Название | Vom guten Tod |
---|---|
Автор произведения | Reiner Sörries |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766642837 |
Andererseits ist Gott ein Gott, der unbedingt das Leben will. So glauben wir Christen es. Wie rasch verbirgt sich dann der als vorzeitig oder unzeitig empfundene Tod hinter unendlich vielen Fragen! Hat es Gott gefallen, Katastrophen, Unglücksfälle oder Kriege, eine schwere, tödliche Erkrankung mitten im Leben oder gar über ein Kind hereinbrechen zu lassen? Es war erst in unserer Zeit, als der Schweizer Theologe, Schriftsteller und Lyriker Kurt Marti es wagte, Gottes Gefallen am Tod eines Menschen ins Gegenteil zu verkehren. In seinen berühmten, 1969 verfassten Leichenreden dichtete Marti:
dem herrn unserem gott hat es ganz und gar nicht gefallen dass gustav e. lips durch einen verkehrsunfall starb
Einer zeitgemäßen Theologie will es nicht mehr gelingen, dem Tod eines Menschen einen Sinn abzugewinnen, zumindest keinen, der über das Grundmotiv der allgemeinen Sterblichkeit hinausginge. Es kann Gott nicht gefallen haben, dieses Leben so oder so enden zu lassen, zugleich darf es sich aber auch nicht gegen Gottes Willen ereignet haben. Aber selbst wenn man hinter jedem Sterben, so sehr es uns auch irritieren und verunsichern kann, die Allmacht Gottes postuliert, lässt sich daraus kaum mehr ableiten, was denn als guter Tod zu verstehen sein soll.
Im Tod des Ungerechten mag man rasch eine gerechte Strafe vermuten; dann würde der Tod wieder Sinn machen. Doch woraus resultiert der Tod eines (scheinbar) rechtschaffenen Menschen? Immerhin könnte man hinzufügen, dass niemand ohne Schuld ist, und sei es, dass er die Schuldenlast des ersten Menschenpaares in Gestalt der Erbsünde in sich trägt. Das mag sogar akzeptabel sein, wenn ein Mensch nach einem langen und erfüllten Leben heimkehren darf zu seinem himmlischen Vater. „Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland“, dichtete Paul Gerhardt 1666. Ist das Leben eine Pilgerreise durch fremde Gestade, dann beginnt an der Schwelle des Todes die Heimkehr zur wahren Bestimmung des Menschen. Kein Tod ist dann vergebens, denn er bringt zurück, was in der Fremde verloren war.
Es soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, wie tragfähig dieses Grundmuster christlichen Glaubens einst war und heute ist, auch weil dies eine sehr persönliche Frage ist. Aber die Vorstellung vom Tod als Pforte zur wahren Heimat darf nicht dazu führen, den Tod herbeisehnen oder gar herbeiführen zu wollen. Darin sind sich Judentum, Christentum und Islam einig, dass das Leben ein Gottesgeschenk ist, das man nicht leichtfertig oder vorsätzlich wegwerfen darf. Diese Religionen stimmen deshalb darin überein, dass Suizid und bewusste Lebensverkürzung unzulässig sind. Mit einer derartigen Grundhaltung ist die Haltung der Religionen gegenüber den gegenwärtig diskutierten Sterbeszenarien durchaus vorbestimmt. Außer dem von Gott gewollten, bestimmten und natürlichen Sterben kann es einen guten Tod nicht geben.
Dass der Tod für den Menschen unverfügbar ist, belegt auch der stets wiederkehrende Topos von der Ungewissheit der Todesstunde: Mors certa, hora incerta – Der Tod ist gewiss, ungewiss ist die Stunde. Niemand weiß, wie nahe ihm sein Ende, ist und wann es eintritt, denn der Tod kommt wie der Dieb in der Nacht. Zumindest aus dieser Betrachtungsweise ist dem Menschen ein wie auch immer gearteter Eingriff in das Todesgeschehen nicht gestattet, denn er würde die Allmacht Gottes verletzen. Spätmittelalterliche Predigten belegen, dass diese Botschaft ein wichtiger Bestandteil kirchlicher Unterweisung gewesen ist: „Das drit ist das der mensch nit weis / wann er stirbt ob es nachts ist oder tages ob er in dem sumer stirbt oder in dem winter / es ist nichts gewisers wann der tod . Aber nichts ungewiser wann die zeit des todes“, heißt es in einer deutschen Predigthandschrift aus dem Klarissenkloster in Brixen.10
Doch trotz eindeutigem Bekenntnis zum Leben kennen alle drei Religionen das Martyrium, in dem Menschen unter bestimmten Voraussetzungen ihr Leben freiwillig preisgeben. Märtyrerinnen und Märtyrer genießen dabei nicht nur Verständnis, sondern sogar Bewunderung und Verehrung. In der Beurteilung dieses Sachverhaltes tun wir uns leichter, wenn sich die Martyrien unter irgendeinem römischen Kaiser in ferner Vergangenheit ereignet haben. Knochen und Gebeine frühchristlicher Märtyrer ruhen in goldenen Schreinen und fordern zur Andacht heraus. Aber auch noch in den KZs der Nationalsozialisten fanden sich Männer und Frauen, die in altruistischer Weise ihr Leben für andere dahingaben und die unseren Respekt genießen. Schwer tun wir uns mit jenen Märtyrern, die aus Glaubensüberzeugung sich selbst töten und andere mit in den Tod reißen. Entscheidend ist immer der kulturelle oder religiöse Blickwinkel. In keinem Fall können wir mit Sicherheit sagen, dass es Gott gefallen hat. Doch für die, die daran glauben, ist es ein guter Tod.
Was wir für Gottes Willen halten, bleibt trotz aller gelehrten Theologie immer Menschenwerk. Nicht Gottes Wille ist veränderlich, sondern das Denken und Fühlen der Menschen, und so gestaltet sich eine Geschichte des guten Todes im Kontext kultureller Veränderungen, und jede Zeit findet dazu ihre eigene Einstellung. Nichts bleibt unveränderlich gültig. Bis wir uns dem nähern, was in unserer Gegenwart an Sterbeszenarien diskutiert wird, werden wir verschiedenen Konzepten des guten Todes begegnen, die jeweils nur in ihrer Zeit Gültigkeit besaßen. Ob darunter je ein Tod war, der Gott gefallen hat, sei an dieser Stelle doch sehr infrage gestellt.
IV. Der gute und der jähe Tod – im Mittelalter
Die Redeweise vom guten Tod taucht explizit im späten Mittelalter auf, und zwar in konkreter Abgrenzung zum schlechten Tod. Der gute Tod – bona mors – steht dem schlimmen Tod – mala mors – gegenüber. Eindeutig definiert ist der gute Tod als solcher, der bewusst und vorbereitet erlebt wird, und das heißt wiederum, dass der Sterbende versehen mit den Sterbesakramenten aus dem Leben scheidet. Wer einen guten Tod stirbt, hat das Bußsakrament, die letzte Ölung und die Eucharistie empfangen, wodurch ihm seine Sünden vergeben sind. Im Bewusstsein, nach dem Tod vor das göttliche Gericht treten zu müssen, wollte man sich der Heilsmittel der Kirche bedienen. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass der schlechte Tod jener war, der plötzlich und unvorbereitet eintrat. Andere Kriterien für den guten bzw. schlechten Tod kannte das Mittelalter nicht. Gefürchtet waren demnach vor allem Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang, oder es herrschte die Angst, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Möglicherweise hat die Pest ihren Anteil an dieser Ausprägung des Todesverständnisses. Seit 1347 überzog sie in mehreren Wellen ganz Europa und hinterließ vielerorts chaotische Verhältnisse, in denen weder eine medizinische noch eine seelsorgerliche Versorgung der Erkrankten möglich war. Und sie starben ohne priesterlichen Beistand einen schlimmen Tod. Die Sorge um den jähen Tod war außerdem durch eine theologische Entwicklung gesteigert worden, die das Seelenheil ganz vom Verhalten in der Sterbestunde abhängig machte. Nur wer hier geistlichen Beistand erfuhr, durfte auf ein gnädiges Gericht hoffen.
ars moriendi – die Kunst zu sterben
Eine Unterweisung im rechten Sterben bot die im 15. Jahrhundert entstandene Gattung von Erbauungsschriften, die unter dem Namen ars moriendi bekannt ist – die Kunst des Sterbens. Solche Sterbehandbücher waren zunächst für die Seelsorger gedacht, erfuhren jedoch vor allem durch ihre Bebilderung eine populäre Verbreitung. Die Illustrationen stellen den Sterbenden in jeweils antithetischen Bildpaaren gegenüber, einmal umringt von Teufeln und Dämonen, die versuchen, ihn vom Glauben abzubringen, das andere Mal umsorgt von Engeln, Heiligen und der Gottesmutter, die ihn unter Verweis auf den erlösenden Tod Jesu am Kreuz im Glauben bestärken wollen. Die Kunst des Sterbens bestand also darin, den Versuchungen der bösen Geister zu widerstehen und den Glauben zu bewahren.
Doch konnte man sich dieses Beistandes angesichts der Möglichkeit eines unvorbereiteten Todes nicht sicher sein, und aus der Sorge vor einem jähen Tod schuf sich der Volksglaube Abwehrstrategien gegen den schlimmen Tod. Schon um 1300 wurden in Predigten die Segnungen der Messfeier beschrieben: