Название | Muster für morgen |
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Автор произведения | Frank Westermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | Andere Welten |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871834 |
Irgendwann merkte er, dass nicht alle Wände gleich beschaffen waren. Ein Teil ähnelte mehr einem Vorhang, und als er sich dagegen drückte, schob er sich zur Seite.
Lucky stieß einen Entsetzensschrei aus: vor ihm öffnete sich ein steiler Abgrund und er stand lediglich auf einem dünnen Pflanzentrieb hoch in der Luft. Er sprang augenblicklich zurück und der Pflanzenvorhang bedeckte den Eingang wieder.
Nun konnte er sich seine relative Bewegungsfreiheit erklären: man brauchte ihn gar nicht zu fesseln. Von hier aus konnte niemand entkommen!
Vorsichtig, nachdem er sich von dem Schreck und seinen weichen Knien erholt hatte, schob er den Vorhang ein zweites Mal zur Seite und spähte hinaus. In dem umliegenden Pflanzen- und Baummeer versteckten sich mehrere solcher Hütten.
Und dann erkannte er gegenüber von ihm Sonnenfeuer, die ihre Beine sorglos über dem Abgrund baumeln ließ. Er winkte und rief hinüber und sie machte ihm beruhigende Zeichen.
Es schien ihr besser zu gehen, obwohl sie sich ohne Zweifel in Gefangenschaft befanden. Wäre sein Raumanzug nicht gewesen, hätte der Schlag, der ihn getroffen hatte, vielleicht tödliche Folgen haben können.
Kortanors Behausung lag direkt nebenan, aber sie konnten trotzdem nicht zueinander gelangen. Das Risiko abzustürzen war zu groß. Dafür konnten sie sich verständigen, ohne dauernd schreien zu müssen.
»Was sind das für Leute, die uns überfallen haben?« wollte Lucky wissen.
»Keine Ahnung«, erwiderte Kortanor. »Bisher habe ich noch keinen Menschen gesehen, nur Pflanzen, die aber über eine Art rudimentäre Intelligenz verfügen müssen. Ein paar Schlinggewächse haben uns eingerollt und kampfunfähig gemacht.«
Lucky glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. War es überhaupt schon ein Wunder, dass diese Naturzone auf der Erde existierte, so war es ganz und gar unglaublich, dass es hier intelligente Pflanzen geben sollte.
»Wenn du das alles mitgekriegt hast, weißt du vielleicht ja auch, wer uns hierher gebracht hat,« bohrte Lucky weiter.
»Hm, auch wenn du mich jetzt für verrückt halten solltest, aber ich hatte den Eindruck, dass unsere Transporteure veraltete Robotermodelle waren.«
Lucky schwindelte der Kopf. Hatte Kortanor Halluzinationen gehabt? Pflanzen und Roboter, wie sollte das zusammenpassen? Weiter kam er mit seinen Grübeleien nicht, denn plötzlich schwebte vor ihm etwas in der Luft und stieß ihn in die Hütte zurück.
Als Lucky sich wieder aufgerappelt hatte, stand ein dunkelhäutiger Mensch im Eingang. Es handelte sich allerdings mehr um die Karikatur eines Menschen. Er war vollkommen nackt außer einem Gürtel aus Pflanzenfasern, in dem mehrere undefinierbare Werkzeuge oder Waffen steckten. Sein Schädel war fast quadratisch, er hatte weder Ohren noch Nase und nur ein einziges Auge. Seine Arme und Beine waren verkümmert, die ganze Gestalt unförmig und monströs. Trotzdem war Lucky irgendwie erleichtert, denn dies war immerhin ein Mensch.
»Ja, sieh mich nur genau an«, sagte die Gestalt in schauderhaftem Neu-Ing. Seine Stimme kam oben aus seinem Kopf, denn genau dort befand sich sein Mund!
»Ihr habt großes Glück gehabt«, fuhr das Wesen fort, »wir hätten euch beinahe für Soldaten gehalten. Warum tragt ihr auch diese scheußlichen Uniformen? Zum Glück für euch strahlt die Frau etwas aus, auf das unsere Pflanzenfreunde positiv reagieren. Ihr könnt euch bei ihr bedanken.«
Nein, nicht schon wieder, dachte Lucky. Es kratzte doch gehörig an seinem Selbstbewusstsein, wenn er dauernd merkte, dass er so abhängig von den Fähigkeiten Kortanors oder Sonnenfeuers war. Schließlich war das hier seine Heimatwelt und er sollte sich eigentlich besser auskennen. Die augenblickliche Situation erinnerte ihn allerdings mehr an einen fremden Planeten.
»Nein, mit Soldaten haben wir bestimmt nichts zu tun«, knüpfte er an das Gespräch von eben an. »Gibt es hier welche?«
Der Unförmige lachte kreischend. »Nicht gerade in der näheren Umgebung. Aber sie wollen schon gern ...«
Er kam noch einen Schritt vorwärts.
»Hm, ich weiß immer noch nicht, wie ich euch einschätzen soll. Die Pflanzen scheinen nichts gegen euch zu haben. Also gut«, rang er sich zu einem Entschluss durch, »ich bring euch jetzt runter, aber lasst euch nicht einfallen wegzulaufen. Ihr würdet nicht weit kommen, denn wir sind überall.«
Nach dieser mysteriösen Bemerkung lachte er erneut. Ein Mutant, dachte Lucky immer noch ängstlich. Dies musste eine durch Strahlung veränderte Mutation sein.
Und ehe er sich’s versah, hatte das Wesen ihn trotz seiner verkümmerten Gliedmaßen gepackt und hangelte sich geschickt an den Schlingpflanzen hinunter, dem Boden entgegen. Wieder sah es so aus, als würden die verschiedenen Gewächse ihm dabei zu Hilfe kommen, aber dann schloss Lucky mal wieder die Augen, als sein Magen zum wiederholten Mal zu rebellieren begann.
Der Stress wird mir noch ein Magengeschwür einbringen, dachte er, dann fand er sich zitternd auf einer Lichtung wieder. Das Bild, das sich ihm hier bot, war wahrhaft fantastisch.
Ich glaube, ich träume, dachte er und lehnte sich erschöpft an einen meterdicken Baumstamm. Auf der Lichtung liefen noch einige der monströsen Gestalten im hohen Gras herum. Alle unterschieden sich voneinander, aber sie waren alle mehr oder weniger verformt und ähnelten nur noch entfernt Menschen. Aber das war nicht das Erstaunliche: zwischen diesen Menschen stapften ein paar Metallkonstruktionen umher, meterhohe Blechkisten, ebenfalls in den verschiedensten Formen und Ausmaßen.
Das waren ja wirklich alte Roboter, schoss es Lucky durch den Kopf. Total veraltete Automaten. Kortanor hatte also richtig gesehen. Sie knirschten und knackten in den Gelenken, teilweise waren sie schon mit einer Schicht Rost überzogen – kein Wunder bei diesem Klima.
»Habe ich es nicht gesagt«, flüsterte Kortanor, der ebenfalls heruntergebracht worden war, neben ihm. »Mutanten und Roboter.«
Das Geschöpf hatte jetzt auch Sonnenfeuer lautlos aus dem Geäst geholt.
»Nein, da ist noch mehr dran«, korrigierte Lucky den Tromaden. »Siehst du nicht die Pflanzen und Blüten, die aus allen Öffnungen und Ritzen der Roboter herausschauen. Sie spielen bei dem ganzen bestimmt eine wesentliche Rolle.«
Von außerhalb wurde ihm nun auch die wahre Natur der Hütten offenbar, denn auch hier unten standen einige dieser Gebilde herum. Es handelte sich eindeutig nicht um von Menschen geschaffene Behausungen, sondern das waren ganz einfach bestimmte Gewächse, die – aus eigenem oder fremden Antrieb – diese Höhlen bildeten. Wahrscheinlich dienten sie hauptsächlich zum Schutz der Mutanten gegen die Unbilden der Natur.
Lucky schüttelte voller Unglauben den Kopf. »Ich begreife das alles nicht. Moderne Technik und Natur vereint nebeneinander. Wie ist sowas möglich?«
Ein Arm legte sich von hinten auf seine Schulter, und als er zusammenzuckte, erscholl erneut das Lachen des Mutanten.
»Keine Angst, ich erkläre euch alles. Ich habe inzwischen mit den anderen gesprochen. Sie denken alle, dass ihr harmlos seid. Andernfalls hätte die Flora euch auch gar nicht so weit kommen lassen. Und die hat sich noch selten geirrt. Leider sprechen nicht mehr viele von uns eure Sprache, aber ein paar werden gleich eintreffen und dann können wir uns in Ruhe zusammensetzen.«
Er wandte sich an einen kastenförmigen Arbeitsroboter, der in der Nähe durch das Gras walzte.
»Hey, Robby, sei so gut und bring uns was zu trinken. Endlich sind mal vernünftige Leute hier. Wir haben was zu feiern!«
Der