Название | Falschspieler |
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Автор произведения | Franz Dobler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870547 |
»Komm um halb sechs, du musst das Auto auf der anderen Seite abstellen und über die Brücke gehen.« »Gut«, sagte ich.
Wir gaben uns schnell einen Kuss.
Während der Heimfahrt lag ich mit geschlossenen Augen auf dem Rücksitz und sah mir immer wieder ihren irrsinnig langsamen und verführerischen Gang an.
Ich muss wohl nicht erklären, in welchem Zustand ich mich in den nächsten zehn Tagen befand. Von den 55 Schachteln Karo, von denen ich einige verschenkt hatte, war jedenfalls nichts mehr übrig, als ich wiederkam. Ich sah sie schon von Weitem auf dem leeren Parkplatz stehen. Ich hatte mich um eine halbe Stunde verspätet.
Sie stand mit gespreizten und durchgedrückten Beinen am Zaun gelehnt, hielt in der einen Hand eine Zigarette und in der anderen eine kleine rote Handtasche, die sie zwischen den Beinen baumeln ließ.
Wir umarmten uns. Sie flüsterte etwas, das ich zwar nicht verstand, dessen Klang mir aber gefiel.
Wir nahmen uns an der Hand und spazierten auf einem Feldweg zu dem Dorf, wo sie wohnte. Die Dächer waren einige hundert Meter weiter zu erkennen.
Ich hatte mir einen Wagen geliehen, und sie freute sich, dass wir diesmal mehr Zeit hatten.
Das Wetter war strahlend. Im Gehen riss ich Mohnblumen vom Feldrand und schenkte sie ihr.
Sie erzählte, dass sie schon wieder Karo besorgt und für mich drei Stangen beiseitegelegt hätte, denn seit meinem Kauf vor zehn Tagen würde die Marke erstaunlicherweise viel öfter als sonst verlangt. Und bei jedem Kauf hätte sie an mich denken müssen.
Am Morgen hatte sie von der Kunstakademie in Ostberlin einen Brief bekommen, dass sie abgelehnt war. In Ostberlin war sie aufgewachsen. Als sie zwölf war, trennten sich ihre Eltern, weil es ihren Vater, nachdem er wegen geringfügiger Schwarzarbeit zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden war, aus der Bahn geworfen hatte und er unerträglich geworden war. Zusammen mit ihrem Bruder, der an der Tankstelle der Raststätte arbeitete, wurde sie dann in dem kleinen Dorf bei der Großmutter abgegeben.
Jetzt war sie 19 und bekam wieder Sehnsucht nach Ostberlin, und wenn es mit der Akademie geklappt hätte, wäre alles perfekt gewesen.
Das Haus ihrer Großmutter war eine schmale und längliche Baracke aus Stein. Der Putz blätterte an vielen Stellen ab. Vor den Fenstern standen Kästen mit blühenden Blumen.
Anna ging zuerst allein hinein. Als sie wiederkam, legte sie den Zeigefinger an den Mund und nahm mich bei der Hand. Wir schlichen durch den dunklen Gang, in dem es nach gekochtem Gemüse roch, vorbei an einer Tür, hinter der leise geschnarcht wurde, in ihr Zimmer.
»Ist besser so«, sagte Anna, »sie macht sich immer viel zu große Sorgen.«
Ihr Zimmer war spärlich möbliert und die Möbel waren alt. Es sah aus wie mein Zimmer und wie das vieler meiner Freunde in Westdeutschland. Es war nichts Besonderes darin, auf den ersten Blick nichts Persönliches, außer einem Bild, an dem mich die geometrische Musterung, in der sich undeutlich Menschen abzeichneten, an ein Bild von Robert Delaunay erinnerte. Es war nicht von ihr.
»Willst du ein Bier?«, fragte Anna.
Aber schon im nächsten Moment lagen wir auf dem Bett. Und dort war keine Spur mehr von dieser Unsicherheit, die sich durch unsere Unterhaltung gezogen hatte, weil wir beide ein wenig misstrauisch gewesen waren, dass sich die Intensität der ersten kurzen Begegnung nicht wiederholen lassen würde.
Es war das schönste Zusammensein, das ich je mit einer Frau hatte; vielleicht genügt das als Erklärung für mein späteres Verhalten.
Als wir keine Kraft mehr hatten, war die Sonne untergegangen und das Zimmer dunkelgrau geworden. Mit zitternden Beinen setzten wir uns an den Tisch. Anna zündete uns zwei Karo an und öffnete zwei Flaschen Braustolz. Wir waren selig. Wir schlugen die Flaschen aneinander und ich war so ausgetrocknet, dass ich auf den ersten Zug die halbe Flasche trank.
»Kennst du Die Biertrinker von Marcel Duchamp?«, fragte ich sie.
»Ist das diese wahnsinnig hohe Rechnung?«
»Ja«, sagte ich und wir lachten, tranken unsere Flaschen leer und sie öffnete gleich zwei neue.
Braustolz ist ein ausgezeichnetes Bier. Ich wagte noch nicht zu sagen, dass sie mir einen Kasten besorgen sollte, weil ich befürchtete, sie könnte mich für einen von denen halten, die eine Schwäche für ein fremdes Land, seine Menschen und Produkte haben, die soweit geht, dass sie einfach alles mögen, was mit diesem Land zu tun hat, und wenn es noch so schlecht und dumm ist.
Ich drehte die Flasche in der Hand und besah mir das Etikett genauer.
»Ich besorg dir schon einen Kasten«, sagte sie und wir lachten, weil wir beide wussten, dass sie es nicht zufällig gesagt hatte.
Sie stand auf, schlüpfte in den Unterrock, streifte den BH über und setzte sich mit dem Rücken zu mir auf meinen Schoß, damit ich die Häkchen schloss.
Dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl, nahm einen Schluck, fuhr sich durchs Haar, atmete kräftig aus, brannte sich eine Karo an und legte die Beine auf den Tisch.
Der Unterrock rutschte langsam auf die Hüften hinunter.
Sie sah so wundervoll aus wie sie war und am liebsten hätte ich sie so wie sie war auf meine Arme genommen und zu meinem Kofferraum getragen.
In Gedanken fluchte ich wieder auf diese elende Teilung Deutschlands.
»Was machst du, wenn du nicht arbeitest?«, fragte ich sie.
»Nichts Besonderes, ausgehen, fernsehen, Musik hören, lesen, mit Großmutter reden, meinen Bruder und seine Frau besuchen, durchs Dorf gehen, über die Felder, meine Freundinnen besuchen, rauchen, trinken.«
»Hast du keinen Freund?«
»Nicht so richtig. Und du?«
»Auch nicht mehr so richtig.«
Wir grinsten uns an, aber das Thema interessierte nicht weiter.
»Du hast das Malen vergessen«, sagte ich.
»Nein, das alles ist das Malen. Und du? Macht man bei euch was anderes?«
»Nein, nur dass das alles bei mir das Schreiben ist.« »Was schreibst du?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Einen Roman«, sagte ich, »wie einer ein Mädchen aus der DDR …«
Es kam schlecht an. Vielleicht dachte sie sogar, ich wäre wirklich nur hier, um etwas darüber schreiben zu können. Es gibt diese Typen, aber ich habe das nie gemacht. »Blödsinn«, sagte ich entschuldigend.
»Schon gut«, sagte Anna.
»Zeigst du mir Bilder?«
»Sind alle in Ostberlin.«
»Schade, ich dachte in diesen Schachteln in der Ecke sind sie.«
»Das sind Kleider von meiner Schwägerin, vielleicht gefällt mir was.«
Sie ging auf die Toilette und ich besah mir währenddessen ihre Bücher. Es waren nicht sehr viele, die Hälfte davon handgebundene und maschinengetippte Durchschlagblätter, Samisdat-Ausgaben, von denen ich bisher nur gehört hatte, und Bücher aus dem Westen, darunter eines von Thomas Brasch, der vor einigen Jahren aus der DDR ausgewiesen worden war. Ich kannte es und schlug die Stelle auf, wo er schreibt, dass er das, was er haben will, nicht kriegen kann, und was er kriegen kann, ihm nicht gefällt. Ich hatte diese Stelle damals angestrichen, und auch in diesem Buch war sie markiert. »Ist es nicht gefährlich, diese Privatausgaben offen herumstehen zu lassen?«, fragte ich, als sie wiederkam. »Doch, aber mich reizt eben die Gefahr.«
Sie machte sich über mich lustig.
»Und diese Bücher aus dem Westen? Wie bist du denn an die gekommen?«
»Man bekommt alles Mögliche, was man eigentlich