Название | Einheit der Kirche? |
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Автор произведения | Helmut Fischer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783290176792 |
Paulus wusste sich von seiner Christusvision von Damaskus im Jahr 33 zum »Apostel des Herrn« berufen und dadurch auserwählt und ausgesandt, seinen Namen und seine Botschaft unter den Völkern zu verbreiten. An die Galater schrieb er, dass |22| es Gott »gefiel, mir seinen Sohn zu offenbaren, dass ich ihn unter den Völkern verkündige« (Gal 1,15). Paulus verstand seine Berufung so, wie es Jesus seinen Jüngern gegenüber ausgedrückt hatte: »Wer unter euch groß sein will, sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, sei der Knecht aller. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mk 10,43–45).
Von diesem Verständnis seiner Berufung zum Zeugendienst her hat es Paulus auch als die Aufgabe der Gemeinde und eines jeden Christen betrachtet, die Christusbotschaft durch das eigene Leben vor aller Welt zu bezeugen und in die Welt hinauszutragen. Dieser Dienst erledigt sich nicht spontan und von allein, sondern er muss geordnet geschehen, und zwar sowohl innerhalb der Gemeinde als auch im Wirken nach außen. Dabei geht es nicht darum, Ämter zu verteilen, sondern die Geistesgaben (Charismen) der Einzelnen so einzusetzen, das sie dem Aufbau der Gemeinde und deren Zeugnis vor der Welt dienen.
Was mit »Charisma« gemeint ist, deutet Paulus in 1Kor 12,8–10 an. Er nennt Weisheitsrede, Erkenntnisrede, prophetische Rede, Zungenrede und die Fähigkeit, diese zu übersetzen, sowie Unterscheidung der Geister und Gabe der Heilung. Jeder Getaufte hat danach eine Gabe, die er für das Leben und das Zeugnis in die Gemeinde einbringen kann. Insofern ist jeder seiner Gabe gemäß zum Zeugen- oder Aposteldienst berufen. Es geht dabei nicht um Selbstdarstellung, nicht um Macht und nicht um Ansehen. Denn: »Die uns zugeteilten Gaben sind verschieden, der Geist jedoch ist derselbe. Die Dienste sind verschieden, der Herr aber ist derselbe. Das Wirken der Kraft ist verschieden, Gott jedoch ist derselbe, der alles in allen wirkt. Jedem wird die Offenbarung des Geistes so zuteil, dass es allen zugutekommt« (1Kor 12,4–7).
Innerhalb dieser verschiedenen Dienstfunktionen gibt es |23| keine verschiedenen Grade der Würde. »Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, die Glieder aber nicht alle dieselbe Aufgabe erfüllen, so sind wir, die vielen, in Christus ein Leib, im Verhältnis zueinander aber Glieder« (Röm 12,4f). Prophetisch reden, lehren, trösten, heilen, einfache Hilfsdienste leisten, Almosen geben, leiten u. a. sind gleich wichtig und gleich wertvoll. Weder jeder noch einer allein muss alles beherrschen und tun. Bei Paulus ist noch keinerlei Tendenz zu festen Gemeindeämtern erkennbar. Als nicht geschichtlich kann die Notiz in Apg 14,23 gelten, wonach Paulus in jeder seiner Gemeinden Älteste eingesetzt hat.
2.2.9 Die kirchlichen Ämter
Bezeichnungen wie »Lehrer«, »Älteste«, »Diakone«, »Bischöfe« werden im heutigen Sprachgebrauch der Kirchen als theologisch und rechtlich geordnete Ämter verstanden, die nur in offiziellem Auftrag wahrgenommen werden dürfen. Derartige Ämter gab es in den beiden ersten Christengenerationen nicht.
In den von Charismatikern gegründeten Gemeinden lagen feste Ämter außerhalb des Denkbaren. In den paulinischen Gemeinden kannte man Evangelisten, Hirten, Apostel, Propheten und andere Charismen. Man bezeichnete damit Funktionen, die in ihren Schwerpunkten zunächst noch nicht festgelegt waren, sondern nach den örtlichen Gegebenheiten mit konkreten Aufgaben verbunden wurden. In den palästinensischen Gemeinden nahm zuerst die Funktion der Ältesten (Presbyter) als Leitungsgremium der Gemeinde deutlichere Konturen an. In jenen vier Textstellen, die im Neuen Testament von Bischöfen sprechen, werden diese in ihrer Funktion als Aufsichtführende mit den Presbytern gleichgesetzt oder ihnen zugeordnet.
Bemerkenswert ist, dass die christlichen Gemeinden für ihre Funktionsbezeichnungen auf keinen der sakralen Titel der jüdischen oder hellenistischen Umwelt zurückgegriffen |24| haben, sondern an die säkularen Wortbedeutungen anknüpften. Das wird noch auszuführen sein.
2.3 Der Umbruch um die Jahrhundertwende
2.3.1 Örtliche Improvisation der beiden ersten Generationen
In den von Paulus gegründeten Gemeinden begannen sich je nach den örtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten ab Mitte der 50er Jahre Ansätze für Ämter im Sinne von festen Zuständigkeiten herauszubilden. Den Episkopen (Aufsehern) wurde die Aufgabe übertragen, die Mahlfeiern zu ordnen und zu leiten, erforderliche Verwaltungsarbeiten auszuführen, auf Disziplin zu achten und seelsorgerliche Funktionen zu übernehmen. Diakone erhielten die Aufgabe, über die Dienste bei der Mahlfeier hinaus sich der Armen und Kranken in der Gemeinde anzunehmen und das karitativ Notwendige zu tun oder zu organisieren.
Die anstehenden Aufgaben erwuchsen der Gemeinde aus den Impulsen des Evangeliums. Eine Langzeitperspektive war damit nicht verbunden, denn noch lebte man in der Erwartung des nahen Endes. Es erwies sich als sinnvoll, Zuständigkeiten im Sinne einer Arbeitsteilung zu ordnen und zu bündeln. Der Gedanke an herausgehobene Ämter hat dabei noch keine Rolle gespielt. An besondere Amtsvollmachten war ebenfalls noch nicht gedacht. Angesichts des nahen Endes blieb es bei der Improvisation.
2.3.2 Die christlichen Gemeinden lösen sich vom Judentum
Ein Wandel im Verständnis der Ämter vollzog sich erst in der dritten Generation, und zwar um die Wende zum 2. Jahrhundert als Antwort auf die großen Veränderungen innerhalb und im Umfeld der Gemeinden. Hier seien nur die drei wesentlichen angedeutet.
Erste Veränderung: Die christlichen Gemeinden hatten sich |25| um die Jahrhundertwende überall und endgültig vom Judentum gelöst und zu eigenständigen sozialen Gruppen entwickelt, die sich als solche organisieren und auch nach außen darstellen mussten.
2.3.3 Die Naherwartung erlischt
Zweite Veränderung: Der Kern der Botschaft Jesu ist in dem Satz enthalten: »Nahe gekommen ist das Reich Gottes« (Mk 1,15). Mit seiner jüdischen Religion lebte Jesus in der Erwartung, dass das Ende dieser Welt und das Anbrechen der Herrschaft Gottes unmittelbar bevorstehe. Das Jesuswort »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10,18) lässt erkennen, dass Jesus in seinem Wirken die Herrschaft Gottes bereits anbrechen sah. In Lk 11,20 heißt es anschaulich: »Wenn ich jedoch durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gelangt.« Die Macht des Bösen ist bereits gebrochen. Nach Mk 9,1 scheint es, als habe Jesus den sichtbaren Anbruch der Endzeit (das Reich Gottes) in naher Zukunft, und zwar noch während der Lebenszeit seiner Zeitgenossen erwartet: »Einige von denen, die hier stehen, werden den Tod nicht schmecken, bevor sie das Reich Gottes sehen, wenn es gekommen ist mit Macht.« Dieser Überzeugung waren auch Paulus und mit ihm die Gemeinden seiner Generation, wie aus 1Thess 4,15 (geschrieben 50 oder 51) zu entnehmen ist.
Im letzten Viertel des ersten Jahrhunderts begannen die Gemeinden zu erkennen, dass mit dem sichtbaren Ende dieser Welt und der weltweiten Herrschaft Gottes in unmittelbarer Zukunft nicht zu rechnen sein würde. Sie fingen daher an, sich als Inseln des Reiches Gottes in dieser Welt zu verstehen und sich in einer Art Zwischenphase einzurichten, in der es nun galt, die Christusbotschaft vom Reich Gottes vor und in dieser Welt zu bezeugen. Wer sich auf längere Dauer einrichtet, der muss sich organisieren, um zu überleben. Die Erwartung |26| des Endes dieser Welt und der Gottesherrschaft blieb erhalten, sie wurde aber in eine nicht bekannte Zukunft verschoben.
2.3.4 Die häretischen Strömungen nötigen zu Klärungen
Dritte Veränderung: Der Apostel Paulus musste sich in seinen Briefen, die (mit Ausnahme des Briefs an die Römer) Gelegenheitsschriften sind, immer wieder mit Gegnern auseinandersetzen, die seiner Christusbotschaft widersprachen und ihr andere Inhalte zu unterstellen suchten. Er nennt diese Gegner »falsche Brüder«, weil sie unter dem Vorwand, Christus zu verkündigen, sein Evangelium grob verfälschten (Gal 2,4 u. ö.). Die einen wollten den christlichen Glauben in den Rahmen des jüdischen Denkens zurückholen, andere wiederum forderten aus philosophischer Sicht unbehinderte moralische Freiheiten oder strenge Askese. Diese Probleme wuchsen für die Gemeinden in dem Maße, in welchem sie sich in der hellenistischen Welt ausbreiteten