten Daumenpick gespielt (meist Grundton auf Zählzeit 1, Quinte auf Zählzeit 3) und auf den Diskantsaiten mit Zeige- und/oder Mittelfinger der rechten Hand im Strummingstil (auf Zählzeiten 2 u. 4) begleitet.

      Mitunter wurde diese einfache Begleitung mit einem zusätzlichen Aufwärtsanschlag in der rechten Hand zu einer durchlaufenden Achtelfigur verdichtet:

      Das solistische Spiel wird in dieser Spielweise bei Intros, Zwischenspielen, Soli und Endings eingesetzt. Dabei werden einstimmige Bassläufe oder Melodieteile auf den tiefen Saiten der Gitarre gespielt und - wie bei der Begleitung - auf den oberen Diskantsaiten komplementär mit Akkordfragmenten begleitet. Durch die Vorgabe der Melodie (oft die Strophen- oder Chorusmelodie des Songs) werden die strengen Formeln der Begleitung aufgebrochen. Als Beispiel im Folgenden das Intro zu dem Carter Signature-Song „Keep on the sunny side“ von 1928, der über Jahre ihre charakteristische Erkennungsmelodie bei Konzerten und Radioshows war (Sokolow 1999).

      Über Maybelle Carters Beitrag zur Entwicklung stilcharakteristischer Spielweisen der Gitarre in Nordamerika schreibt Sokolow:

      „Maybelle Carter is a giant influence in country guitar. […] The Carter Scratch is still a fundamental country guitar style, although most guitarists use a flatpick to approximate Maybelle’s sound, and they play in the other first positions keys (E, A, D and G) as well as in Maybelle’s favourite, C. […] For a down-to-earth country sound, you can’t beat the Carter Scratch.“ (Sokolow 1999, S. 14)

      Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ergänzt:

      „As important to country music as the family‘s repertoire of songs was Maybelle‘s guitar playing. […] While Maybelle did use a flatpick on occasion, her major method of guitar playing was the use of her thumb (with a thumbpick) along with one or two fingers. What her guitar style accomplished was to allow her to play melody lines (on the low strings of the guitar) while still maintaining rhythm using her fingers, brushing across the higher strings. Before the Carter family‘s recordings, the guitar was rarely used as a lead or solo instrument among white musicians. Maybelle‘s interweaving of a melodic line on the bass strings with intermittent strums is now a staple of steel string guitar technique. Flatpickers such as Doc Watson, Clarence White and Norman Blake took flatpicking to a higher technical level, but all acknowledge Maybelle‘s playing as their inspiration.“ (Wikipedia 2010, Artikel: Carter Family)

      Country Blues: Robert Johnson

      Für die gitarristische Spielweise im akustischen Country Blues wird im Folgenden der Sänger und Gitarrist Robert Johnson (1911-1938) näher betrachtet. Obwohl ihm zu Lebzeiten kein bedeutender kommerzieller Erfolg beschieden war, gilt sein Gitarrenspiel heute als außerordentlich repräsentativ für den Stil des amerikanischen Country Blues gegen Ende der 1930er Jahre (Wald 2004). Zudem ist sein Werk aufgrund der ingesamt lediglich 29 Einspielungen übersichtlich und - wegen der großen Bedeutung,