Leipzig. Hartmut Zwahr

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Название Leipzig
Автор произведения Hartmut Zwahr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783867295680



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sah den Spiegel im Flur bei Sparbeleuchtung, den Wolframs hatten. Die Fenstervorhänge waren zugezogen, der Wasserkrug war gefüllt. Im Hof die Frau, die ganz oben wohnte, hing Wäsche auf. Leinen waren kreuz und quer gespannt.

      Wenn Regine jetzt käme, würde sie der Frau in die Arme rennen.

      Die Tür war angelehnt. Die Glasfenster zum Treppenhaus hin waren mit Gitterranken gesichert, die Türkette nahm er ab, und als er sich umdrehte, stand Regine in der Tür, bisschen blass.

      Hat sie dich gesehn? I wo. Hatte Wäsche vor der Nase.

      Sie nahm die Weinflasche vom Tisch. Also hier wohnst du. Sie setzte die Flasche wieder hin. Die musst du alleine trinken. Das sagte sie nachher, als er in der Küche den Korkenzieher suchte.

      Sie saß nackt auf dem Bett. Komm, ich küss dich. Das war in diesem Halbdunkel vor dem hellen gelblichen Vorhang, bis er sie spürte und sich fallen ließ, dass die Sprungfedern ächzten.

      Sie legte die Sofadecke auf den Fußboden. Zudecke brauchen wir nicht. Gefall ich dir? Die Zeit rannte. Ja, so ist es schön. Bin ich dir zu schwer? Lass es kommen. Sie redeten nicht.

      Als sie hereingekommen war und der Wein auf dem Tisch stand, hatte sie kess gefragt: Die brauchst du wohl? Und den Wein wieder hingestellt. Mit dem Rücken zum Fenster hatte sie die Bluse abgestreift und auf den Tisch geworfen. Du bist dran.

      Sein Hemd hing am Stuhl.

      Sie öffnete den Rock. Jetzt du. Es dauerte bissel, es hätte eine Ewigkeit dauern können.

      Soll ich für dich ein Turnerhemd einpacken, hatte Mutter gefragt, das er auszog.

      Sie löste das Häkchen, schlenkerte den BH, den sie in hohem Bogen über die Bücher fliegen ließ.

      Plötzlich war die Spannung raus. Es gibt Mädchen, die keine haben, mir sind welche gewachsen, und verschränkte die Arme hinterm Kopf.

      Der Rock lag unten. Ich lasse was an.

      Hinten die Waschecke. Ich mag keinen Wein. Du hast nichts mit?

      Na das. Das war der Unterschied zur Abiturklasse.

      Musst dich nicht schämen. Ich will nicht schwanger werden.

      Sie zog was an. Ich hab dich lieb. Sie fuhr ihm durchs Haar. Bist du mir böse?

      Er ging über den Flur, holte Wasser.

      Das Haus war dunkel, als sie ging, die Hände am Treppengeländer. Bloß kein Licht machen. Er schloss auf. Im Morgenlicht der Hof, kühl, still. Die Wäsche war abgenommen.

      Den Ferienplatz hatten Wolframs vierzehn Tage.

      In einer von den Großen Pausen standen Friedhelm und die halbe Werktätigenklasse zusammen, Irina, Regina, Inka. Walter fehlte. Friedhelm setzte sich an den Flügel. Regine kam dazu.

      Es war wie immer und doch anders.

      Brigitta ist Mama geworden, sagte Regina. Frank heißt er, 52 cm lang, wiegt achteinhalb Pfund.

      Ziemlich schwer, was? Ich konnte mir Brigitta nicht vorstellen, ehrlich, mit einem richtigen lebendigen Baby. Du, Irina?

      Dass Brigitta ein Kind erwartet, wussten sie seit langem. Der Molch guckt die Frauen so genau an. Mir hat sie’s als erstem anvertraut, bloß um das klar zu stellen, sagte Friedhelm.

      Brigitta hatte sich von Pockrandt losgerissen. Sie versteckte den Bauch nicht mehr. Als das Kind zu sehen war, ging sie mitten im Unterricht zur Toilette. Klaus guckte weg. Vielleicht war ers doch? Sie saßen getrennt.

      Du weißt, wie ich das sehe, Pomuchelskopp! Wolfgang lachte verlegen. Er hatte seine Funktion abgegeben. Seitdem gingen sich die Genossen Böckler und Pockrandt aus dem Weg.

      Was bei Wolframs war, konnte Friedhelm nicht wissen, er hatte höchstens eine Ahnung davon und spielte: »Du, du, du, laß mein kleines Herz in Ruh«. Regine lief an.

      Die glühte ja, sagte Friedhelm, als sie in der Großen Pause ihre Runde drehten. Kann dir egal sein, wie Frauen das beurteilen.

      Du lernst wohl Russisch, rief Gertraude Schubert, die Rudi mit einem Zettel und Zigarette stehen sah.

      Regine lachte. Da mischt sich die Abiturklasse nicht ein.

      Es gab Unterrichtstage, da spürten sie sich heftig, wenn sie mit den anderen aus der Unterrichtsbaracke oder der Villa herausdrängten. Die Liebe war an manchen Tagen so stark, dass er erschrak. Sie fuhren nach der Schule durchs Leutzscher Holz, bis die Elster aufblitzte, drängten durch die Holunderbüsche, wo ihr Platz war, legten sich auf die braune Decke ins dicke Gras. Die schöne Sonne. Den Pullover unterm Kopf lag sie auf dem Rücken.

      Hast du gedacht, dass was passiert ist?

      I wo. Wie denn? Sind die guten Tage.

      Und wenn jemand kommt? Kommt er eben. Er nahm sie in die Arme, bis sie sich wieder fanden. Ich hab dich lieb. Ja, so, bist du lieb zu mir.

      Wenn jemand gekommen wäre, sie hätten es nicht bemerkt. Niemand kam, die Büsche reglos. Sie stützte sich auf. Wir sind verrückt. Mit dem Kleid deckte sie ihn zu. Mit dir ins Lager wäre ich lieber gefahren. Gemeint war das Pionierlager, in das sie fuhr.

      Bis überübermorgen liebt uns die Sonne, wenn sie scheint.

      Dass ich von der Schule vielleicht abgehe, kein wissenschaftlicher Bibliothekar werde, sollte ich ihr sagen.

      An der Elsterbrücke, wo die Panzer gestanden hatten, trugen sie die Räder über die Gleise, zu der Zeit fingen die Dahlieninseln im Palmengarten noch nicht mal mit Blühen an. Im späten Juli werden die Blütenköpfe aufleuchten. Die blühen wochenlang, einfache, volle, halbvolle.

      Du schwärmst ja, sagte sie erstaunt.

      Solche Blüteninseln gibt’s, die eine flammend rot, in verglühendem Rosa die andre, dickes Dahliengelb dazwischen. Wenn die Herbstmesse anfängt, blühen sie immer noch.

      Da geht das letzte Schuljahr los, sagte sie, und bald rollen uns die Kastanien vors Rad. Er begleitete sie fast bis nach Hause. Soll ich dich mal einladen, mag sie gedacht haben.

      Am nächsten Tag am Bahnsteig wollte er Regine was sagen. Sie legte den Finger an den Mund. Sag nichts, ich will mir nicht vorstellen, dass es mal aufhört mit uns. Du schreibst mir doch?

      Sie hatte das Abteilfenster heruntergelassen. Er winkte, bis ihr Winken nicht mehr zu sehen war.

      22

      Bestehe ich die Prüfung, entscheidet sich alles neu

      Mutter hatte Wäsche auf der Bleiche. Du wirst mir die Weißwäsche gießen, sagte sie, als die Briefträgerin auftauchte, die das Fahrrad schob. Ich sehe, ich werde erwartet, sagte die Brieffrau.

      Mutter sah zu. Nein, nicht von der Uni. Auf den Brief warte ich auch. Bloß, Mutter glaubte nicht, dass es ein Liebesbrief war.

      Musst dir keine Gedanken machen, schrieb Regine.

      Bei Wolframs hatte ich Schiss, das war gemeint, sie auch. Da hing die Wäsche im Hof, als ich den Korkenzieher suchte. Im Brief die Frage: »Soll ich ins Lager schreiben, wenn du dort sein wirst, oder möchtest Du das nicht, weil Friedhelm mitfährt?«

      »Wie Du weißt, bin ich mit weißen Söckchen und Sommersachen hierher gekutscht, jetzt muß ich mir was für den Regen nachschicken lassen. Bin gestern bis auf die Haut naß gewesen. Gott sei Dank, hat es aufgehört zu regnen. Jetzt finde ich es sogar schön hier, liege auf dem Bauch und schreibe. Bloß tut mir der Bauch weh, der Magen, ich habe zu viel Reis verkonsumiert, ich entwickle einen tollen Appetit. Ich würde ja lachen, wenn ich in die Kleider nicht mehr rein könnte. Am Montag ging es ein bissel drunter und drüber, ich hatte nicht die geringste Lust fürs Pionierlager, das muss ich sagen. Jetzt habe ich mich damit abgefunden, dich so lange nicht zu sehen.« Sie wird ihren Vater in München besuchen.

      Hannes, vergiss die Wäsche nicht!

      Eine Libelle stand reglos am Teichrand, ein Sprung, sie war fort. »Die Pionierleiter sind ganz prima.