Das pathologische Leiden der Bella Jolie. Ramona Raabe

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Название Das pathologische Leiden der Bella Jolie
Автор произведения Ramona Raabe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373246



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      Ramona Raabe

      Das pathologische Leiden der Bella Jolie

      Novelle

      Mit Illustrationen von Ailish Trimble

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      © Dittrich Verlag ist ein Imprint

      der Velbrück GmbH, Weilerswist-Metternich 2018

      Lektorat: Markus Lorenz

      Satz: Gaja Busch

      Umschlaggestaltung: Guido Klütsch

      Cover-Aquarell: © Ailish Trimble

      Foto der Autorin: © Patricia Kaiser

      Printed in Germany

      ISBN 978-3-947373-01-7

      eISBN 978-3-947373-24-6

       Für Sarah

      und für alle Momente,

       die sich nicht festhalten lassen

      Inhalt

       Vorwort der Herausgeberin

       Der Vermieter

       Die beste Freundin

       Die Mutter

       Die Affäre

       Die beste Freundin, Zweiter Teil

       Der Lebensgefährte

       Die Follower

       Der Vater

       Der Lebensgefährte, Zweiter Teil

       Teil II

       Anmerkung der Herausgeberin

       Sitzung IV

       Sitzung V [Fragment]

       Sie

       Biografien

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       Vorwort der Herausgeberin

      Statistiken weisen seit dem Jahr 2010 einen exponentiell ansteigenden Trend der sogenannten »Selfies« auf, also von zumeist mit der Kamera eines Mobiltelefons aufgenommenen Selbstfotografien. Während diese allseits beliebte Tätigkeit für die meisten Menschen problemlos Teil ihres vor allem privaten und sozialen Lebens ist, wissen wir heute, dass sie ebenfalls zu einem zwanghaften Verhalten führen kann, welches die Betroffenen erheblich einschränkt und ihnen schadet.

      Die pathologische Impulskontrollstörung (»Selfie-Sucht«), welche erst 2024 als solche von der Medizin anerkannt wurde, ist als Phänomen bis heute nicht ausreichend erforscht. Der Fachbegriff Autokatoptromanie setzt sich zusammen aus griech. αυτός, autos, »selbst«, κάτοπτρον, katoptron, »Spiegel«, und μανία, manía, »Raserei, Wahnsinn«.

      Durchbrechend und crossmedial wahrgenommen als ernsthaftes, durch alle Gesellschaftsschichten persistierendes Problem wurde die Störung erst durch den Fall der im Jahr 2019 an den Folgen ihrer Sucht verstorbenen 29-jährigen »Bella Jolie«, kaum bekannt unter ihrem bürgerlichen Namen Janina Ast.

      Ast, deren Sucht exzessive Ausmaße annahm, entfernte sich in den Monaten August bis November 2019 kaum mehr von einer Steckdose in ihrer Wohnung auf der ostfriesischen Insel Juist, um ihr Mobiltelefon ohne Unterlass mit Strom zu versorgen und den Kameramodus funktionsfähig zu halten.

      Mehrere Tage verbrachte die damalige Studentin an jener Stelle und beschäftigte sich in den letzten Wochen – so ließ sich den Daten auf dem verbliebenen Gerät sicher entnehmen – mit nichts anderem als der Selbstfotografie und dem Löschen von Fotos zwecks Erschaffung neuen Speicherplatzes. Bis zu 11.000 Fotos innerhalb von 24 Stunden soll die Studentin in ihren letzten Tagen von sich selbst gefertigt haben, und sie hörte auch nicht damit auf, um lebensnotwendigen vegetativen Tätigkeiten nachzukommen. Besonders tragisch werden somit diese letzten Fotografien, die eingehend die schwindenden Kräfte einer Frau porträtieren, die den Obduktionsergebnissen zufolge letztlich dehydriert war. Die nur wenigen und kurzen Pausen zwischen den letzten Fotostrecken weisen außerdem auf akuten Schlafmangel hin.

      Es lässt sich wohl mit Gewissheit sagen, dass ein Tod nie eindringlicher dokumentiert worden ist. Der 2020 im Brahmann-Verlag erschienene Band »Die letzten Stunden der Bella Jolie. Ein Leiden in Bildern, Sekunde um Sekunde« wurde nach einer Klage der verbliebenen Familienangehörigen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts posthum wieder vom Markt entfernt. Die Ansammlung von Fotos wurde vom verantwortlichen Richter Peter Kreuzer im nachfolgenden Prozess aufgrund eines medizinischen Gutachtens für ein zwanghaftes Symptom einer Krankheit befunden, und nicht als Zeugnis eines freiwilligen Exhibitionismus.

      Ein Teil der Fotos darf im vorliegenden Band mit freundlicher Genehmigung der Familie Ast nun erstmals wieder veröffentlicht werden. So dokumentieren einige Abbildungen die letzten Stunden Janina Asts, während es sich bei den meisten Fotos um weitgehend unbekannte Beispiele ihrer Selbstporträts handelt, welche uns einen Menschen näherbringen, dessen Persönlichkeit uns Aufschluss geben könnte über eine Abhängigkeit, die in den letzten Jahren zunehmend Verbreitung gefunden hat.

      Janina Ast begab sich bereits 2017 in eine Art therapeutische Behandlung. Allerdings handelte es sich bei dem damals einunddreißigjährigen und mittlerweile verunglückten Florian Kramer, der seinen Bildungsweg im zweiten Ausbildungsjahr seines Facharztes der Psychiatrie unterbrach, um einen selbsternannten Forscher, der in Frau Ast vornehmlich eine Interviewpartnerin zur Erschließung seiner Theorien sah, und weniger eine hilfsbedürftige Patientin. Sie hingegen, die bis kurz vor ihrem Tod noch daran festhielt, an keinem ernsthaften Problem zu leiden, ließ sich von Herrn Kramer für die insgesamt zehn Sitzungen, die vordergründig seiner eigenen Recherchearbeit dienten, monetär entlohnen. Begegnet sind die beiden sich nach bisherigem Ermittlungsstand auf dem seinerzeit sehr beliebten sozialen Netzwerk »instagreet«, auf welchem der junge Arzt auf seiner Suche schließlich Fräulein Ast traf, die unter dem Usernamen »memento1990« zu diesem Zeitpunkt noch mehrere Dutzend Selbstporträts am Tag veröffentlichte.

      In dem Bemühen, die Ursachen solcher Verhaltensweisen zu begreifen, habe ich viele Weggefährten Janina Asts zu ihrer Person befragt. Ich bin keine Ärztin und keine Psychologin, interessiere mich aber für Menschen und ihre Motivationen – dabei bin ich der Überzeugung, dass ein Versuch, das Leiden der jungen Frau exemplarisch nachzuvollziehen, für ein Verständnis dieses gesamtgesellschaftlichen Problems unabdingbar ist.

      Den Mitschriften meiner Gespräche sollte ein kurzer Abriss der Biographie Janina Asts vorausgeschickt werden. Die Vita