Das Seltsame und das Gespenstische. Mark Fisher

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Название Das Seltsame und das Gespenstische
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872060



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und das Gespenstische im Unheimlichen aufgehen zu lassen ist symptomatisch für einen säkularen Rückzug von der Außenwelt. Die allgemeine Vorliebe für das Unheimliche entspricht einem Hang zu einer Art von Kritik, die das Außen immer durch die Lücken und Sackgassen des Inneren abwickelt. Das Seltsame und das Gespenstische verfahren genau umgekehrt: sie erlauben uns, das Innen durch die Perspektive des Außen zu sehen. Wie deutlich werden wird, ist das Gespenstische das, was nicht dazugehört. Das Gespenstische stattet das Vertraute mit etwas aus, das normalerweise jenseits von ihm liegt und nicht mit dem »Heimeligen« versöhnt werden kann (auch nicht in seiner Negation als »Unheimliches«). Die Form, die vielleicht am besten dem Seltsamen entspricht, ist die Montage – die Verbindung von zwei oder mehr Dingen, die nicht zusammen gehören. Daher die Vorliebe des Surrealismus für das Seltsame, der das Unbewusste als Montage-Maschine verstand, als Generator seltsamer Kombinationen. Das ist auch der Grund, warum Jacques Lacan – der sich der Herausforderung des Surrealismus sowie der restlichen ästhetischen Moderne stellte – sich einer seltsamen Psychoanalyse nähern konnte, in der Todestrieb, Träume und das Unbewusste von jeder Naturalisierung oder dem Gefühl der Vertrautheit entbunden sind.

      Auf den ersten Blick scheint das Gespenstische dem Unheimlichen näher zu sein als dem Seltsamen. Aber wie dieses hat auch das Gespenstische grundsätzlich mit dem Außen zu tun, in diesem Falle verstanden sowohl in einem streng empirischen als auch in einem eher abstrakt transzendentalen Sinne. Das Gefühl des Gespenstischen heftet sich selten an einen geschlossenen, bewohnten, häuslichen Raum; wir finden es eher in von Menschen teilweise verlassenen Landschaften. Wie ist diese Ruine entstanden? Warum ist hier etwas verschwunden? Was für ein Wesen war daran beteiligt? Was für ein Ding hat diesen gespenstischen Schrei ausgestoßen? Wie wir sehen, hat das Gespenstische grundsätzlich mit Fragen der Wirkungsmacht zu tun. Was für ein Subjekt wirkt da? Gibt es überhaupt ein Subjekt? Diese Fragen lassen sich in einem psychoanalytischen Register stellen – wenn wir nicht sind, wer wir denken, dass wir sind, was sind wir dann? –, aber sie betreffen auch die Kräfte, die die kapitalistische Gesellschaft regieren. Das Kapital ist auf allen Ebenen ein gespenstisches Ding: aus dem Nichts hervorgezaubert, übt das Kapital dennoch mehr Einfluss aus als jedes andere vermeintlich substantielle Wesen.

      Der metaphysische Skandal des Kapital führt uns zu der größeren Frage der Wirk- und Handlungsmacht des Immateriellen und Unbelebten: die Wirkung von Mineralien und Landschaften für Autoren wie Nigel Kneale und Alan Garner und die Art und Weise, wie »wir selbst« in Rhythmen, Stößen und Einflüssen nicht-menschlicher Kräfte ausgesetzt sind. Es gibt kein Innen, außer als Einbruch des Außen; die Risse im Spiegel zu sehen, zu glauben, man sei ein anderer und war das schon immer. Dieser Schauder, der uns dann befällt, ist der Schauder des Gespenstischen, nicht des Unheimlichen.

      Ein außergewöhnliches Beispiel der Verdrängung des Unheimlichen durch das Gespenstische ist D.M. Thomas’ Roman The White Hotel (dt. Das weiße Hotel). Zunächst handelt es sich dabei scheinbar um eine simulierte Fallstudie einer fiktionalen Patientin von Sigmund Freud, »Anna G.«. Annas Gedicht, mit dem der Roman beginnt, wirkt auf den ersten Blick voller erotischer Hysterie, so wie es der von Thomas erdachte Freud in seiner Fallgeschichte nahelegt. Freuds Lesart droht, die Traumatmos­phäre des Gedichts aufzulösen und ein ganz bestimmtes Deutungsmuster vorzubereiten: die Gegenwart wird durch die Vergangenheit, das Außen durch das Innen erklärt. Doch es stellt sich heraus, dass der scheinbare Erotizismus selbst eine Verschleierung und Ablenkung von einem intensiv wirkenden Bezugspunkt des Gedichts ist, der sich nicht in der Vergangenheit der Protagonistin liegt, sondern in ihrer Zukunft – ihr Tod im Massaker von Babi Jar 1941. Die Thematik von Vorsehung und Schicksal führt uns auf das Gespenstische in einer verstörenden Form. Das Schicksal mag jedoch sowohl zum Seltsamen als auch zum Gespenstischen gehören. Die wahrsagenden Hexen aus Macbeth werden immerhin auch die »unheimlichen Schwestern« (weird sisters) genannt und eine archaische Bedeutung des englischen Wortes weird ist fate – Schicksal. Die Idee des Schicksals ist seltsam insofern, als es sich um verkehrte Formen von Zeit und Kausalität handelt, die der gewöhnlichen Wahrnehmung fremd sind, aber sie ist auch gespenstisch, indem sie die Frage der Handlungsmacht aufwirft: wer oder was ist das Wesen, von dem das Schicksal gewebt wurde?

      Das Gespenstische betrifft die grundlegendsten metaphysischen Fragen, die gestellt werden können, Fragen, die mit Existenz und Nicht-Existenz zu tun haben: Warum ist hier etwas, obwohl da nichts sein sollte? Warum ist da nichts, obwohl da etwas sein sollte? Die blinden Augen der Toten; der verwirrte Blick dessen, der sein Gedächtnis verloren hat – all dies ruft das Gefühl des Gespenstischen hervor, so sehr wie ein verlassenes Dorf oder ein Steinkreis.

      Soweit haben wir immer noch den Eindruck, dass das Seltsame und das Gespenstische primär mit dem Beunruhigenden und Furchterregenden zu tun haben. Schließen wir diese einleitenden Bemerkungen mit ein paar Beispielen, wo das Seltsame und das Gespenstische andere Affekte hervorrufen. Moderne und experimentelle Kunst erscheint uns oft als seltsam, wenn wir ihr das erste Mal begegnen. Der Eindruck, dass etwas nicht stimmt, der mit dem Seltsamen einhergeht – die Überzeugung, dass dies nicht dazugehört –, ist oft ein Zeichen, dass wir mit etwas Neuem konfrontiert sind. Hier ist das Seltsame ein Signal, dass die Begriffe und Systeme, die wir früher angewandt haben, nun obsolet sind. Wenn die Begegnung mit dem Eigenartigen hier nicht sofort angenehm ist (da das Angenehme immer auf frühere Formen der Befriedigung verweist), so ist sie doch auch nicht einfach unangenehm: Es liegt einen Genuss darin, Bekanntes und Konventionelles veralten zu sehen – ein Genuss, der, in seiner Mischung aus Lust und Schmerz, etwas mit dem zu tun hat, was Lacan jouissance nannte.

      Das Gespenstische bedeutet für uns auch die Trennung von unseren gegenwärtigen Bindungen. Doch, im Zusammenspiel mit dem Seltsamen, hat diese Trennung nicht immer die Qualität eines Schocks, die normalerweise vom Gespenstischen verursacht wird. Die Gelassenheit, die oft mit dem Gespenstischen assoziiert wird – man denke an die Rede von der gespenstischen Ruhe – hat mit der Trennung von den Dringlichkeiten des Alltags zu tun. Die Perspektive des Gespenstischen eröffnet uns die Kräfte, die unseren Alltag regieren, die aber normalerweise verborgen sind, so wie es uns auch Zutritt zu Räumen jenseits des Alltäglichen überhaupt gewähren kann. Es ist diese Entlassung aus dem Alltäglichen, diese Flucht aus dem, was wir gewöhnlicherweise für die Realität halten, die ein Stück weit den eigentümlichen Reiz des Gespenstischen erklärt.

Das Seltsame

       Aus dem Raum und aus der Zeit:

      Lovecraft und das Seltsame

      Was ist das Seltsame? Was für ein Gefühl meinen wir, wenn wir sagen, dass etwas seltsam ist? Ich möchte zeigen, dass das Seltsame eine bestimmte Form der Störung ist. Es enthält das Gefühl, dass etwas nicht stimmt: ein seltsames Wesen oder Objekt ist so merkwürdig, dass wir denken, es sollte nicht existieren oder zumindest sollte es nicht hier existieren. Aber wenn das Wesen oder das Objekt hier ist, dann können die Kategorien, mit denen wir bisher die Welt begriffen haben, nicht mehr gelten. Aber es ist nicht das Seltsame, mit dem etwas nicht stimmt: Es sind unsere Vorstellungen, die unpassend sein müssen.

      Definitionen aus Wörterbüchern sind nicht immer hilfreich, um das Seltsame zu verstehen. Manche verweisen sofort auf das Übernatürliche, obwohl keinesfalls klar ist, dass übernatürliche Dinge auch seltsam sein müssen. In vielerlei Hinsicht ist ein natürliches Phänomen, wie ein schwarzes Loch, seltsamer als ein Vampir. Und in der Literatur sorgt die gattungsmäßige Wiedererkennbarkeit von Vampiren oder Werwölfen dafür, dass sich überhaupt kein Gefühl des Seltsamen einstellt. Es gibt ein überliefertes Wissen, wie solche Kreaturen zu deuten und zu verorten sind. Monströs sind sie also allenfalls ihrer Erscheinung nach; aber zusammengesetzt sind sie aus Elementen der empirischen Welt, die wir kennen und verstehen. Zugleich bedeutet die Tatsache, dass es sich um übernatürliche Wesen handelt, dass jede Fremdheit, die ihnen eigen ist, in ein Reich jenseits der Natur relegiert wird. Man vergleiche das mit einem schwarzen Loch: Die bizarre Art und Weise, wie es Raum und Zeit verformt, liegt vollkommen außerhalb unserer gewöhnlichen Erfahrung. Und dennoch sind schwarze Löcher Teil unseres Kosmos – eines Kosmos, der darum viel merkwürdiger ist, als wir begreifen können.

      Es