Muster für morgen. Frank Westermann

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Название Muster für morgen
Автор произведения Frank Westermann
Жанр Языкознание
Серия Andere Welten
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871834



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ursprünglichen Programmierung«, erläuterte ihr Gastgeber. »Aber ihre hauptsächliche Aufgabe besteht darin, ein Bindeglied zu den Pflanzen herzustellen.«

      Lucky wunderte sich immer mehr. Wie sollten sich Roboter mit Pflanzen verständigen? In der Tat: eine erstaunliche Gesellschaft. Sie setzten sich auf einen Platz, der relativ frei von Pflanzenbewuchs war. Vier weitere Mutanten kamen hinzu. Robby rollte heran und brachte auf einem Tablett(!) mehrere Becher mit einem sonderbaren, aber zweifelsohne alkoholischen Getränk.

      »Kipp dir auch einen hinter die Binde«, zog einer der Mutanten ihn auf. Als der Roboter empört anfing, hektisch zu summen, lachten alle aus voller Kehle.

      Sonnenfeuer fiel in das Lachen ein, während Lucky und Kortanor immer noch etwas mulmig zumute war. Sonnenfeuer schien sich schneller an diese exotische Gesellschaft zu gewöhnen. Plötzlich hob sie beide Hände, konzentrierte sich einen Moment und dann lag eine Anzahl Brotscheiben und etwas, das wie Gebäck aussah, in ihrer Mitte.

      »Es hat geklappt!« rief sie freudestrahlend aus. »Jetzt ist mir wohler. Diese Umgebung ist viel besser. Es steht alles mehr miteinander in Einklang.«

      Die Mutanten klatschten begeistert in die Hände. Sonnenfeuers Zauberei schien sie zwar zu überraschen, aber nicht zu erschrecken. Lucky sah der Zauberin direkt die Erleichterung an. Vielleicht fand sie hier ihr Gleichgewicht wieder.

      »Ich will euch nicht länger hinhalten«, begann ihr Gastgeber seine Erzählung. »Soweit es überliefert ist, begann unsere Symbiose-Gesellschaft nach dem Großen Krieg. Dieses war lange Zeit ein Gebiet schwacher, aber trotzdem gefährlicher radioaktiver Strahlung. Es befindet sich ungefähr auf Höhe des ehemaligen Staates Indien – falls ihr mit diesem Begriff überhaupt etwas anfangen könnt. Wie überall haben auch hier nicht viele die Wasserstoff- und Neutronenbombenabwürfe überlebt. Die meisten Bewohner des Landes starben, einige schnell, andere siechten noch Jahre dahin. Diejenigen, die übrig blieben, begannen sich zu verändern. Aber auch von den Veränderten starben die meisten früher oder später. Ein paar überlebten. Sie sahen aus wie wir. Mutationen, verformt und nahezu lebensuntüchtig. Die wenigen, deren Verstand noch einigermaßen in Ordnung war, lebten lange Zeit dumpf vor sich hin, ohne Hoffnung zum Besseren. Sie waren vollauf damit beschäftigt, sich die täglichen Lebensmittel zu beschaffen und sich gegen die ebenfalls mutierte Natur zu behaupten, die unaufhaltsam vordrang. Die Städte waren ohnehin zerstört oder zu Grabstätten geworden und die Natur wucherte über die Ruinen hinweg. Kein Stein blieb dabei auf dem anderen. Es war, als wollte sich die Umwelt für alles rächen, was die Menschen ihr jemals angetan hatten. Unsere Vorfahren hätten keine Chance gegen diese Gewalten gehabt und wären sicher endgültig ausgerottet worden, wenn nicht eine weitere Kraft eingegriffen hätte. Irgendwann tauchte wie aus heiterem Himmel eine große Zahl Roboter aller Arten und Größen in diesem Gebiet auf. Woher sie kamen und wie sie sich selbstständig gemacht hatten, fanden wir niemals heraus. Sie sprechen einfach nicht darüber, wie eine intime Erinnerung, die sie nicht preisgeben wollen. Sie kamen auch nicht allein, sondern führten eine Reihe Maschinen und Geräte mit sich, als sie sich hier niederließen. Warum ausgerechnet hier und was sie dabei beabsichtigten, erfuhren wir ebenfalls nicht. Sie zogen durch den inzwischen entstandenen allgegenwärtigen Dschungel, bis sie auf unsere Vorfahren stießen. Und obwohl die Natur Grund genug gehabt hätte, diese Maschinen ebenfalls anzugreifen, tat sie es nicht, genauso wenig wie die Roboter sich von den Mutanten fernhielten, obwohl sie gerade vor den Menschen geflüchtet waren. Vielleicht ahnte die Natur, dass die Roboter und Maschinen immer nur Werkzeuge der Menschen gewesen waren und dass diese eigenständigen Roboter ihr nicht zuleibe rücken würden. Und die Roboter erkannten, dass die Mutanten anders waren als ihre früheren Gebieter, dass sie ebenfalls Opfer waren, und so übernahmen sie die Vermittlerrolle zwischen Pflanzen/Tieren und Mutanten. Wie es beiden Seiten gelang eine Kommunikation herzustellen, ist immer noch ihr Geheimnis. Ich bezweifle auch, dass wir Erklärungen verstehen würden, falls dieser Vorgang überhaupt erklärbar ist. Das Unglaubliche geschah: Natur und Technik vertrugen, ja sie verbündeten sich und sorgten von da an für das Wohlergehen unserer Vorfahren und das unsrige. Wir versuchten mühsam, beiden Teilen zu erklären, wie es zu dieser Schreckensherrschaft des Menschen gekommen war, die letztlich in einem Vernichtungskrieg geendet hatte. Ob sie davon etwas verstanden haben und ob sie die Hintergründe ähnlich sehen wie wir, wissen wir nicht. Auf jeden Fall leben wir seit dieser Zeit hier friedlich zusammen und verstehen uns als eine Art Symbiose-Gemeinschaft. Vor kurzem nun ...«

      »Moment!« unterbrach Lucky ihn. »Das ist etwas viel auf einmal. Ich für meinen Teil brauche eine kleine Atempause, um das Gehörte zu verdauen. Da kann man doch nicht einfach in fünf Minuten drüber weggehen. Niemand auf der Erde hat so etwas geahnt. Und ich glaube, auch niemand kann sich so eine Gemeinschaft vorstellen – wir eingeschlossen. Habt ihr denn die ganze Zeit hier gelebt, ohne zu wissen, was sonst auf der Erde vor sich geht?«

      »Es hat uns auch nicht weiter interessiert«, antwortete ein anderer Mutant – oder war es eine Frau? »Wir waren froh, dass uns keiner störte und hofften, dass sich die überlebenden Menschen vielleicht gewandelt hätten. Dass diese Hoffnung mehr ein Wunschdenken war, hätten wir eigentlich schon an der Existenz der Roboter erkennen müssen.«

      »Es wurde uns dann deutlich, als wir vor kurzem wieder mit ihnen zu tun kriegten«, übernahm unser Gastgeber erneut das Wort. »Vor einiger Zeit ebbte die Radioaktivität in diesem Gebiet ab, die bisher verhindert hatte, dass die Menschen sich überhaupt näher mit der Gegend befassten, geschweige denn hierher vordrangen. Wir vermuteten schon lange, dass uns die Pflanzen vor einem Teil der Strahlung abgeschirmt haben. Wären wir ihr auf Dauer ausgesetzt gewesen, wären wir bestimmt irgendwann ebenfalls gestorben. Wir waren ja sowieso immer weniger geworden, obwohl wir eine gewisse Immunität erreicht hatten. Als die Roboter uns mitteilten, dass die Strahlung aufgehört hatte, machten wir auch dafür die Pflanzen verantwortlich. Irgendwie haben sie es geschafft, sie ohne Schaden für sich aufzunehmen und zu verarbeiten. Und prompt landete vor ein paar Monaten – wenn ich mich nicht in eurer Zeiteinteilung irre – an der Küste eine Abteilung dunkelhäutiger Soldaten und begann, einen Stützpunkt zu errichten. Wir zögerten zunächst einzugreifen, da wir keine Konfrontation wollten. Als sie aber versuchten, weiter vorzudringen und ihre Absichten deutlicher wurden, nämlich dass es ihnen darum ging, dieses Land für sich zurückzuerobern – aus welchen Gründen auch immer -, mussten wir handeln. Wir haben sie zurückgedrängt und ihre Antwort war: Flammenwerfer und Napalm. Das Ganze eskalierte schnell und bisher konnten wir die Oberhand behalten, schafften es jedoch nicht, sie ganz zu vertreiben. Sie wissen bestimmt überhaupt nicht, womit sie es zu tun haben, aber wir sind sicher, dass sie bald schwerere Geschütze auffahren, denn dieser Landstrich scheint sehr wichtig für sie zu sein. Anders lässt sich ihre Hartnäckigkeit nicht erklären.«

      Es herrschte für eine Weile Ruhe in der Runde. Alle waren von der Erzählung tief beeindruckt, selbst die Mutanten, die ja vieles davon am eigenen Leib miterlebt hatten.

      War es schon kaum zu glauben, dass in einem radioaktiv verseuchten Gebiet überhaupt »Menschen« überlebten, so war es noch viel phantastischer, was sich aus ihnen entwickelt hatte. Selbst jetzt fiel es Lucky schwer, an diese bizarre Symbiose von Mensch, Natur und Maschine zu glauben, obwohl er mitten drin war. Es tat sich die Frage auf, ob es an anderen Stellen der Erde, die bisher als unbewohnbar galten, vielleicht ähnlich aussah. Oder ob es vielleicht sogar noch ganz andere »Überlebensformen« gab.

      »Wir können doch auf keinen Fall untätig herumsitzen, bis euch die Soldaten direkt angreifen«, knüpfte er schließlich an den Bericht des Mutanten an. »Wahrscheinlich handelt es sich um eine Kommandoeinheit von den Südlichen Inseln, wenn du von dunkelhäutigen Menschen sprichst. Aber das ist ja auch nebensächlich.«

      »Welche Chancen rechnet ihr euch denn gegen sie aus, wenn ihr versucht, sie zu verjagen?« mischte sich Kortanor ein.

      Auch er schien also zu überlegen, wie der Symbiose-Gemeinschaft geholfen werden konnte.

      »Wir sind dabei, so ein Vorgehen zu beraten«, erwiderte eine Mutantin. »Wie gesagt, bisher hatten wir damit keinen Erfolg. Aber wahrscheinlich werden wir um einen erneuten Versuch nicht herumkommen. Wenn ihr uns helfen wollt ... Lucky, Sonnenfeuer und Kortanor sahen sich an. Sollten sie wieder in Kämpfe verwickelt werden? Seit