"Aber ich will etwas getan haben dagegen!". Martin Kowalski

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Название "Aber ich will etwas getan haben dagegen!"
Автор произведения Martin Kowalski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621498



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      „Aber ich will etwas getan haben dagegen!”

      Die RAF als postfaschistisches Phänomen

      Martin Kowalski

      „Aber ich will etwas getan haben dagegen!”

      Die RAF als postfaschistisches Phänomen

      Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      ISBN (eBook, epub): 978-3-940621-49-8

      Redaktion: Cornelia Siebeck

      Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung:

      Stefan Berndt – www.fototypo.de

      Satz und Layout: Benedict Leicht

      © Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin/2010

       www.vergangenheitsverlag.de

      Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen,

      der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe

      und der Übersetzung, vorbehalten.

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

      readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

      Inhalt

       „Die Konflikte auf die Spitze treiben…“ – 40 Jahre nach Gründung der RAF

       „Unter dem Pflaster liegt der Strand!“ – Die Revolten der 1960er Jahre und die bundesrepublikanische Linke

       „Man kann mit Leuten, die Auschwitz gemacht haben, nicht diskutieren.“ – Der Tod Benno Ohnesorgs und die Radikalisierung der Studentenbewegung

       „Napalm ja, Pudding nein.“ – Von der Spaßguerilla zur Stadtguerilla

       „…ungeeignet, eine ihren Zielen angemessene Praxis zu entwickeln.“ – Krieg gegen den Staat oder ‚Marsch durch die Institutionen‘

       „Unsere Isolation jetzt und das Konzentrationslager demnächst…“ – Eine kleine Geschichte der RAF

       „Die Angst vor dem Faschismus überwinden, um seine Wurzeln zu vernichten!“ – Der Faschismusbegriff der RAF

       „…eine nachholende Résistance.“ – Pathos des Widerstands und Märtyrertum

       „Praxislos sind programmatische Erklärungen nur Geschwätz.“ – Primat der Praxis und Avantgardismus

       „Wir haben diese Struktur in unseren Zusammenhängen nicht aufgelöst.“ – Autoritarismus, Menschenhass, Antisemitismus

       Die Rote Armee Fraktion und die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft – Ein vorläufiges Fazit

       Anmerkungen

      „Die Konflikte auf die Spitze treiben…”

      40 Jahre nach Gründung der RAF

      „Die Rote Armee aufbauen!“ forderte die 29-jährige Gudrun Ensslin 1 im Sommer 1970: Aus bloßen Protesten sollte ein ‚bewaffneter Kampf‘ werden. Keine vier Jahre zuvor hatte der studentische Aktivist Rudi Dutschke 2 , ebenfalls Jahrgang 1940, zur Bildung einer außerparlamentarischen Opposition (APO) aufgerufen: gegen die Große Koalition und deren antidemokratisehe Notstandsgesetzgebung. 3 Vor allem aber bot die APO Raum für ein Gefühl der Empörung angesichts der saturierten Wohlstandsgesellschaft, die auf den Trümmern des ‚Dritten Reichs‘ entstanden war.

      Während in Vietnam und anderswo Krieg und Elend herrschten, hatte man es sich in der Bundesrepublik und West-Berlin längst wieder bequem gemacht. Man ging seinen täglichen Pflichten nach, konnte sich nach den Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit wieder etwas leisten und stellte lieber keine kritischen Fragen – nicht zur jüngsten deutschen Vergangenheit, nicht zu deren Kontinuitäten in der bundesrepublikanischen Gegenwart und schon gar nicht zu Ursachen und Folgen von Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg im Rest der Welt.

      „Ohne Provokation werden wir gar nicht wahrgenommen“, hatte Rudi Dutschke 1966 konstatiert 4 . Jetzt erklärte Gudrun Ensslin, die das vermeintlich wirkungslose Protestieren der APO-Aktivisten satt hatte, öffentlich den Krieg gegen den Staat: „Um die Konflikte auf die Spitze treiben zu können, bauen wir die Rote Armee auf.“ Die Pfarrerstochter appellierte an die „Genossen“, sich und anderen bewusst zu machen, „dass die Revolution kein Osterspaziergang sein wird!“ Der von Ensslin verfasste Aufruf in der linksradikalen Zeitung agit 883 5 gilt als Gründungsdokument der RAF. Die Massen sollten folgen: Ob Hauptschüler, Arbeiter und kinderreiche Familien oder die von Krieg und Ausbeutung geplagten Menschen in der ‚Dritten Welt‘ – im Kampf gegen ‚den Imperialismus‘ würden sie in absehbarer Zeit als revolutionäres Kollektivsubjekt „die Führung übernehmen“.

      Die RAF konzipierte sich in Abgrenzung zur APO als revolutionäre Avantgarde. Ihr Diskurs oszillierte dabei von Anfang an zwischen paranoider Defensive und gnadenloser Offensive. So schrieb Ensslin einerseits aus der Perspektive der ‚Opfer‘, die ihr Ohnmachtsgefühl überwinden wollten: „Was heißt: Die Konflikte auf die Spitze treiben? Das heißt: Sich nicht abschlachten lassen. Deshalb bauen wir die Rote Armee auf.“ Andererseits schwelgte sie in Machtphantasien und drohte unverhohlen: „Die Konflikte auf die Spitze treiben heißt: Dass die nicht mehr können, was die wollen, sondern machen müssen, was wir wollen.“ 6 Ein Jahr später veröffentlichte die RAF mit dem ‚Konzept Stadtguerilla‘ ihr erstes Strategiepapier, 7 kurz darauf ein ausführliches Positionspapier, in dem der Zusammenhang von ‚Kapitalismus‘, ‚Imperialismus‘ und ‚Faschismus‘ sowie eine daraus vermeintlich resultierende Notwendigkeit von „bewaffnetem Kampf“ und „Terror gegen den Herrschaftsapparat“ theoretisch erläutert wurden. 8

      Im Mai 1972 folgte mit der so genannten ‚Mai-Offensive‘ eine erste Welle von Bombenanschlägen auf zwei Einrichtungen der US-Armee, ein Polizeigebäude, den Springerverlag und einen Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes. Kurz darauf wurden die Mitglieder der ‚ersten Generation‘ um Gudrun Ensslin, Andreas Baader 9 und Ulrike Meinhof 10 verhaftet. Ihre Nachfolger sahen sie fortan als Ikonen, die es zu befreien galt – nach ihrem kollektiven Selbstmord 1977, der in der Szene zum ‚Mord‘ umgedeutet wurde, schließlich auch als Märtyrer. Das „Projekt RAF“ wurde nach dem Tod der Gründergeneration mit verschärfter Brutalität fortgesetzt. Bis zur Auflösung im März 1998 wurden unter dem Label ‚RAF‘ diverse Banküberfälle und insgesamt 25 Anschläge und Anschlagsversuche verübt, 11 bei denen 34 Menschen getötet wurden. 12