Название | "Aber ich will etwas getan haben dagegen!" |
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Автор произведения | Martin Kowalski |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940621498 |
Die RAF und ihre Protagonisten wiederum sind beliebte Motive des Kulturbetriebes geworden. In zahlreichen Kunstwerken, Büchern und Filmen wurde der Kampf der RAF nicht selten historisch und politisch dekontextualisiert, trivialisiert und konventionellen Dramaturgien angepasst. Christopher Roths Film ‚Baader‘ (2002) etwa zeigt Andreas Baader und Gudrun Ensslin als junges Liebespaar à la Bonnie und Clyde. In schnellen Autos, schicken Klamotten, die Knarre griffbereit, ziehen sie aus, um die Welt zu verbessern. Sie haben Geld im Überfluss, rauchen viel und tragen coole Sonnenbrillen. Als Ensslin ihren Geliebten in einer Szene fragt, ob ihre Kinder in einer gerechteren Welt leben würden, erwidert Baader: „Klar, weil wir der Welt so lange auf die Fresse hauen, bis sie verstanden hat, dass der Wille zur Freiheit stärker ist als der Wille zur Unterdrückung.“ Wild und draufgängerisch entfliehen die beiden dem grauen Alltag und bieten zumal jugendlichen Zuschauern einige Identifikationsmöglichkeiten.
Die RAF ist ins Kuriositätenkabinett der deutschen Geschichte eingezogen, die ihrerseits seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der ‚Wiedervereinigung‘ ihr Happy End gefunden haben will. Anlässlich von Jahrestagen wie etwa des ‚Deutschen Herbstes‘ überschlagen sich die Medien zwar regelmäßig in der Produktion von Rückblicken, Chroniken und Dokumentationen, zum Politikum wird die RAF allerdings nur noch selten. 15 Von gelegentlichen Debatten wie etwa anlässlich der RAF-Ausstellung in den Berliner KunstWerken (2003/4) oder der Begnadigung ehemaliger RAF-Mitglieder abgesehen, nimmt von ihr jenseits der professionellen Kommentatoren kaum jemand mehr Notiz.
Dem war bekanntlich nicht immer so. Obwohl die RAF nach heutigen Erkenntnissen zu keinem Zeitpunkt mehr als 20 Mitglieder hatte, 16 sahen die Bundesregierung und ein Teil der deutschen Bevölkerung die Bundesrepublik als akut gefährdet an. Angesichts der RAF griff ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit auf repressive und antidemokratische Traditionen zurück und frönte autoritären Ressentiments, die sonst unter der bundesrepublikanischen Oberfläche schlummerten. Rückblickend scheint es der RAF also zumindest zeitweise und im Ansatz tatsächlich gelungen zu sein, „Konflikte auf die Spitze zu treiben“ und gesellschaftliche Widersprüche sichtbar werden zu lassen.
Die Fahndungsplakate mit den Schwarzweißfotos der ‚Terroristen‘ waren in der alten Bundesrepublik omnipräsent, stets mit der Warnung ‚Vorsicht Schusswaffen!‘ versehen. Die bundesdeutsche Gesellschaft war über den Umgang mit der RAF zutiefst gespalten, der Staat beantwortete deren militante Provokation unterdessen mit immer drastischeren Maßnahmen. Neben Großfahndungen ungekannten Ausmaßes wurde die computergestützte Rasterfahndung entwickelt, in der potentiell jeder Bürger als des Terrorismus verdächtig erfasst werden konnte. Im Zeichen des Kalten Krieges herrschte in der Bundesrepublik ohnehin eine Art Generalverdacht gegen alle, die sich links von der SPD verorteten. Dies führte zu einer pauschalierenden Verknüpfung zwischen ‚Terroristen‘, ‚Sympathisanten‘ und ‚geistigen Brandstiftern‘. 17
Seit 1971 sollte beispielsweise ein so genannter ‚Radikalenerlass‘ sicherstellen, dass die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst über eine verfassungskonforme Gesinnung verfügten. Dabei wurden über 300 000 Personen vom Verfassungsschutz überprüft, potentiell linksradikale Bewerber oder Angestellte abgelehnt oder gar gekündigt. 18 Darüber hinaus konnte nahezu jeder als ‚RAF-Sympathisant‘ verdächtigt werden. Im Zweifelsfall reichte es aus, auf die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen hinzuweisen oder eine rechtstaatlich angemessene Behandlung einzufordern.
So wurde der Schriftsteller Heinrich Böll Anfang 1972 zum Ziel einer aggressiven Medienkampagne, nachdem er die RAF-Berichterstattung der Bild-Zeitung im Spiegel als „Aufforderung zur Lynchjustiz“ bezeichnet und eine von der „Springerpresse“ aufgehetzte Gesellschaft der „Gnadenlosigkeit“ bezichtigt hatte. Um auf die absurden Dimensionen der öffentlichen Diskussion aufmerksam zu machen, erinnerte Böll daran, dass von einem „Krieg der Sechs gegen 60 Millionen“ eine vergleichsweise geringe Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgehe. Er verwies auf die NS-Vergangenheit zahlreicher Funktionsträger der bundesrepublikanischen Gesellschaft, vor allem aber auf die juristische Milde, mit der viele Nazi-Verbrecher behandelt worden waren.
Böll plädierte dafür, Ulrike Meinhof „freies Geleit“ und einen fairen rechtsstaatlichen Prozess anzubieten, um ihr so zu ermöglichen, den eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen. Vor Gericht müsse allerdings auch der Verleger Axel Springer gestellt werden – „wegen Volksverhetzung“. 19 Bild verglich den Schriftsteller daraufhin mit Goebbels, in der Illustrierten Quick hieß es: „Die Bölls sind gefährlicher als Baader-Meinhof.“ In der Tagesschau wurde Böll als „Anwalt der anarchistischen Gangster“ tituliert, dem ZDF-Magazin galt er als „Sympathisant dieses Linksfaschismus“, der „nicht ein Deut besser“ sei „als die geistigen Schrittmacher der Nazis“. Die Diffamierungen blieben nicht ohne Folge: Im Zuge einer Großfahndung nach RAF-Mitgliedern wurde im Juni 1972 auch Bölls Haus von schwer bewaffneten Polizisten umstellt. 20
Die RAF war ein Produkt der radikalen Linken in der Bundesrepublik, die sich seit Mitte der 1960er Jahre von den autoritären Strukturen einer postfaschistischen Gesellschaft zu emanzipieren versucht hatte. Schon die Studentenbewegung hatte die bundesrepublikanische Gesellschaft mithilfe von bedeutungsschwangeren Abstraktionen wie ‚Kapitalismus‘, ‚Imperialismus‘ und ‚Faschismus‘ radikal kritisiert. Die RAF bezog sich auf die gleichen Paradigmen und reduzierte sie im Sinne ihrer eigenen Ideologie.
Das Verhältnis der bundesrepublikanischen Linken zur RAF war kompliziert. Die Mehrheit wandte sich gegen deren Selbstverständnis als ‚revolutionäre Avantgarde‘ mit ihren realitätsfernen Zeitdiagnosen und lehnte das Konzept einer straff organisierten Stadtguerilla und die ebenso militanten wie strategisch sinnlosen Mittel ab. Gleichzeitig stellte die Praxis der RAF für die Linke ein massives Problem dar: Linke und linksradikale politische Ziele wurden durch sie auch in der wohlgesonneneren Öffentlichkeit diskreditiert, eine grundlegende Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung steht bis heute unter ‚Extremismusverdacht‘. Dennoch blieb man dem Ziel einer radikalen gesellschaftlichen Veränderung verbunden und kritisierte den Ausbau des staatlichen Kontrollund Repressionsapparats.
Der Diskurs der radikalen Linken in der Bundesrepublik unterschied sich bezüglich Themenwahl und revolutionärem Pathos nicht wesentlich von dem der zeitgenössischen westeuropäischen Linken. 21 In der Bundesrepublik schwangen jedoch immer auch Erschrecken und Empörung über die jüngste Vergangenheit und deren weitgehende Tabuisierung mit. „Faschist!“ hatte die Aktivistin Beate Klarsfeld gerufen, als sie 1968 dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) aufgrund seiner einstigen NSDAP-Mitgliedschaft eine Ohrfeige verpasste 22 – damit hatte sie vielen Gleichaltrigen aus dem Herzen gesprochen.
Auch die RAF verstand sich explizit als antifaschistische Organisation: „Die RAF nahm den Kampf gegen einen Staat auf, der nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht gebrochen hatte“, hieß es in ihrer Auflösungserklärung von 1998. Man habe von Anfang an auf einem „gesellschaftlichen Terrain“ gekämpft, „das historisch von wenig Widerstand und dem Ausbleiben einer Bewegung gegen den Faschismus, dafür um so mehr von einer zu Faschismus und Barbarei loyalen Bevölkerung geprägt war. […] Die RAF hat nach dem Nazi-Faschismus mit diesen deutschen Traditionen gebrochen und ihnen jegliche Zustimmung entzogen. Sie kam aus dem Aufbruch dagegen.“ 23
In diesem Buch soll die RAF entgegen ihrem Selbstverständnis als postfaschistisches Phänomen betrachtet werden, d.h. als Phänomen,