Falschspieler. Franz Dobler

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Название Falschspieler
Автор произведения Franz Dobler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870547



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aus der Tasche.

      Wie immer, wenn ich mich auf DDR-Gebiet aufhielt, war ich angespannt und wartete darauf, dass etwas passieren oder mich jemand ansprechen würde. Ich freute mich, einen Platz gefunden zu haben, wo keine Westleute waren und es deshalb leichter möglich wäre, etwas Typisches mitzuerleben.

      »Sie sucht noch nach einer Stange«, sagte das Mädchen, als sie die Tasse vor mich auf den Tisch stellte.

      »Die Marke wird hier selten verlangt. Unsere Leute rauchen das kaum.«

      »Ich finde Karo prima, und außerdem ist sie die billigste.«

      Sie zuckte mit den Schultern und streckte sich.

      Ich war der einzige Gast.

      »Was rauchen Sie denn?«, fragte ich.

      »Dieselben, aber nicht, weil sie mir fremd sind«, sagte sie und lächelte mich spöttisch an.

      »Woher wollen Sie denn wissen, dass ich aus dem Westen komme?«

      »Man kennt sie, wenn man mit ihnen zu tun hat. Ich war früher in der Raststätte.«

      »Sie mögen keine Westdeutschen?«

      Sie überlegte, und ich sah ihr an, dass sie mich nicht verletzen wollte. Aber ehe sie irgendwas sagen konnte, rief die Frau aus dem Kiosk nach ihr.

      Sie hieß Anna.

      »Die Zigaretten«, sagte sie und ging hinüber.

      »Kann ich noch einen Kaffee bekommen!«, rief ich ihr nach.

      Sie ging sehr langsam; und ich bildete mir ein, sie wäre schneller gegangen, wenn sie nicht gewusst hätte, wie die Sonne durch ihren Kittel schien. Sie ging, als würde sie über einen Strand zum Meer gehen, im Gehen ihr Kleid öffnen und fallen lassen und ohne den Gang zu verändern ins Meer gehen.

      In meiner Einbildung wurde ich bestärkt, als sie mir zuerst die Tüte mit den 55 Schachteln Karo brachte und dann noch einmal mit diesem Gang zum Kiosk ging, um mir den Kaffee zu bringen. Als sie mir die zweite Tasse servierte, fragte ich, ob ich sie einladen dürfte, und sie ging wieder und ich musste daran denken, dass Andy Warhol vor 20 Jahren sicher einen abendfüllenden Film über ihren Gang gedreht hätte.

      »Geht’s noch weiter oder kann ich mich setzen«, sagte sie dann.

      »Mal sehen«, sagte ich.

      Sie ließ das ganze Päckchen Zucker in ihren Kaffee rieseln.

      »Ich bin froh, wenn ich viel bedienen muss und aus dem muffigen Loch rauskomme. Die blöde Kuh mag es nur nicht, wenn ich mich von fremden Gästen einladen lasse. Aber heute kann sie nicht viel sagen, es gibt nichts zu tun.«

      »Ihre Mutter?«

      Sie kicherte und beugte sich über die Tasse, dass sich die blonden Haare wie ein Vorhang über ihr Gesicht schoben.

      »Sie würde Ihnen das Gesicht zerkratzen. Sie behauptet sogar, dass sie nicht mal meine Mutter sein könnte. Aber sie ist wirklich eine dumme Kuh. Sie denkt, sie kann hier die Chefin spielen.«

      Ich sah zum Kiosk hinüber. Sie tat, als würde sie uns nicht beobachten.

      »Kann Ihnen das nicht Ärger einbringen, wenn Sie sich mit mir unterhalten?«, fragte ich.

      Sie machte eine verächtliche Handbewegung.

      »Wenn wir uns über die falschen Dinge unterhalten und die richtige Person zuhört; ist das bei euch vielleicht anders?«

      »Vielleicht gibt es bei uns weniger falsche Dinge.«

      »Vielleicht«, sagte sie und starrte dann auf die Tischplatte und ich fürchtete schon, sie gekränkt zu haben.

      Mit einem Ruck hob sie den Kopf und schleuderte die Haare nach hinten.

      »Wie ist es denn im Westen, kann man sich wirklich die ganze Welt kaufen?«

      Sie sah mich dabei so direkt an, dass ich unsicher wurde. Sollte ich aus dem Satz etwas heraushören, was über die Frage hinausging?

      »Natürlich«, sagte ich und streckte ihr meinen Arm mit der Armbanduhr hin.

      »Wie bei uns.« Sie zeigte mir ihre.

      Wir legten die Arme aneinander, um die Uhren zu vergleichen.

      »Wasserdicht?«

      »Was denkst du denn?« grinste sie.

      »Sie bilden sich ein, sie hätten etwas, wenn sie ein gutes Auto haben oder all das andere Zeug.«

      »Und hier denken sie das, wenn sie überhaupt eines haben. Es ist dasselbe. Mich kümmert das auch einen Dreck.«

      Ich wunderte mich.

      Ein Wagen der Volkspolizei fuhr im Schritttempo auf den Parkplatz und brachte mich auf andere Gedanken. »Soll ich besser verschwinden?«

      »Wozu denn«, sagte sie ärgerlich, »wir tun doch nichts Verbotenes. Außerdem kenne ich die beiden.«

      Sie winkte ihnen zu und die Beamten grüßten freundlich zurück. Dann gab der Fahrer Gas und steuerte auf den großen Parkplatz.

      »Sie sitzen oft hier und bestellen etwas, verstehst du?« Sie tat, als würde sie mit dem Po wackeln und deutete mit dem Kinn zum Kiosk.

      »Es ist immer das Gerede von solchen Leuten, das einen ins Gerede bringt. Aber sie ist damit schon einmal auf die Schnauze gefallen, weil man mir nichts beweisen konnte. Kann dir das nicht passieren? Ich kann dir gern einen Monat lang unser Neues Deutschland schicken, was meinst du, möchtest du darauf wetten?«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Aber ich kann ausreisen«, sagte ich.

      »Kann ich auch, nur in die andere Richtung.«

      »In die Richtung kann ich auch.«

      »Und hast du auch das Geld dazu?«

      »Selten.«

      Ich glaube, wir redeten beide von Dingen, über die wir uns überhaupt nicht unterhalten wollten.

      Dann sagten wir nichts mehr und dann wurde sie zum Kiosk gerufen. Ich hätte längst wieder beim Wagen sein müssen.

      »Sie ist einfach ein unglaublich dummes Weib«, sagte Anna, als sie wiederkam.

      »Ich will nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst, Anna.«

      »Wenn das alles ist«

      »Ist nicht alles; ich würde jetzt gern hier bleiben.« »Für eine Nacht oder länger?«

      Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort und wir lachten darüber.

      »Ich bin leider mit irgendwelchen Leuten hier, die sicher schon vor Wut platzen.«

      »Wenn sie zu lange auf dem Rastplatz herumstehen, ist es wirklich nicht so gut« Sie legte ihre Hand auf meine. »Schade, in einer Stunde bin ich hier fertig.« Durch die Luft gab sie mir einen Kuss, und zum Zeichen, dass ein richtiger Kuss doch zu viel wäre, verzog sie stöhnend die Augenbrauen und sah zum Kiosk. »Die würde gleich wieder was denken.«

      Ich wollte sie gerade fragen, ob sie mich nicht zum Parkplatz begleiten könnte, als das Pärchen, an dessen Golf ich durch die Mitfahrzentrale geraten war, auf uns zu marschiert kam. Sie waren wütender als erwartet und keiften mich an, dass es eine Riesenunverschämtheit wäre, sie auf dieser blöden Raststätte so lange warten zu lassen und sie keine Lust hätten, nachts durch die DDR zu fahren und es schließlich ihr Auto wäre.

      »Seid froh, wenn er überhaupt wieder mit rausfährt«, kicherte Anna.

      Sie verstanden nicht, was daran so komisch war, und es dauerte eine Weile, bis ihnen dämmerte, dass sie ohne mich natürlich nicht die Grenze passieren könnten.

      »Fünf Minuten«, sagte ich.

      Sie drehten sich ohne ein weiteres Wort um. »Scheißdeutschland, alle beide«, sagte ich.