Einheit der Kirche?. Helmut Fischer

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Название Einheit der Kirche?
Автор произведения Helmut Fischer
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290176792



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Einige dieser Strömungen versuchten, den christlichen Glauben zu vereinnahmen und in ihr System zu integrieren, so z. B. die Gnosis, eine religionsphilosophische Bewegung, die den Glauben durch Erkenntnis zu ersetzen suchte.

      Angesichts dieser Herausforderungen und der Gefahr, sich in einem anderen religiösen Konzept aufzulösen, waren die Gemeinden genötigt, sich auf ihre Wurzeln, auf ihre Glaubensinhalte, auf ihren Auftrag und auf ihr geistiges Profil zu besinnen und dies auch klar zu artikulieren. Dazu mussten auch Strategien für innergemeindliche Klärungsprozesse entwickelt und autorisierte Sprecher eingesetzt werden, die gemeindliche Aktivitäten koordinierten, vermittelten und Auskunft darüber geben konnten, was als christlich galt und was nicht. Damit war ein Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, |27| der grundsätzlich nie zu einem Ende kommen, und der ebenso grundsätzlich nicht einsträngig verlaufen kann, da für dasselbe Problem oft mehrere Lösungen denkbar und möglich sind.

      Von Beginn an haben die christlichen Gemeinden in ihrer Welt je ihren Weg suchen müssen. Die biblischen Schriften zeigen, dass sie dafür ihr Gemeindeleben im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf jene Bedingungen abstimmten, in denen sie lebten. Von ihren verschiedenartigen Ausgangsbedingungen her haben Gemeinden und Kirchen in unterschiedlichen Kulturen, religiösen Umfeldern, Sprachwelten und politischen Begebenheiten in verschiedener Weise Gestalt angenommen und sich entwickelt. Blicken wir nach 2000 Jahren Kirchengeschichte auf die Kirchen, die sich |29| der Christusbotschaft verdanken, so zeichnen sich drei Kirchenmodelle ab, in die sich alle bestehenden Kirchen einordnen lassen:

       das im byzantinischen Raum entstandene Modell der Orthodoxie,

       das im lateinischen Westen ausgeformte Modell des römischen Katholizismus,

       das in der Reformation der Westkirche entstandene Modell des Protestantismus.

      Was ist in 2000 Jahren aus den Impulsen geworden, die von dem Galiläer Jesus ausgegangen sind? Wir beschränken uns in diesem Kapitel darauf, die genannten drei Kirchenmodelle mit einigen historischen Hilfen so zu beschreiben, wie sie sich dem aufmerksamen Beobachter heute zeigen.

      3.1.1 Der historische Hintergrund

      Als die Christusbotschaft in die Welt trat, gehörten alle Landschaften um das Mittelmeer zum römischen Weltreich, das sich von Spanien bis Mesopotamien und von Nordafrika bis nach Britannien erstreckte. Galiläa, der geographische Ausgangspunkt der Christusbotschaft, lag am östlichen Ende des Römischen Reichs. In den ersten Jahrhunderten seiner Geschichte entfaltete sich das Christentum vor allem in der Osthälfte des Römischen Reichs, um die Zentren Jerusalem, Antiochia und Alexandria und später auch Byzanz/Konstantinopel.

      Obwohl es in der Reichshauptstadt Rom bereits wenige Jahre nach Jesu Tod eine christliche Gemeinde gab, wurden der christliche Glaube und das Selbstverständnis der christlichen Kirche zunächst im Osten des Reiches ausgeformt, und zwar im Medium der griechischen Sprache und der griechisch-hellenistischen Kultur. Diese war von den Nachklängen der griechischen Philosophie, von alten Naturkulten und von Mysterienkulten geprägt. Konstantinopel stieg im 4. Jahrhundert zur Hauptstadt der östlichen Reichshälfte auf. Hier wurde 380 die christliche Kirche zur alleinigen Religion erhoben. Die Kaiser drängten nicht nur auf Einigkeit im Glauben, sondern auch auf Einigkeit im Selbstverständnis von Kirche. Unter diesen geistig-politischen Bedingungen hat die Orthodoxie ihr Kircheverständnis ausgebildet.

      3.1.2 Die Einheit in der Vielzahl

      Die Orthodoxie umfasst gegenwärtig sechzehn orthodoxe Kirchen. Sie verstehen sich in Glaubensfragen als orthodoxe Einheit und stehen untereinander in voller kirchlicher und sakraler Gemeinschaft. Hinsichtlich der Verwaltung bilden sie allerdings autonome Kirchen. Der Erzbischof von Konstantinopel gilt als der ökumenische Patriarch. Er ist unter den Bischöfen ein primus inter pares (Erster unter Gleichen), dem von der Versammlung der Bischöfe das Recht übertragen wurde, ökumenische Versammlungen einzuberufen, deren Vorsitz zu führen und ökumenische Angelegenheiten der Orthodoxie zu koordinieren. Er wird weder als Papst verstanden, noch hat er dessen Vollmachten.

      |30| 3.1.3 Die dreistufige Hierarchie

      Die orthodoxen Kirchen haben eine dreistufige priesterliche Hierarchie. Dieser Klerus besteht aus den geweihten Ortsbischöfen als den zentralen Gestalten von Kirche und gottesdienstlichem Leben. In ihrem Auftrag handeln die Priester und die Diakone, die für ihren Dienst vom Bischof geweiht werden. Die Priester können vor ihrer Weihe eine Ehe schließen. Für Bischöfe besteht seit dem 7. Jahrhundert die Pflicht zur Ehelosigkeit.

      3.1.4 Die Einheit von Bischof, Kirche und Laien

      Die Orthodoxie hat für ihr Kirchenverständnis kein Dogma. Was Kirche ist, das erfährt man, indem man an der göttlichen Liturgie (dem orthodoxen Gottesdienst) teilnimmt, und zwar insbesondere durch die Eucharistie. In der Eucharistie begegnen die Gläubigen dem auferstandenen Christus, hier ereignet sich die Gemeinschaft mit Christus, aus der Kirche lebt. So ist in jeder Ortsgemeinde durch die Eucharistie die Kirche Christi ganz gegenwärtig. Die Eucharistie kann allerdings allein durch den Bischof vollzogen werden oder durch den in seinem Auftrag und in seiner Vollmacht handelnden Priester oder Diakon. So ist der Bischof der tragende Pfeiler der Kirche Christi. Ohne einen konkreten Bischof gibt es demnach keine Kirche.

      3.2.1 Ausrichtung auf den Papst

      Im lateinischen Westen hat sich ein Kirchenmodell entwickelt, das im Bischof von Rom als dem Nachfolger des Apostels Petrus den Stellvertreter Christi auf Erden sieht. Eine feinabgestufte priesterliche Hierarchie ist auf den Papst als die höchste Autorität hingeordnet.

      Der Papst besitzt den absoluten jurisdiktionellen Primat (Vollmacht und Vorrang der Rechtsprechung) über alle Nationalkirchen |31| und über alle Christen. Er ist ferner der Inhaber des obersten Lehramts der Kirche und ist dafür mit der Gabe der Unfehlbarkeit und der Irrtumslosigkeit ausgestattet, wenn er in Fragen des Glaubens und der Sitte entscheidet. Kraft seines Amtes als Stellvertreter Christi verfügt er in der Kirche über »höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann« (CIC 331). Seine Entscheidungen sind aus sich, nicht erst durch Zustimmung anderer, unabänderlich. »Gegen ein Urteil oder ein Dekret des Papstes gibt es weder Berufung noch Beschwerde« (CIC 333). Das römisch-katholische Kirchenmodell hat die Struktur einer romzentrierten päpstlichen Universalmonarchie.

      3.2.2 Der Bischof

      Das Amt des Bischofs ist für das Kirchenverständnis der römisch-katholischen Kirche konstitutiv. Denn auch hier gilt: »Die Eucharistie baut die Kirche« (KKK 1396). »Das ganze liturgische Leben der Kirche kreist um das eucharistische Opfer und um die Sakramente!« (KKK 1113). Die Eucharistie ist »Quelle und Höhepunkt des ganzen kirchlichen Lebens« (LG 11) und sie »enthält das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst« (PO 5). Der Eucharistiefeier kann nur der Bischof vorstehen oder ein geweihter Priester im Auftrag und in der Vollmacht des Bischofs.

      Dem Bischof wird von anderen geweihten Bischöfen, die in der apostolischen Sukzession stehen, »durch die Bischofsweihe die Fülle des Weihesakramentes übertragen« (LG 21). Er ist in seiner Diözese Nachfolger und authentischer Vertreter der Apostel. Mit der Weihe durch bischöfliche Handauflegung erhält der Geweihte ein Amtscharisma im Sinne eines unauslöschlichen Prägemales (character indelebilis), das ihn bevollmächtigt, »in der Person des Hauptes Christus« (PO 2) zu handeln. Diese Vollmacht kann er durch Weihe in abgestufter Weise auf Priester und Diakone übertragen.

      |32| Die Bischöfe werden vom Papst frei ernannt oder bestätigt. Durch einen Treueeid werden de Bischöfe auf den Primat des Papstes verpflichtet. In der Eidesformel von 1987 heißt es: »Ich … werde … dem Papst