Die Berliner Mauer. Alexander Schug

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Название Die Berliner Mauer
Автор произведения Alexander Schug
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621535



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der staatlichen Einheit Deutschlands erinnern, zugleich aber auch die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte würdigen soll.

      Neben diesen verschiedenen Formen des Erinnerns, die der Information und dem Gedenken dienen, ist jedoch auch eine zunehmende Kommerzialisierung bei der Erinnerung an die Mauer zu beobachten. So werden insbesondere im Bereich des früheren Grenzübergangs am Checkpoint Charlie eine Vielzahl von Aktionen und Produkten für Touristen angeboten, z.B. Fotos mit Uniformierten, ›Stamp Your Passport‹-Aktionen, Mauerrundflüge oder eine Trabi-Safari. Im Shop des Mauer-Museums können neben Publikationen zur Mauer aus dem hauseigenen Verlag auch T-Shirts und Kaffeebecher mit dem Aufdruck »You are leaving the American sector«, Mauerstücke und Spielzeugtrabis käuflich erworben werden. So fragwürdig diese Angebote manchmal sind, weil sie die Mauer popkulturell verharmlosen – sie zeigen aber auch ganz deutlich, dass die Teilung der Stadt tatsächlich Geschichte geworden ist, die von vielen nicht einmal mehr erinnert wird und heute nunmehr Touristenakttraktion geworden ist.

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      Touristenattraktion: Die Berliner Mauer wird heute erfolgreich vermarktet

      Wie weit wir uns von der Zeit entfernt haben, in der die Mauer als eines ihrer schockierendsten Zeichen verstanden wurde, trat im Frühjahr 2009 an der East Side Gallery zu Tage. Das längste erhaltene Mauerstück in der Nähe des Ostbahnhofs wurde aufwendig restauriert und konserviert, ein sinnvoller und richtiger Schritt, um die Erinnerung an die Teilung, die Mauertoten und die Folgen des real existierenden Sozialismus wach zu halten. Das Bild der Mauer und ihrer Restaurierung birgt aber auch Absurdes in sich, wenn man daran denkt, dass Generationen gegen dieses Bauwerk gekämpft, es sprichwörtlich untergraben, den Fall ersehnt und bejubelt haben. Die Mauer und ihre erhaltenen Anlagen sind heute ein Freilichtmuseum, das unter Denkmalschutz steht – aber nach wie vor Fragen stellt, auch nach über 20 Jahren Mauerfall.

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      Exotik pur: Safaris in den Dschungel der Vergangenheit. DDRGeschichte ist vielfach nur noch Gegenstand unterhaltsamer Event-Angebote

      Geschichtstour 1

      1

      Dauer circa 2 – 2½ Stunden

      Diese Tour führt Sie auf einem Spaziergang vom heutigen Regierungsviertel bis zur traditionsreichen Friedrichstraße durch die Berliner Mitte. Sie folgen dabei einem Mauerabschnitt, der in den Jahren der Teilung wegen seiner Lage im historischen Zentrum der Stadt auch international bekannt war. Staatsgäste aus aller Welt, die während des Kalten Krieges die ›Frontstadt‹ Berlin besuchten, besichtigten hier die Berliner Mauer – übrigens von beiden Seiten des ›Eisernen Vorhangs‹. Denn als Gegenstück zu einer Besucherplattform auf West-Berliner Seite hatte auch die DDR eine kleine Tribüne vor dem Brandenburger Tor aufgebaut, die ausgewählte Gäste für den Blick zum imperialistischen Klassenfeind‹ nutzten.

      Von den alten Grenzanlagen zwischen Reichstag, Brandenburger Tor und Checkpoint Charlie sind heute nur noch wenige Reste erhalten. Umfangreiche Baumaßnahmen seit der Wiedervereinigung haben die Topografie der Stadt völlig verändert. Nur wenig ist dem Bauboom dieser Jahre entgangen. Die Spurensuche erleichtern heute neben einer Markierung des Mauerverlaufs im Boden zudem zahlreiche Tafeln, die über die Geschichte des jeweiligen Ortes während der Teilungszeit informieren. Denn die Strecke, die im Verlauf der gut 40 Kilometer langen innerstädtischen Grenze touristische Hotspots Berlins verbindet, ist auch heute bei Berlinbesuchern sehr beliebt.

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      1 – Gedenkstein Günter Litfin

      2 – Parlament der Bäume

      3 – Weiße Kreuze

      4 – Pariser Platz und Brandenburger Tor

      5 – Potsdamer Platz

      6 – Wachturm Erna-Berger-Straße

      7 – Niederkirchnerstraße

      8 – Checkpoint Charlie

      Station 1: Humboldthafen - Gedenkstein Günter Litfin

      Verkehrsanbindung:

      Station Hauptbahnhof: Fern- und Regionalverkehr, S 5, S 7, S 75, S 9, Bus M 41, M 85, TXL, 120, 123, 147, 240, 245, N 20, N 40

      Ausgangspunkt der Tour ist die Hugo-Preuss-Brücke am Alexanderufer in unmittelbarer Nähe des Berliner Hauptbahnhofs. Von der Brücke aus haben Sie einen guten Blick auf den Berliner Humboldthafen, dem Schauplatz der ersten Todesschüsse an der Berliner Mauer 1961, die damals noch vielerorts ein Provisorium aus einfachen Bauzäunen war. »24. Aug. 1961, 16.15 Uhr: Tod durch fremde Hand. Hals- und Mundboden-Durchschuß, verbunden mit Ertrinken.« Der Totenschein fasste ins Amtsdeutsch, was nur elf Tage, nachdem das SED-Regime mit der Absperrung zum Westteil der Stadt begonnen hatte, die Öffentlichkeit erschütterte: Der 24-jährige Günter Litfin starb bei seinem Fluchtversuch über das Bahngelände zwischen Friedrichstraße und Lehrter Bahnhof (heute Standort des Hauptbahnhofs). Von Grenzposten entdeckt, versuchte er durch den Spreekanal im Humboldt-Hafen die Westseite schwimmend zu erreichen, bis ihn die gezielten Schüsse in den Kopf trafen. Die Leiche wurde Stunden später aus der Spree geborgen. Während in der DDR-Presse verleumderische Artikel erschienen, nahm die West-Berliner Öffentlichkeit regen Anteil am Schicksal dieses ersten Gewaltopfers an der Mauer. Gegenüber der Stelle, an der Günter Litfin ins Wasser gesprungen war, wurde zum Jahrestag seines Todes ein Gedenkstein aufgestellt, der bis 1995 die zentrale Gedenkstätte des Landes Berlin für die Mauertoten war.

      Aufgrund von Bauarbeiten zwischenzeitlich entfernt, befindet sich der Gedenkstein heute an der Sandkrugbrücke an der Invalidenstraße einige hundert Meter von der Hugo-Preuss-Brücke entfernt. Sobald das Alexanderufer, der Flucht- bzw. Bergungsort von Günter Litfin, fertig gestellt ist, soll der Stein dort platziert werden.13 Eine Infostele der Geschichtsmeile Berliner Mauer auf der Hugo-Preuss-Brücke in Richtung Regierungsviertel erinnert an das erste Gewaltopfer an der Mauer. Im Ost-Berliner Ortsteil Weißensee ist heute eine Straße nach Günter Litfin benannt. 2003 eröffnete dessen Bruder Jürgen, der vom Tod seines Bruders aus dem West-Fernsehen erfahren hatte, die Günter-Litfin-Gedenkstätte in der Kieler Straße in einem ehemaligen Wachturm.

Image Lesetipp: Jürgen Litfin, Tod durch fremde Hand. Das erste Maueropfer in Berlin und die Geschichte einer Familie, Husum 2007 Der Bruder des ersten Gewaltopfers an der Mauer schildert die bewegende Geschichte seiner Familie, die nach dem missglückten Fluchtversuch jahrzehntelang ins Fadenkreuz der Stasi geriet.

      Die Spree war für die Grenztruppen ein besonderes Sicherheitsrisiko. Eine gefährliche Flucht in die Freiheit gelang 1962 mit einem gekaperten Ausflugsschiff der ›VEB Weiße Flotte‹. Vierzehn junge Ost-Berliner steuerten das Schiff unter dem Dauerfeuer von Volkspolizei und Grenztruppen in den Westen. Die ›Friedrich Wolf‹, mit 60 Metern der längste Passagierdampfer und das Flaggschiff der ›VEB Weiße Flotte‹, hatte für den Tag der Flucht die Genehmigung zur Fahrt ins Grenzsperrgebiet am Berliner Osthafen. Das Hafenbecken und das Nordufer gehörten zu Ost-Berlin, das Südufer dagegen zum Westteil der Stadt. Den Fluchtwilligen gelang es, in der Nacht auf den 8. Juni 1962 den trinkfreudigen Kapitän und den 1. Maschinisten zu überwältigen und das Schiff in ihre Gewalt zu bringen. Als das am frühen Morgen in den Hafen einlaufende Boot plötzlich nach Backboard drehte und damit in Richtung Freiheit steuerte, eröffnete ein herbei geeiltes DDR-Polizeiboot das Feuer aus Maschinengewehren. Der Untersuchungsbericht der DDR-Behörden zählte am Ende 138 abgegebene Schüsse. West-Berliner Polizisten